Datenretter: Warum der einstige Nischenberuf immer wichtiger wird
Datenrettung ist ein Fach für Spezialisten. Der Bedarf an Datenrettern steigt jedoch stetig. Besonders gefragt sind Ingenieure mit guten Mathekenntnissen und Spaß am Knobeln.
Sein Onkel hat ihn noch gewarnt. „Wer in aller Welt braucht Datenrettung. Es gibt doch Backups“. Er musste es wissen. Schließlich war er der Leiter eines größeren Rechenzentrums. Und er machte sich große Sorgen, dass sein Neffe bald arbeitslos werden könnte. Das war im Jahr 1996. Das Internet und die Digitalisierung waren damals nur für Insider ein Thema. Holger Engelland wagte dennoch diesen Schritt. Und heuerte beim Datenretter Kroll Ontrack in Böblingen an. Es war erst seine zweite Station nach seinem Studium. Zuvor hatte der studierte Maschinenbauingenieur im Bereich Service und Reparaturabwicklung gearbeitet, bei einem Unternehmen, das sich auf Unix-Rechner spezialisiert hatte.
Datenrettung in der „Matrix“
Der erste Tag seiner Datenretterlaufbahn war daher schon ein wenig gewöhnungsbedürftig für den gebürtigen Schwaben. So saß er auf einmal vor einem Bildschirm, auf dem die unterschiedlichsten Zahlenkolonnen herunterliefen. Aus diesem ASCII-Code und Hexadezimalzahlen sollte er nun sinnvolle Informationen rekonstruieren. „Am Anfang habe ich mich schon ein bisschen wie eine Figur aus dem Film Matrix gefühlt“, erinnert sich der Diplom-Ingenieur. Er gewöhnte sich aber schnell an dieses Setting, und arbeitet bis heute gerne in der „Matrix“.
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Natürlich werkelt er nicht am Original. Seine Kollegen vom Reinraum lesen zuerst aus den beschädigten Festplatten die noch vorhandenen Informationen heraus und schaffen ein digitales Abbild. An diesem Abbild nimmt Engelland dann kleine Änderungen an den Datenstrukturen vor, rekonstruiert die Softwareseitigen Links und Vernetzungen und baut Verknüpfungen auf. Nach gelungener Mission werden die Daten wieder auf ein funktionsfähiges und Passwort geschütztes Medium zurückgespielt. Engelland hat ebenfalls ein paar Wochen bei den Reinraum-Leuten hineingeschnuppert. Dann entschied er sich aber doch für die Knobelarbeit am Bildschirm.
Übung macht den Datenrettungsingenieur
Die Ausbildung hat Engelland in der Mutterfirma in den USA absolviert. Das Training bestand, vereinfacht gesagt, darin, dass der Diplom-Ingenieur Trainingsimages rekonstruierte und diese Arbeit dokumentierte. Das machte er so lange, bis er die Tätigkeit aus dem Effeff beherrschte. „Mathematische Kenntnisse sind in diesem Beruf ein absolutes Muss. Man sollte gerne knobeln und Verständnis für abstrakte Strukturen haben“, fasst Engelland die Voraussetzungen zusammen.
Datenrettung ist Teamarbeit
Daneben ist Teamfähigkeit gefragt. Gerade bei größeren Vorhaben arbeitet Engelland mit Kollegen aus der ganzen Welt zusammen. Soziale Kompetenz ist ebenfalls sehr wichtig. Denn er arbeiten auch direkt mit den Kunden zusammen. Und die befinden sich oft in einer Extremsituation. Nicht selten steht ihre gesamte Existenz auf dem Spiel. Engelland sieht hier gewisse Parallelen zu einem Erster Hilfe Einsatz. „Wir müssen die Details abklopfen, und dem Kunden sagen, was er tun soll, und was er lassen sollte“. Denn Fehler können in solchen Fällen fatal sein. Der Klassiker: Eine nasse Festplatte anschließen, um zu schauen, ob noch etwas zu retten ist. Vom Trockenföhnen rät Engelland ebenfalls ab. „Die Flüssigkeit kann eintrocknen. Am Ende bleiben Verunreinigungen zurück, die sich nur schwer entfernen lassen“. Er rät, die noch nasse Festplatten in ein feuchtes Tuch zu wickeln, und sie anschließend in einen antistatischen Plastikbeutel zu packen. In diesem Zustand sollte man sie dann zum Datenretter schicken.
Gerade nach Starkregenfälle steigt der Bedarf. Nun halten sich die Unwetter bekanntermaßen nicht an Bürozeiten. Aus diesem Grund haben Engelland und seine Kollegen eine Rufbereitschaft. Spätestens alle sechs Wochen muss er dann eine Woche lang nach Feierabend erreichbar sein. „Man trägt eine enorme Verantwortung. Das kann auf der einen Seite sehr belastend sein. Auf der anderen Seite ist aber auch ein geniales Gefühl, wenn man ein vertracktes Problem gelöst hat, und einem Menschen wirklich helfen konnte“.
Jeder Datenretter ist ein Ingenieur
Die offizielle Bezeichnung für seinen Beruf lautet Datenrettungsingenieur. Das bedeutet aber nicht, dass alle Kollegen Diplom-Ingenieure sind. Der Begriff leitet sich von der amerikanischen Bezeichnung Data Recovery Engineer ab. So kommt es, dass in Engellands Bereich auch ein ehemaliger Bäcker arbeitet, ein IT-Kaufmann, und ein Kollege, der früher als technischer Zeichner tätig war. „Aktuell stellen wir hauptsächlich Leute mit einem Studienabschluss ein. Aber es kommt natürlich immer darauf an, was die Bewerber an Vorwissen mitbringen“, so Engelland. Gute Chancen haben auch Menschen, die praktische Erfahrung im Installieren von Dateisystemen haben. Denn schließlich muss in diesen Beruf wissen, wie Betriebs- und Dateisysteme aufgebaut sind. Ein Ingenieursstudium ist ebenfalls von Vorteil. „Während eines Ingenieursstudium lernt man, sich tief in bestimmte Themen einzuarbeiten. Darüber hinaus muss man ständig irgendetwas dokumentieren. Das kommt einem hier zugute“, so der Maschinenbau-Ingenieur.
Berufseinsteiger starten bei Kroll Ontrack als Junior Engineer. Nach etwa ein bis zwei Jahren übernehmen sie ein bestimmtes Aufgabenfeld und werden zum Data Recovery Engineer. Mit zunehmender Erfahrung können sie zum Senior Engineer oder – wie Engelland – zum Manager Data Recovery aufsteigen. Es gibt aber auch die Möglichkeit, in die Entwicklungs- oder Vertriebsabteilung zu wechseln.
Datenrettung in Forensik-Unternehmen
Heute ist Datenrettung nicht mehr ganz so exotisch wie Anno 1996. Damals startete die deutsche Filiale von Engellands Arbeitgebers mit sieben Mitarbeitern. Heute sind sie über 70 Leute. Aber natürlich ist Datenretter noch immer ein reiner Nischenberuf. In Deutschland gibt es etwa ein Dutzend Datenrettungsunternehmen.
Mittlerweile haben aber auch IT-Unternehmen mit einem Schwerpunkt auf IT-Forensik und Cybersicherheit kleine Datenrettungseinheiten aufgebaut. Diese Einheiten kommen vor allem bei softwareseitigen Problemen zum Einsatz. Beispielsweise wenn das Betriebssystem einer Festplatte die Daten nicht mehr zuordnen, weil der Administrator eine falsche Firmware aufgespielt hat. Oder sie betreuen Unternehmen, die nach einem kapitalen Hardwareschaden ein spezialisiertes Datenrettungsunternehmen beauftragen. Denn wenn die Festplatte kaputt ist, wenden sich auch diese Unternehmen an einen spezialisierten Datenretter mit Reinraum.
Und es gibt noch einen weiteren Unterschied: „Datenrettung ist aber immer nur ein Teilbereich“, stellt Wolfgang Straßer klar. Er ist Gründer und Geschäftsführer der @-yet GmbH, die auf IT-Risikomanagement spezialisiert ist. Die Datenretter führen hier auch Penetrationstests durch, d.h. sie ermitteln Schwachstellen durch Hackversuche. Oder sie konzipieren Backup-Szenarien damit ein Datenverlust erst gar nicht auftritt.
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