Überstunden in Krisenzeiten: Warum gesetzliche Regelungen nicht immer ausreichen
Zwei Astronauten sollten acht Tage im All verbringen, es wurden neun Monate daraus. Die NASA zahlt allerdings nichts für diese Überstunden. Welche Regelungen gibt es für solche Notfallsituationen in Deutschland und der Welt?

Die NASA-Astronauten Suni Williams (ganz rechts) und Barry „Butch“ Wilmore (ganz links) mussten neun Monate auf der ISS ausharren. Geplant waren acht Tage. Bezahlt wurden diese Überstunden jedoch nicht. Auf dem Bild sind die Astronauten kurz vor der Landung auf der Erde am 18. März 2025 zu sehen.
Foto: NASA/Keegan Barber
Ob Astronauten auf der ISS oder Rettungskräfte im Katastropheneinsatz – Überstunden sind oft notwendig, wenn es zu einer Notfallsituation kommt. Doch wie sind diese in Deutschland und weltweit geregelt? Und müssten Arbeitsgesetze an die globalen Herausforderungen der Zukunft angepasst werden?
Inhaltsverzeichnis
NASA zahlt nicht für Überstunden
Die NASA-Astronauten Suni Williams und Barry „Butch“ Wilmore sollten ursprünglich im Juni 2024 für eine achttägige Mission zur Internationalen Raumstation (ISS) reisen. Aufgrund technischer Probleme mit ihrem Raumschiff verlängerte sich ihr Aufenthalt unerwartet auf mehr als neun Monate. Überstunden zahlte die NASA ihren Astronauten für den unfreiwilligen Aufenthalt allerdings nicht. Laut NASA wurden sie wie andere Regierungsangestellte auf Dienstreisen behandelt, was bedeutet, dass sie Gehalt für eine 40-Stunden-Woche sowie die Übernahme von Kosten für Transport, Unterkunft und Mahlzeiten erhielten.
Astronauten der NASA, die auf der ISS arbeiten, erhalten grundsätzlich keine Vergütung für Überstunden. Ihr Gehalt basiert auf einer festen Besoldungsstruktur des US-Regierungssystems. Je nach Dienstgrad verdienen sie zwischen 80.000 und 150.000 US-Dollar pro Jahr (Williams und Wilmore fallen laut NASA in die höchste Besoldungsstufe). Bei einem solchen Jahresgehalt mag das wie Jammern auf hohem Niveau wirken. Dennoch führte die Situation zu öffentlichen Diskussionen über die Bezahlung von Astronauten bei unerwartet längeren Missionen. Und wie ist das in anderen Branchen geregelt? In Krisensituationen? Was besagen die deutschen Gesetze zu Überstunden in Sonder- oder Notfällen?
Bei Krisen wie Naturkatastrophen (zum Beispiel Waldbrände, Hochwasser, Erdbeben) sind Rettungskräfte, Feuerwehr, THW, Polizei und medizinisches Personal oft gezwungen, über ihre regulären Arbeitszeiten hinaus Überstunden zu machen. Krisen erfordern schnelles und oft durchgehendes Handeln. Gesetzliche Arbeitszeitregelungen können im Notfall flexibilisiert werden, um ausreichend Personal zur Verfügung zu haben. Gleichzeitig müssen Pausen- und Ruhezeiten berücksichtigt werden, um Erschöpfung zu vermeiden. Arbeitszeitgesetze dienen dazu, Arbeitnehmende vor Überlastung zu schützen. In Notlagen können jedoch Sonderregelungen greifen.
Rechtliche Grundlagen für Überstunden
Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) (§ 14) legt fest, dass die tägliche Höchstarbeitszeit acht Stunden (maximal zehn Stunden mit Ausgleich) nicht überschreiten darf. Es regelt zudem Ruhezeiten und Pausen. In Notfällen (etwa Naturkatastrophen, Epidemien, akuten Gefahren für Mensch oder Umwelt) dürfen Arbeitgeberinnen und -geber sowie Behörden Arbeitszeitbeschränkungen vorübergehend außer Kraft setzen und Überstunden fordern:
- Arbeitszeiten über zehn Stunden pro Tag sind möglich.
- Ruhezeiten können verkürzt oder verschoben werden.
- Dienstverpflichtungen können in Einzelfällen verhängt werden (beispielsweise für medizinisches Personal).
Darüber hinaus gibt es spezielle Regelungen für bestimmte Berufsgruppen:
- Feuerwehr, Polizei, Rettungsdienste, Katastrophenschutz, THW: Sie unterliegen Sondervorschriften und haben oft flexible Bereitschaftszeiten sowie Ersatzruhezeiten nach Einsätzen.
- Gesundheitssektor: Krankenhäuser dürfen in Notfällen Personal länger einsetzen, müssen aber später Ausgleichszeiten gewähren.
- Ehrenamtliche Katastrophenhelfer (z.B. THW, DRK, Freiwillige Feuerwehr): Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind verpflichtet, freiwillige Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks (THW), der Freiwilligen Feuerwehr sowie anerkannter Hilfsorganisationen für ihren Dienst freizustellen.
- Bundeswehr: Für Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr gelten wieder gesonderte Regelungen: In Auslandseinsätzen oder Krisenfällen gibt es keine Vergütung von Überstunden, sondern pauschale Zulagen oder Freizeitausgleich.
Überstunden von Angestellten werden durch Zuschläge oder Freizeitausgleich abgegolten. Rettungskräfte im öffentlichen Dienst erhalten Zulagen für besondere Belastungen. Ehrenamtliche Helfer können unter bestimmten Bedingungen eine Aufwandsentschädigung erhalten.
Überstunden: Herausforderungen und moralische Aspekte
Während in normalen Arbeitsverhältnissen gesetzliche Vorgaben die Höchstarbeitszeit klar begrenzen, greifen die genannten Sonderregelungen zu Überstunden nur im Ausnahmefall. Besonders betroffen sind Berufsgruppen wie Feuerwehr, THW oder medizinisches Personal, die im Ernstfall rund um die Uhr arbeiten müssen – Stichwort: Corona-Pandemie. In diesen Fällen gilt eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten als notwendig, um Menschenleben zu retten oder kritische Infrastrukturen aufrechtzuerhalten.
Aber: Während in vielen Branchen Überstunden finanziell ausgeglichen werden, leisten andere Berufsgruppen in Krisensituationen oft Mehrarbeit ohne zusätzliche Vergütung. Besonders kritisch ist das in Situationen, in denen über einen längeren Zeitraum hinweg längere Arbeitszeiten erforderlich sind, wie sie beispielsweise bei Raumfahrtmissionen oder bei Rettungseinsätzen nach Naturkatastrophen der Fall sind. Auch die ungleiche Behandlung verschiedener Berufsgruppen sorgt immer wieder für Diskussionen.
Während einige systemrelevante Berufe Überstundenzuschläge oder Sonderprämien erhalten, arbeiten andere unter ähnlichen Bedingungen ohne zusätzlichen finanziellen Ausgleich. So gab es während der Corona-Pandemie Versuche, Mehrarbeit nicht direkt zu vergüten, sondern stattdessen pauschale Zulagen oder einmalige Prämien zu zahlen. Das war jedoch nur zulässig, wenn die Überstunden schon vor der Pandemie nicht vergütet, sondern mit Freizeitausgleich verrechnet wurden.
Neben der finanziellen Vergütung ist der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von zentraler Bedeutung. Dauerhafte Überstunden können zu Erschöpfung, Burnout und Fehlern führen, insbesondere wenn keine ausreichenden Pausen oder Erholungszeiten gewährt werden. Auch dafür ist die Corona-Pandemie ein Beispiel: Das medizinische Personal arbeitete teilweise über die eigene Belastungsgrenze hinaus.
Unternehmen und Behörden haben aber eine moralische Verantwortung, auch in Krisensituationen für angemessene Arbeitsbedingungen zu sorgen. Ermöglichen können sie das durch Regenerationszeiten, zusätzliche Urlaubstage oder alternative Entlastungsmaßnahmen.
So sind Überstunden in Europa und weltweit geregelt
Die Regeln zu Überstunden unterscheiden sich international teilweise erheblich. Besonders in systemrelevanten Bereichen wie Feuerwehr, Katastrophenschutz oder Militär gelten oft Sonderregelungen, die von den allgemeinen Arbeitszeitgesetzen abweichen.
- Frankreich verfolgt im Vergleich zu Deutschland eine deutlich strengere Regulierung. Die gesetzliche Arbeitszeit beträgt 35 Stunden pro Woche, kann jedoch auf bis zu 48 Stunden ausgeweitet werden. Überstunden müssen mit einem Mindestzuschlag von 25 Prozent vergütet werden, ab der neunten Überstunde steigt dieser auf 50 Prozent. Maximal dürfen 220 Überstunden pro Jahr anfallen. Feuerwehrleute arbeiten häufig in 24-Stunden-Schichten, wobei Überstunden entweder durch Zuschläge oder Freizeitausgleich abgegolten werden. Das französische Militär unterliegt ebenfalls Sonderregelungen, wobei Überstundenvergütungen nicht vorgesehen sind.
- In den USA sieht der Fair Labor Standards Act (FLSA) eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 40 Stunden vor. Ab der 41. Stunde ist ein Überstundenzuschlag von mindestens 50 Prozent vorgeschrieben, allerdings nur für nicht leitende Angestellte, sogenannte „non-exempt employees“. Führungskräfte („exempt employees“) haben keinen gesetzlichen Anspruch auf Überstundenvergütung. Feuerwehrleute und Polizisten arbeiten oft in 24-Stunden-Schichten mit eigenen Überstundenmodellen, die sich je nach Bundesstaat unterscheiden. Soldaten der US-Streitkräfte erhalten für Überstunden keine klassische Vergütung, sondern sogenannte „Hazard Pay“ oder „Deployment Pay“ für besonders gefährliche Einsätze.
- Japan verfolgt ein besonders striktes System, das aber aus kulturellen Gründen häufig umgangen wird. Die gesetzliche Höchstarbeitszeit liegt bei 40 Stunden pro Woche, wobei maximal 45 Überstunden pro Monat erlaubt sind. Mit Sondergenehmigungen kann diese Grenze auf bis zu 100 Stunden pro Monat (maximal 720 pro Jahr) ausgeweitet werden. Überstunden müssen mit mindestens 25 Prozent Zuschlag bezahlt werden, bei Nacht- oder Feiertagsarbeit sind es bis zu 50 Prozent – Geld, das viele Japanerinnen und Japaner fest ins Budget einrechnen. Zudem gibt es in Japan eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz für unbezahlte Überstunden. Die negative Folge dieses Phänomens nennt sich „karoshi“ (Tod durch Überarbeitung) und hat in den vergangenen Jahren erst zu den genannten, strengeren Arbeitszeitgesetzen geführt. In Notfalldiensten und im Militär werden in Japan Überstunden durch späteren Freizeitausgleich kompensiert.
Sind die Gesetze für Überstunden mit künftigen Herausforderungen kompatibel?
In Deutschland kann es nötig werden, die Arbeitszeitgesetze an neue technologische und gesellschaftliche Herausforderungen anzupassen, insbesondere im Hinblick auf zunehmende Digitalisierung, Fernarbeit und globale Krisen. Die bestehenden Arbeitszeitgesetze wurden vor allem für traditionelle Arbeitsmodelle entwickelt und bieten nicht immer die nötige Flexibilität für neue Arbeitsformen wie Homeoffice oder digitale Plattformarbeit. Gerade für den Umgang mit ständiger Erreichbarkeit und unvorhergesehenen Krisen könnten neue der erweiterte Regeln erforderlich werden.
Auch globale Herausforderungen und Entwicklungen wie Hackerangriffe auf kritische Infrastruktur, größere Lieferkettenprobleme wie die Suezkanal-Blockade oder Produktionsengpässe in Schlüsselbranchen (etwa Chipmangel) könnten künftig vermehrt ungeplante Überstunden nötig machen. In solchen Fällen, etwa bei der Ausweitung von Schichtarbeit oder der schnellen Reaktion auf Cyberangriffe, könnten regelmäßige Überstunden auch in Branchen notwendig werden, die anders als Feuerwehr oder Polizei bislang nicht von speziellen Regelungen betroffen waren. Nur dann lassen sich im Notfall kritische Prozesse in kürzester Zeit aufrechterhalten und die Wirtschaft stabil halten.
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