Recruiting Tag Blog 22.11.2016, 01:00 Uhr

Anregung für eine neue Ärger-Intelligenz

Wie oft ärgern wir uns. Zu oft, zu lang, zu heftig. Dabei wäre es leicht, den Ärger über eine andere Person auf ein Minimum zu reduzieren. Und hierdurch weniger Energie und Zeit zu vergeuden.

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Foto: panthermedia.net/maxkabakov

Leichter gesagt als getan. Doch wie begegnet man Vorgesetzten oder Kollegen, über die man sich ärgert? Wir versuchen nach diesem Blogbeitrag zum Ärgerminimierer zu werden. Dazu haben wir Philipp Karch befragt.

Philipp Karch

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Guten Tag Herr Karch, als wir uns im Vorfeld über den Bloginhalt unterhalten haben und Sie uns das Thema Ärger vorgeschlagen haben, merkte man hier sofort „ja, da möchten wir mehr wissen“. Ärger bewegt Menschen sehr – oder?

Philipp Karch: Absolut. Ich kenne niemanden, also wirklich nicht eine einzige Person, die sagen würde. „Nee, also ich, ich habe mich noch nie über eine andere Person geärgert.“ Ärger ist eine ganz normale menschliche Reaktion, der sich niemand entziehen kann. Ärger entsteht häufig dann, wenn wir Situationen als ungerecht oder unschön erleben. Jemand hat etwas getan oder nicht getan und das bewerten wir negativ. Unser Wunsch: Jemand soll sich ändern, damit es uns oder anderen wieder besser geht.

Ich unterscheide hierbei zwischen günstigen und ungünstigen Ärger. Günstiger Ärger hilft uns, Dinge zu bewegen, Dinge zu ändern, er wirkt wie ein Katalysator. Ohne diese Art von Ärger, blieben Probleme erhalten, er ist also hilfreich und erwünscht, er hat eine Funktion. Ungünstiger Ärger hingegen hält eher auf, dreht sich manchmal auch um sich selbst und wirkt dann oft wie eine Zeit- und Energieverschwendung. Besonders dann, wenn wir uns (gefühlt) zu oft, zu lange und / oder zu heftig ärgern. Was wir brauchen ist ein neue Ärger-Intelligenz: Die Kunst, sich weniger ungünstig zu ärgern.

Ich ärgere mich über einen Kollegen und bin sehr aufgebracht. Wie geht man in dieser Situation am besten vor?

Mein Vorschlag: Lieber erst mal nichts sagen und dabei vor allem weiter atmen. Das klingt vielleicht banal und trivial, ist aber vielen leider nicht bewusst, so meine Erfahrung. Was viele unterschätzen ist das Potenzial, das in der Atmung steckt, denn sie wirkt extrem beruhigend und damit deeskalierend. Unser Verhalten in schwierigen Situationen ist leider sehr archaisch bzw. „evolutionsbiologisch“ geprägt: Im Konfliktfall sind wir gewohnt, entweder anzugreifen oder zu fliehen. In beiden Fällen halten wir den Atem an. Wenn wir genau das Gegenteil machen, also weiter atmen, als wäre nichts geschehen, signalisieren wir unserem Körper: Alles ist gut, du bist nicht in Gefahr. Und dann sind wir flexibler und gelassener und damit handlungswirksamer. Wir können agieren statt nur (in früher erlernten Mustern) zu reagieren.

Im Moment der Aufgebrachtheit, gibt man häufig unangebrachte Äußerungen von sich. Wie bekommt man das nun wieder ausgebügelt?

Leider kaum. Körpersprachliche Reaktionen wie verdrehte Augen oder abfällige Gesten, kann ich vielleicht noch leugnen, ein Wort hingegen, das ich laut genug ausgesprochen habe, kann ich nicht mehr zurücknehmen. Es ist also enorm wichtig, in den ersten zwei bis drei Sekunden nicht reflexhaft zu reagieren und einfach nichts zu sagen. Sollte mir dennoch das Missgeschick passieren, zu früh etwas Unpassendes von mir zu geben, bleibt meines Erachtens kein anderer Weg, als mich zu erklären, also die eigene Äußerung auf Metaebene zu erläutern, beispielsweise mithilfe der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg.

Wie kann ich am besten ein souveränes Feedback auf Ärger äußern?

Bevor ich Feedback gebe, tue ich in der Regel drei Dinge. Zunächst halte ich für 2-3 Sekunden tatsächlich meinen Mund, um die Sache nicht noch zu verschlimmern („deeskalieren“). In Schritt 2 versuche ich zu verstehen, welche Konfliktursache vorliegt („analysieren“), denn mit einem Verständnis über die unerfüllten Bedürfnisse kann passender auf die konkrete Situation eingehen. Bevor ich mit der Rückmeldung beginne, überlege ich mir im dritten Schritt noch, was der Ärger mit mir zu tun hat. Oft erkenne ich hierbei, dass mein Ärger größtenteils unbegründet ist, manchmal löst er sich sogar komplett auf. Sie können sich vorstellen: Je größer der Ärger, desto riskanter das Feedback. Daher gilt für mich der Grundsatz: Feedback erst dann, wenn ich meinen Ärger maximal minimiert habe.

Immer in 4-Augen-Gesprächen oder auch vor oder mit anderen Kollegen?

Das hängt davon ab. Wenn mein Gegenüber mich nicht ernst nimmt oder mich unterdrückt, kann ich ganz gezielt andere für die Feedback-Situation „instrumentalisieren“. Denn in Gegenwart anderer wird sich mein Gegenspieler wahrscheinlich zurückhalten. Stichwort „Sozial-Kontrolle“. Entweder binde ich das „Publikum“ passiv ein, also ohne direkte Ansprache, sie sind nur „rein zufällig“ mit im Raum, oder aktiv, indem ich einzelne Menschen gezielt anspreche, ob es Ihnen auch so geht, vielleicht sogar schon vorher, damit sie vorbereitet sind.

Ansonsten gilt für mich der Grundsatz: Immer persönlich, immer im geschützten Raum und immer in einem günstigen Moment, in dem mein Gegenüber aufnahme- und kritikbereit zu sein scheint. Solche Momente sind nicht immer eindeutig zu erkennen, aber mit Übung können wir ein Gespür für günstige Feedback-Momente entwickeln. In Grundsatz gilt auch: Je früher, desto besser, weil der Bezug dann nicht umständlich wieder hergestellt werden muss, so nach dem Motto: „Du, weißt Du noch, 2012 im Frühling, da hast Du doch mal …“.

Und wenn das Feedbackangebot ignoriert wird?

Dann gebe ich es noch mal und noch mal und nochmal. Und zwar jedes Mal neu und anders. Mal mit Gewaltfreier Kommunikation, mal humorvoll-ironisch, mal nur mimisch. Und wenn ich alles probiert habe, was mir einfällt, aber noch nichts funktioniert hat, frage ich alle meine Freunde und Bekannte, ob Ihnen noch was einfällt, und probiere auch das noch aus. Erst wenn ich ALLES ausprobiert und nichts zufriedenstellend funktioniert hat, erst dann sage ich mir innerlich „love it or leave it“. „Love it“ heißt für mich: Ich habe alles probiert, der Gegenüber will sich nicht ändern, so what, ich kann es aushalten. Und zwar weil ich alles versucht habe. Falls nicht, würde ich weiter hadern, so meine Erfahrung. Oder „leave it“: Ich gehe, ich habe das nicht nötig, das Leben ist zu kurz für sowas. Oder ich bringe mein Gegenüber dazu, zu gehen, wobei das kein Aufruf zum Mobbing sein soll 😉

Noch einen letzten Tipp zum Thema Ärgerminimierer.

Wenn Du Dich über jemanden ärgerst, sei ehrlich zu Dir und frage Dich, was der Ärger mit Dir zu tun hat. Dein Gegenüber ist niemals schuld, er verhält sich noch nicht einmal falsch. Es sind Deine Interpretationen und Deine Bewertungen und Deine Urteile, über die Du Dich aufregst. Und zusätzlich wahrscheinlich auch über Deine Ohnmacht, nichts tun zu können oder Dich nicht zu trauen. Deine Ärger-Person ist Dein „Arsch-Engel“ (nach Robert Betz). „Arsch“, weil das Verhalten des anderen unschön ist, „Engel“, weil Du gerade etwas von ihm oder ihr lernen kannst. Wenn Du denn willst …

Vielen Dank für das Interview. Philipp Karch ist auch Referent auf VDI nachrichten Recruiting Tagen.

 

 

Ein Beitrag von:

  • Claudia Wiegner-Ruf

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