Bewerbung: Wie digitale Tools nutzen können – oder massiv schaden
Besonders für Personalabteilungen großer Unternehmen sind automatisierte, digitale Auswahltools im Bewerbungsprozess eine Verheißung: Sie sparen Zeit, Ressourcen und führen schnurstracks zu den richtigen Fachkräften. Idealerweise. Denn wer es mit den neuen Helferlein übertreibt, bewirkt das Gegenteil. Wie es richtig geht.
Künstlich-intelligente Bewerberauswahl, digitales Einladungsmanagement und automatisierte Assessments – schöne neue Recruiting-Welt. In der wird für Bewerber und vor allem Unternehmen vieles einfacher, doch alle technisch machbaren Register zu ziehen kann ein Schuss sein, der nach hinten losgeht.
Bald schon könnte im Grunde der gesamte Auswahlprozess digitalisiert werden, entwirft Andreas Frintrup ein womöglich nicht allzu fernes Szenario. Der Vorstandsvorsitzende der auf Bewerbermanagement und Eignungsdiagnostik bei der Personalauswahl spezialisierten HR Diagnostics AG skizziert ein System, das automatisch eine Stellenanzeige für die Unternehmenswebsite und andere Kanäle generiert.
„Die Kandidaten bewerben sich online, und die Software filtert direkt nach Eingang der Bewerbungen auf Basis von Algorithmen die allerbesten Bewerber für die angebotene Stelle heraus“, so der Experte.
Das System prüft außerdem von selbst, ob die übrigen Kandidaten aufgrund ihrer Fähigkeiten unter Umständen zu anderen Unternehmensbereichen passen. Alle anderen erhalten sofort automatisch und ohne Ihr Zutun eine Absage per E-Mail.
Recruiting und Bewerbung: „Soll immer ein menschlicher Prozess bleiben“
Frintrup: „Solch ein voll automatisierter Recruiting-Prozess hat sicherlich seine Vorteile. Aber: Personalsuche sollte immer ein menschlicher Prozess bleiben.“ Eben. Denn auch die ausgefeilteste KI wird nicht intuitiv sein und letztlich müssen die Mitarbeiter ins Team und zur Unternehmenskultur passen.
Mit Schlagworten und tiefschürfender Datenanalyse lässt sich das kaum ergründen. Schlimmer noch: „Bewerber, die fast direkt nach Einsendung ihrer Online-Bewerbung eine automatische Absage per E-Mail erhalten, sind tatsächlich weg – sie wissen, dass hinter dem Recruiting-Prozess kein Mensch steckt, sondern eine Maschine“, warnt Frintrup, „Für die Akzeptanz solcher Auswahlverfahren seitens der Kandidaten ist dies eher abträglich.“
Bewerbung: Diese Fehler müssen Sie vermeiden!
Ein Befund, den auch eine aktuelle Studie unter der Federführung der Kühne Logistics University zeigt: Demnach werden derart digital versierte Unternehmen zwar „tendenziell als innovativ wahrgenommen“, sie riskieren jedoch, dass das Verfahren als unfair empfunden wird, so Mitautor der Studie Nicholas Folger von der TU München. Unfair, weil, so die Wissenschaftler, durch digitale Methoden Kandidaten annehmen, „eher im Nachteil zu sein und sich weniger gut präsentieren zu können“.
Digitale Tools können Bewerbung für beide Seiten erleichtern
Was im Zweifel negativ auf den Arbeitgeber zurückfalle. Daher sollten Personalabteilungen und an dem Prozess Beteiligte mehr mit den Aspiranten kommunizieren und das Verfahren transparent machen, auch, indem man Bedenken bezüglich der digitalen Tools direkt anspricht. Zu der dringend gebotenen Offenheit zähle, „klar zu benennen, welche Informationen benötigt würden und auf Basis welcher Kriterien die spätere Auswahl der Bewerber*innen erfolge“. Wichtig sei auch der Hinweis, dass alle Information vertraulich behandelt und nur für die konkrete Bewerbung verwendet würden. Folger: „Wenn diese Hinweise beachtet werden, können digitale Tools den Bewerbungsprozess für beide Seiten erleichtern und sich positiv auf das Image des Arbeitgebers auswirken.“
Wie sieht ein fairer Auswahlprozess aus?
Das sind die Rahmenbedingungen. Wie ein für beide Seiten fairer automatisierter Auswahlprozess abläuft, der passende Kandidatinnen und Kandidaten liefert, und bei den Abgelehnten keine verbrannte Erde hinterlässt, umreißt Recruiting-Experte Frintrup:
- Die Bewerbungen auf eine ausgeschriebene Stelle sollen online eingehen. Dafür füllen die Bewerber zunächst einen spezifischen Personalfragebogen aus, der biografische Anforderungen wie den Ausbildungsstand oder Berufserfahrungen erhebt.
- In einem integrierten E-Recruiting-System werden die eingegangenen Bewerbungen dann automatisiert vorselektiert: Entlang der individuellen Berufsgruppendefinitionen ist das System in der Lage, nach spezifischen Kriterien automatisiert zu filtern und den Erfüllungsgrad der Anforderungen für jeden Bewerber in Ampelfarben anzuzeigen – ob die Kriterien also voll, eingeschränkt oder gar nicht erfüllt werden.
- Ergänzend können systemseitig Regeln definiert werden, was abhängig von der jeweiligen Ampelfarbe im nächsten Schritt passieren soll: Beispielsweise erhalten alle Bewerber mit einem „grünen Ergebnis“ automatisch eine Einladung zur nächsten Prozessstufe (zum Beispiel einem Online-Test), „gelbe Bewerber“ werden an eine Fachabteilung weitergeleitet, die über den nächsten Schritt entscheiden soll, und Kandidaten mit roter Ampel erhalten eine Absage per E-Mail.
- Weil es Unternehmen häufig wichtig ist, potenzielle Talente unabhängig von einer konkreten Stelle binden zu können, kann systemseitig beispielsweise festgelegt werden, dass alle „gelben Bewerber“ auf ihre Eignung für andere Stellen geprüft werden; ein Ingenieur mit einem interessanten Lebenslauf könnte so gegebenenfalls für eine Vielzahl von Stellen in Betracht gezogen werden. Auch in diesem Fall kann der Recruiter den weiteren Prozess im Vorfeld definieren: Nachdem ihm das System angezeigt hat, für welche Berufsbilder ein Kandidat noch infrage kommt, kann ihm der Recruiter aus dem System heraus eine E-Mail mit einem alternativen Angebot schicken – und signalisiert dem Bewerber damit seine Wertschätzung.
- Das Halten von Talenten kann auch noch einen Schritt weitergehen: Erfolgversprechende Kandidaten, für die aktuell keine passende Stelle offen ist, können ihre Einverständniserklärung abgeben, dass ihre Daten für einen gewissen Zeitraum gespeichert werden. In einem Talentpool, der in das System integriert ist, kann der Recruiter bei einer späteren Ausschreibung genau solche Kandidaten finden und ihnen eine erneute Einladung zum Bewerbungsprozess schicken – oder gar ein direktes Angebot machen. Das ist für berufserfahrene Bewerber ebenso interessant wie für Berufseinsteiger, die das Unternehmen beispielsweise als Praktikanten kennengelernt haben. Vorteil: Von dieser Personengruppe weiß man, ob sie zur Unternehmenskultur passen, sich für den Job interessieren und einen guten Eindruck hinterlassen haben.
- Um sicherzustellen, dass solche Informationen nicht verloren gehen, müssen sie nach dem Praktikum von der Fachabteilung festgehalten (dies geschieht über einen kurzen Online-Fragebogen, der automatisch verschickt wird) und zusammen mit dem voraussichtlichen Eintrittsdatum ins Berufsleben hinterlegt werden. Zum potenziellen Eintrittszeitpunkt erhält der frühere Praktikant dann automatisch eine E-Mail, in der er daran erinnert wird, dass das Unternehmen nach wie vor Interesse an ihm hat.
Auch wenn digitale Tools für Unternehmen und Jobaspirant neue Möglichkeiten eröffnen, sollte der persönliche Kontakt nicht zu kurz kommen: „Wenn sich Kandidaten bewerben“, so Frintrup, „dann tun sie das in dem Glauben, den Traumjob oder die perfekte Ausbildung zu finden. Diese Hoffnung sollte man nicht am Tag der Bewerbung durch eine automatische, standardisierte Absage platzen lassen.“ Auch wenn die Angaben nicht zu den formalen Kriterien passen, die im System hinterlegt sind, kann man sich solche Bewerbungen noch einmal persönlich ansehen oder an die entsprechenden Fachabteilungen schicken und diese entscheiden lassen. Frintrup: „Denn trotz aller Automatisierung sollte ein Recruiting-Verfahren ein menschlicher Prozess sein.“
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