Anschreiben bei der Bewerbung: Kann das weg?
Immer mehr Unternehmen verzichten bei Bewerbungen auf ein Anschreiben. Warum? Welche Alternativen bieten sich an und sind aussagekräftiger? Wie setzt man sich ohne Anschreiben auf Anhieb schriftlich ins rechte Licht? Wie findet man elegant heraus, ob ein Anschreiben gewünscht ist oder nicht? Claus Peter Müller-Thurau, Diplom-Psychologe und Personalberater, kennt die Antworten.
Ingenieur.de: Stimmt der Eindruck, dass immer mehr Unternehmen auf ein Anschreiben verzichten? Wenn ja, warum?
Claus Peter Müller-Thurau: Die Deutsche Bahn und die weltweit tätige OTTO Group haben mit der Meldung Furore gemacht, auf das klassische Anschreiben weitgehend zu verzichten. Verantwortlich für diesen Sinneswandel ist nicht die Neubewertung der eignungsdiagnostischen Relevanz von Anschreiben beziehungsweise einem „Cover letter“, sondern der „War for Talents“. In den kommenden zehn Jahren wird die Bahn etwa die Hälfte ihrer Belegschaft aus Altersgründen verlieren und da schon für Schüler ein Motivationsschreiben schwierig sei, will man zunächst für Aspiranten eines Ausbildungsplatzes den Bewerbungsprozess vereinfachen. Und bei der OTTO-Group heißt es lapidar unter der Headline „Tipps zur Onlinebewerbung“, dass man kein Anschreiben brauche, sondern nur zwei Motivationsfragen beantworten müsse.
Ist das ein Vorteil für Bewerbende?
Fast alle Jobaspiranten applaudieren, weil die das Abfassen eines Anschreibens als überaus lästig empfinden. Sie übersehen dabei, dass die eigentliche Eignungsdiagnostik nur zeitlich verschoben wird. Und da man im Vorfeld so gut wie nichts beispielsweise über Soft Skills wie kommunikative Kompetenz, die Fähigkeit zur Priorisierung und Selbststrukturierung erfährt, muss man mehr Bewerber einladen und mehr Bewerbern absagen und die schieben dann Frust. Kurzum: Es handelt sich hier um Employer Branding, also die Verbesserung der Unternehmensattraktivität, die bei Jobsuchenden den Eindruck erweckt, dass die Stelle mühelos zu haben sei.
Anschreiben durch einen Ghostwriter anfertigen lassen
Trotz allem: Was spricht gegen ein Anschreiben?
Ein Anschreiben kann man sich durch einen Ghostwriter anfertigen lassen. Einschlägige Angebote finden sich zuhauf im Internet. Zuweilen heißt es auch, dass sich Personaler nur drei Minuten mit einem Anschreiben befassen würden. Das wird nicht dadurch richtig, dass dies in bestimmten Medien permanent kolportiert wird. Aber natürlich gibt es auch schlechte Recruiter, die sich auf den ersten Eindruck verlassen und sich damit das Leben leichtmachen.
Welche Alternativen bieten sich an und sind aussagekräftiger?
Bitten Sie Ihren potentiellen neuen Arbeitgeber um ein Zoom- oder Webex-Meeting beziehungsweise einen Videocall. Die Einrichtung ist einfach und kann für beide Parteien eine gute Entscheidungshilfe abgeben. Durch Corona können doch inzwischen alle mit diesen Tools umgehen, dass sich zumindest für die Suche von High Potentials wunderbar eignet. Man begegnet sich auf Augenhöhe und kann auch als Bewerber gegebenenfalls entscheiden, dass man seinen Berufsweg in der fraglichen Firma nicht fortsetzen möchte.
Wie setzt man sich ohne Anschreiben auf Anhieb schriftlich ins rechte Licht?
In der angloamerikanischen Welt ist der „Letter of Motivation“ oder gar der „Letter of Recommendation“ Usus. Das ist mühsam, weil diese Dokumente im Zweifelsfall je nach Stelle angepasst werden müssen, zeigen aber ein ernsthaftes Interesse und bringen zumindest in global aufgestellten Unternehmen Punkte.
Wie findet man elegant heraus, ob ein Anschreiben gewünscht ist oder nicht?
Da sich Unternehmen mit dem Verzicht auf ein Anschreiben „schmücken“, finden Sie dazu meist etwas auf der Homepage.
Kraft einer Betreffzeile
Wenn schon Anschreiben: Wie fasst man es ab, damit es zündet?
Machen Sie eine Betreffzeile, damit der Adressat sofort sieht, worum es geht und welche Quelle Ihre Bewerbung generiert hat. Dann sagt der schon mal danke. Danach bekennen Sie in einem Satz Ihr Interesse an der Aufgabe und beantworten drei Fragen:
- Was kann ich?
- Wer bin ich?
- Was will ich?
Diese Aussagen zur Fachkompetenz, zur Persönlichkeit und zur Motivation müssen zur Aufgabe passen und glaubwürdig sein. Kein Personaler will sich um die Linde führen lassen. Eigentlich ist das gar nicht so schwer. Und denken Sie daran: Perfektion ist in ingenieurwissenschaftlichen Berufen unverzichtbar, was sich bereits im Anschreiben spiegeln sollte.
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