Recruiting: So sollen Quereinsteiger bessere Chancen haben
Recruiting-Techniken haben sich seit Jahrzehnten kaum verändert. Dabei gibt es mehr als Lebenslauf-Lektüre. Automatisiertes digitales Recruiting soll neue Wege ebnen.
Menschen suchen in der Regel gern den geraden Weg. Vor allem in der Karriere, in der alles aufeinander aufzubauen scheint: Mit Abschluss A bekomme ich Job B, ohne Diplom C brauche ich mich um Job D gar nicht erst zu bewerben. Auch HR-Abteilungen denken so und beim Recruiting neuer Mitarbeiter ist oft die Grundfrage, von der alles weitere abhängt: Erfüllt der Kandidat die formalen Voraussetzungen für die Stelle? Denkmuster, die es aufzubrechen gilt, findet Morten Babakhani, Gründer und CEO von Brandmonks, einer Mainzer Managementberatung, das sich auf digitales Recruiting spezialisiert hat.
Ein modernes Recruiting müsse unbedingt auch Quereinsteiger im Auge haben: “Es gibt so viele unentdeckte Talente da draußen, die für Unternehmen wertvolle Mitarbeiter sein könnten”, sagt Babakhani. Er habe die Erfahrung gemacht, dass viele potenzielle Kandidaten keinen Zugang zu Positionen hätten, zu denen sie eigentlich perfekt passen würden – weil sie formale Voraussetzungen nicht erfüllten.
Recruiting: KI soll helfen
Zwei Jahre lang hat das Unternehmen an “Flynne” gearbeitet, einem Recruiting-Tool mit integrierter KI, das unter anderem genau dieses Problem lösen und für zielgenauere Matches sorgen soll.
KI im Recruiting: Macht sie Personalberater überflüssig?
Eine vollständig automatisierte Recruiting-Methode – ist das überhaupt abbildbar? “Flynne” kann das, heißt es bei Brandmonks selbstbewusst. Mithilfe einer KI wertet das Tool objektive Daten aus und stellt eine Prognose, um das Potenzial eines Bewerbers zu erkennen. Derzeit wirbt Brandmonks unter anderem über Social-Media-Kanäle um Kandidaten vor allem aus dem IT-Bereich und perspektivisch aus der Ingenieur-Branche. “Gerade hier zeigt sich, dass konventionelle Recruiting-Methoden an ihre Grenzen stoßen”, sagt Katharina Pratesi, Partnerin bei Brandmonks.
Digitales Recruiting-Tool nutzt Künstliche Intelligenz
Die geworbenen Kandidaten klicken sich dann durch eine Art Fragebogen. Anhand der Antworten erstellt die Software ein Profil und berechnet Kompetenzen und Fähigkeiten. Zur Frage, wie viele Personen bislang im Portfolio sind, äußert man sich beim Unternehmen eher vage. “Pro Monat kommen etwa 200 bis 600 Kandidaten hinzu”, sagt Katharina Pratesi. “Flynne” ist seit etwa einem halben Jahr aktiv, mutmaßlich gibt es also etwa 1.200 bis 4.000 potenzielle Jobkandidaten.
Diese sechs Faktoren bestimmen Ihr Einstiegsgehalt
Die intelligente Plattform spuckt den Kunden, also Unternehmen, einen passenden Pool an Kandidaten aus. Die Unternehmen wiederum zahlen in einer Art Abo-Modell eine entsprechende Gebühr dafür. Damit Flynn den idealen neuen Mitarbeiter präsentieren kann, benötigt die Firma einen User-Account inklusive Unternehmensprofil. Das soll laut Brandmonks in wenigen Klicks erledigt sein. Das Unternehmen erstellt daraufhin eine Persona für die zu besetzende Stelle. Welche Eigenschaften der perfekte Bewerber haben soll, können die Arbeitgeber dabei angeben. Dazu können sie eigene Daten aus ihrer Bewerbermanagementsoftware übertragen. „Flynne“ nimmt sich dieses “digitalen Futters” an.
Hard-Facts und Soft Skills beim Recruiting auswerten
IT-Kenntnisse sind in den letzten Jahren für Ingenieure immer wichtiger geworden. Ingenieure und Informatiker sind gesuchte Fachkräfte. 64 % der Arbeitgeber in Deutschland haben Probleme, geeignete Fachkräfte zu finden (Stand 2019). Laut Brandmonks sind vor allem Cybersicherheitsexperten schwer zu finden.
Ihre Recruiting-Lösung soll Abhilfe schaffen. Neben job-relevanten Hard Facts, wie das Beherrschen von Programmiersprachen, werden vor allem Potenziale und wichtige persönliche Eigenschaften der Kandidaten abgefragt und mit dem Jobprofil gematcht.
Wie Ingenieure ihren Traumjob bekommen, ohne sich bewerben zu müssen
Wichtige Soft Skills wie Selbstreflexion und Motivation sind für viele Unternehmen entscheidende Kompetenzen. „Flynne“ analysiert Motiv- und Wertestrukturen des potenziellen Bewerbers datenbasiert. Die KI im Hintergrund bildet eine “Kompetenzreise” mit den Teilnehmern ab. Doch diese verläuft keineswegs in einer Einbahnstraße. Die Bewerber erhalten parallel Informationen zur Branche, in der sie sich beworben haben.
Die Entwickler legen nach eigener Aussage Wert auf Chancengleichheit, daher werden keine soziodemografischen Daten erhoben. Der gesamte Prozess bleibt für den Kandidaten bis zum finalen Kennenlernen mit dem potentiellen Arbeitgeber anonym. Die Talentsuche zielt stark auf die Kompetenzen ab – und kann so auch Potenziale außerhalb der angestrebten Position oder Branche finden.
Können Kandidaten die KI austricksen?
Viel zu lange hätten sich Personaler und Recruiter auf alte Recruiting-Techniken verlassen, sagt Katharina Pratesi: “Seit Jahrzehnten spielt der tabellarische Lebenslauf eine zentrale Rolle.” Mit “Flynne” wolle man ein Umdenken fördern. Aber lässt sich die KI nicht austricksen? Was, wenn Kandidaten wissen, welche Antworten sie geben müssen, um besonders gut zu ranken und vielen Unternehmen vorgeschlagen zu werden? Dann wäre so ein Fragebogen ähnlich aussagekräftig wie die längst auswendig gelernten Antworten auf abgedroschene Personaler-Fragen á la “Was ist Ihre größte Schwäche?” (Spoiler: “Ich bin zu perfektionistisch” ist keine gute Antwort).
Jetzt reinhören: Prototyp – der Karriere-Podcast
Bei “Flynne” sei das anders, versichert Katharina Pratesi. “Die Antworten werden auf Konsistenz geprüft und der Test kann nur einmal durchlaufen werden. Außerdem zeigen unsere bisherigen Erfahrungen, dass unsere Matches sehr passgenau sind.” Spätestens beim ersten persönlichen Gespräch würde sich im Fall des Falles zu dem klären, ob ein Bewerber tatsächlich passt oder nicht – und: Es sei auch im Sinn des Kandidaten, ein möglichst passendes Unternehmen zu finden, und nicht irgendeines.
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