Exotische Positionen: Schuster bleib bei Deinen Leisten? In der Pflicht ja – in der Kür nein!
Karriereplanung: Zum richtigen Zeitpunkt, die richtigen beruflichen Entscheidungen treffen. Das ist gar nicht so einfach! Einmal Ingenieur in der Qualitätssicherung, immer Ingenieur in der Qualitätssicherung? Geht das auch anders?
Henryk Lüderitz zeigt in seinen Vorträgen auf den VDI nachrichten Recruiting Tagen immer wieder Perspektivwechsel auf. Sein Thema „exotische“ Positionen hat uns neugierig gemacht, deshalb möchten wir Henryk Lüderitz für unseren Blog ein paar Fragen stellen.
Guten Tag Herr Lüderitz, Ihr vorgeschlagener Titel zu diesem Blogbeitrag hat uns neugierig gemacht: Exotische Positionen – was bedeutet das?
Henryk Lüderitz: Schön, dass der Begriff „exotisch“ neugierig macht. Genau darum geht es mir auch. Wer sich von einer grauen Masse abheben möchte, der ist gut beraten, vieles anders zu machen, als alle anderen. Nehmen Sie mein persönliches Beispiel: Ich habe BWL studiert und schon während des Studiums häufig gehört, dass JEDER BWL studiert. Selbstverständlich ist das nur ein Vorurteil. Mir hat es beruflich aber an vielen Stellen geholfen, einen Weg einzuschlagen, den nicht alle BWL´er klassischer Weise gehen würden. In meinen 12 Jahren bei Vodafone und jetzt als Trainer für Young Professionals sind mir noch mehr Menschen begegnet, die abseits vom Mainstream eine ganz tolle Entwicklung und Karriere hingelegt haben. Meine These ist daher: Gezielt anders sein und den Mut für Aufgabenbereiche, Funktionen und berufliche Positionen außerhalb des allgemeinen Blickwinkels aufbringen.
Ein altes deutsches Sprichwort lautet: Schuster, bleib bei deinen Leisten.
Ja, das ist grundlegend richtig – und steht auch nicht in Widerspruch zu meiner These. Denn, wer Karriere machen will, muss etwas besonders gut machen können oder ein bestimmtes Problem sehr elegant lösen können. Dafür ist es notwendig, die eigenen Ressourcen gezielt zu überprüfen. Was kann ich wirklich gut und wovon sollte ich lieber die Finger lassen? Vera F. Birkenbihl hatte diesen Ratschlag in ähnlicher Form bereits vor vielen Jahren gegeben. Allerdings – und jetzt kommt der spannende Aspekt im Kontext unseres Themas zu „exotischen“ Positionen: Es ist ein Trugschluss, dass bestimmte Spezialkompetenzen nur in ganz bestimmten Berufsfeldern gefragt sind. Stattdessen könnte der Spezialist im Bereich der Qualitätssicherung z.B. überlegen, in welchen Bereichen des Unternehmens sein Wissen ebenfalls von Nutzen sein kann. Ich habe ganz konkret schon viele Ingenieure begleitet, die ihr technisches Know-How sehr erfolgreich z.B. in Finanzbereichen nutzen konnten. Umgekehrt habe ich sehr erfolgreich über 5 Jahre als technischer Projektleiter mit ca. 250 Ingenieuren zusammengearbeitet – und zwar erstaunlicherweise als BWL´er.
In Deutschland ist man leider noch häufig auf die Bereiche festgelegt, aus denen man kommt. Warum ist das so?
Meiner Meinung werden wir Deutschen hier einem Vorurteil gerecht, das im Ausland über uns kursiert. Speziell in Nord- und Südamerika gelten wir als „Quadratschädel“, weil wir in festen Denkmustern stecken. Dieses Klischee bedienend, gehört der Ingenieur eben in die Produktion und nicht in den Vertrieb oder zur Budgetplanung. Das ist zumindest häufig die Sicht der Arbeitgeber und Personalabteilungen. Auf Seiten der Bewerber findet sich jedoch ein ganz ähnliches Denkmuster, womit sich der konservative Denkmusterkreis schließt. Wie kann nun der Einzelne diese bestehenden Vorurteile sogar zu seinem persönlichen Vorteil nutzen? Ich plädiere an dieser Stelle und in meinen Vorträgen dafür, den Fokus sukzessive zu erweitern. Durch gezielte Fragen oder mit professioneller Hilfestellung kann man recht zügig herausfinden, welche weiteren Kompetenzen man beherrscht und wie sie sich für spannende, außergewöhnliche – also exotische – Positionen nutzen lassen.
Glauben Sie, dass Unternehmen in Deutschland so viel Phantasie haben, diese Bewerber auch einzustellen?
Nehmen wir den viel zitierten Fachkräftemangel ernst, sind die Unternehmen sogar irgendwann gezwungen, diese Offenheit mitzubringen. Innovative Unternehmen (besonders im Mittelstand) sind in diesem Punkt schon etwas fortschrittlicher. Allerdings meist aus der Not heraus, dass sich nicht genug „reine Spezialisten“ bewerben. Viele meiner Kunden auf der Unternehmensseite sind jedoch mit exotischen Personalbesetzungen sehr zufrieden, wenn sie entsprechend Zeit in die Einarbeitung und das Training investieren.
Wie kann ein Bewerber einem Unternehmen seine Qualifikation am besten vermitteln, auch wenn sie erst einmal nicht der Stellenausschreibung entspricht?
An dieser Stelle möchte ich vor zu viel Exotik warnen. Wer sich auf Stellen bewirbt, deren Grundanforderungen er nicht erfüllen kann, den wird auch die Prise Exotik nicht retten. Ein Praxisbeispiel: Wenn ein Vertriebsprofi für ein technisches Gerät gesucht wird, wird kaum ein Ingenieur punkten, der nicht über ausgeprägte und praxiserprobte Soft Skills im Bereich Kommunikation und Wirksamkeit verfügt. Es gilt also, gezielt Kompetenzen zu erwerben und in der Praxis auszubauen, die dem eigenen Profil etwas mehr Würze verleihen. Diese eher exotischen Kompetenzen müssen sich bereits im Arbeitsalltag bewährt haben. Der Schritt zu einer exotischen Position sollte daher nicht vom Zaun gebrochen werden, sondern gezielt geplant und Schritt für Schritt angegangen werden.
Vielen Dank für das interessante Interview. Exotische Positionen können ganz schön spannend sein und eine Alternative bei der Jobsuche bieten. Wir freuen uns auf Ihren nächsten Vortrag auf unserem VDI nachrichten Recruiting Tag.
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