Deutscher Bergbau bietet Perspektiven für Ingenieure
Seit die letzte Zeche Ende 2018 geschlossen hat, scheint der Bergbau in Deutschland der Vergangenheit anzugehören. Doch das ist falsch. Noch immer kann man sich zum Bergbauingenieur ausbilden lassen – mit guten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt.
Wer heute an Bergbau denkt, der hat Bilder aus Afrika, Südamerika oder Australien im Kopf. Deutschland dagegen, mit seinen einst stolzen Bergbauregionen, hat dabei kaum ein angehender Ingenieur auf dem Schirm. Anders ist das im Ruhrgebiet. Die nördlichen Gebiete Nordrhein-Westfalens haben eine lange Tradition im Bergbau. Schon im Mittelalter wurden hier Schächte vorangetrieben, um Steinkohle abzubauen. Erst in südlichen Revieren, dann immer weiter gen Norden.
Die zurückgelassenen Schächte rufen sich heute hin und wieder deutschlandweit ins Gedächtnis. Etwa als der Bahnhof Essen 2013 mehrere Tage vom Fernverkehrsnetz der Deutschen Bahn abgeschnitten werden musste, weil unter den Schienen Hohlräume entdeckt wurden. Mittels Probebohrungen ermittelten die zuständigen Ingenieure und Techniker im Auftrag der Deutschen Bahn, ob der 16 Meter unter Tage liegende Stollen einsturzgefährdet sei. Eine klassische Aufgabe des Nachbergbaus.
Deutschland geht im Nachbergbau voran
Der Nachbergbau ist der jüngste Zweig einer uralten Industrie. Denn mit dem Schließen der Zechen wurde zwar das Ende des Abbaus von Steinkohle in Deutschland besiegelt, jedoch wirken die bis dahin entstandenen Schäden im Untergrund bis heute nach und müssen von den einstigen Bergbautreibenden überwacht, dokumentiert und behoben werden. Statt Schlägel und Eisen werden für die Ewigkeitsaufgaben des Nachbergbaus modernste Technologien eingesetzt.
Ewigkeitsaufgabe auch deshalb, weil die Erde es auch nach Jahrzehnten nicht vermag, die menschlich geschaffenen Hohlräume zu schließen. Zumindest auf den ersten 100 Metern unter der Grasnarbe bleiben die durch den Bergbau entstandenen Hohlräume erhalten. Erst ab 100 Metern Tiefe sorgt der Druck dafür, dass Schächte über die Zeit geschlossen werden. Das geschieht übrigens von unten nach oben. Der Druck wird um den Hohlraum herumgeleitet und drückt dann den Boden des Hohlraums langsam nach oben bis sich der Schacht schließt.
„In den letzten Jahren ist erstmals ein ganzheitliches Konzept für den Nachbergbau entstanden, das die Herausforderungen unter Tage, das Flächenrecycling, die Materialforschung sowie den Strukturwandel einbezieht“, sagt Jürgen Kretschmann, Präsident der Technische Hochschule Georg Agricola (THGA) in Bochum und bis vor wenigen Tagen Präsident der internationalen Society of Mining Professors (SOMP). Für die Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker im Nachbergbau heißt das:
- Sie spüren Hohlräume unter Tage auf,
- beobachten Bodenbewegungen und Vegetationszustände von Pflanzen,
- sorgen dafür, dass das Grubenwasser abgepumpt wird
- und die Grubengase unter Verschluss bleiben,
- dass freigegebene Zechenflächen neu genutzt werden können und
- der Bergbau das von ihm in Beschlag genommene Land so Stück für Stück zurückgibt an die Kommunen.
„Dafür könnten wir viel mehr Studierende gebrauchen“, sagt Kretschmann. Den von der THGA angebotenen Masterstudiengang Geoingenieurwesen und Nachbergbau gehen jedes Jahr gerade einmal 30 Studierende an. Die meisten von ihnen berufsbegleitend. „Der Arbeitsmarkt könnte doppelt so viele brauchen, der Bedarf ist da.“ Der Nachbergbau schafft Perspektiven in einer Branche, deren klassisches Geschäft im Zuge der deutschen Energiewende abgewickelt wurde.
Der klassische Bergbauingenieur wird weiter gebraucht
Doch auch der klassische Bergbauingenieur wird weiter gebraucht. Einer müsse schließlich wissen, was Windschacht, Erbstollen und Wasserlösestollen sind und mit dem Wissen eines Bergmanns die Fragen des Nachbergbaus begleiten, ist Tobias Rudolph, Stiftungsprofessor am Forschungszentrum Nachbergbau an der THGA überzeugt. So dürften die klassischen Bergbauingenieure „auch in 30 Jahren noch“ unersetzlicher Teil eines integrierten Teams sein, zu dem auch Lagerstättentechniker, Geologen, Hydrogeologen, Fernerkundler, Geografen und IT-Techniker gehören. Letztere unterstützen ihre Kollegen vor allem dabei, die immer größeren Mengen an Daten aus dem Monitoring zu sortieren, zu verwalten und damit das Wissen verfügbar zu halten.
Neben dem Nachbergbau werden Bergbauingenieure noch immer im klassischen Feld der Rohstoffgewinnung in Deutschland gebraucht. Immerhin gibt es in Deutschland neben Braun- und Steinkohle beachtliche Vorkommen mineralischer Rohstoffe wie Sande, Kiese und Salze. Wie die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) ermittelte, wurden allein 2017 rund 609 Millionen Tonnen nichterneuerbare Rohstoffe in Deutschland gewonnen. Knapp ein Drittel machten Energierohstoffe aus:
- 171,3 Millionen Tonnen Braunkohle
- 3,7 Millionen Tonnen Steinkohle
- 2,2 Millionen Tonnen Erdöl
- 7,9 Millionen Kubikmeter Erdgas und Erdölgas
- 482.000 Tonnen Ölschiefer
- 4,3 Millionen Kubikmeter Torf
- 34 Tonnen Uran
Die THGA bietet Bergbauinteressierten Studienanfängern den Bachelorstudiengang Rohstoffingenieur mit darauf aufbauendem Masterstudiengang Master Mineral Resource Engineering an. Der Master kümmert sich neben klassischen Bergbauaufgaben um rechtliche, soziale sowie umweltliche Aspekte des Bergbaus. Seine bilinguale Ausrichtung soll die Absolventen auf ein internationales Arbeitsumfeld vorbereiten. Denn im Gegensatz zum Nachbergbau, der nirgendwo so weit fortgeschritten ist wie in Deutschland, arbeiten viele Rohstoffingenieure auch außerhalb Deutschlands.
„Wir müssen anerkennen, dass der Bergbau von hoch entwickelten und erfahrenen Ländern wie Deutschland oder Australien abgewandert ist hin zu unerfahreneren Ländern in Südamerika, Südasien und Afrika“, konstatiert David Laurence, Associate Professor an der School of Minerals and Energy Resources Engineering der University of New South Wales, Australien, am Rande der SOMP-Jahrestagung. Seine vietnamesische Kollegin Nga Ngyuen, stellvertretende Leiterin der Abteilung für Mining Management an der University of Mining and Geology in Hanoi, nickt zustimmend. Vietnam ist reich an Rohstoffen, fördert neben Kohle vor allem Eisen- und Metallerze, so die deutsche Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing GTAI. Entsprechend interessant.
Das Land hat großes Interesse daran, von den Erkenntnissen, aber auch den Fehlern, die im deutschen Bergbau gemacht wurden, zu profitieren. Und Deutschland wiederum möchte zum „Motor des Nachbergbaus weltweit“ werden, wie Kretschmann es formuliert. „Immerhin wissen auch aktive Bergbauregionen in China und den USA, dass der Peak vorbei ist.“ Und auch in Vietnam schließen Handel und herstellende Industrie zur Wirtschaftskraft des Bergbaus auf. Immer mehr Kohleminen schließen und das Land beginnt, die Hinterlassenschaften aus über 100 Jahren fremdbestimmter Bergbauaktivitäten aufzuräumen. Sozial- und Umweltaspekte fordern damit früher als in Deutschland ihre Rechte im Reigen der Bergbauindustrien ein.
Die noch junge Disziplin der Nachbergbaus könnte es so zum Exportschlager schaffen, sind sich Rudolph und Kretschmann einig. „Ein so dezidiertes Forschungszentrum für Nachbergbau gibt es nur hier in Deutschland“, betont Rudolph. Die Schäden aber, die der Bergbau weltweit hinterlässt und die in den kommenden Jahrzehnten aufgearbeitet werden müssen, sorgen für reichlich Arbeit für Bergbau- und Rohstoffingenieure, Geologen, Lagerstättentechniker und IT-Experten. Ob der Berg an Arbeit für die Ewigkeit reicht, darf man anzweifeln, ein, zwei Generationen aber wird der Bergbau in Deutschland sicher noch beschäftigen.
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