Stellenanzeigen richtig lesen
Wie „echt“ ist eine Stellenanzeige? Kennen Sie Potemkinsche Dörfer? Potemkin war ein Meister im Kulissenbau. Er baute Dorfkulissen für Katharina II. von Russland, um sie über die Armseligkeit einer ganzen Region hinwegzutäuschen.
Auch der einstige rumänische Staatspräsident Ceausescu wird mit dem Begriff der Potemkinschen Dörfer gerne in Verbindung gebracht. Reiste er durch die Lande, wurden nicht selten etwa verdörrte Bäume mit Farbe „aufgefrischt“ oder Obstbäume mit an Draht befestigten Früchten nachgebessert. Es entstand ein Bild blühender Landschaften. Potemkinsche Dörfer und unsere heutige, häufig nur virtuelle Welt, passen irgendwie gut zusammen und in manchen Stellenanzeigen werden Kulissen aufgebaut, die einer realen Prüfung kaum standhalten. Schade, wenn Sie dann schon auf der Stelle gelandet sind und ex post feststellen, dass die wirkliche Welt anders aussieht. Klar, Arbeitgeber zeigen in Stellenausschreibungen ihre Schokoladenseite. Wie würden Anzeigen aussehen, die Arbeitswelten von Unternehmen ungeschminkt darstellten? Aber darum geht es genau beim Lesen von Stellenausschreibungen, herauszufinden was am Inhalt „echt“ ist. Kann ich im Vorfeld schon Luftnummern erkennen? Bringt mich die ausgeschriebene Stelle weiter? etc.
Geiz statt Reiz bei Stellenausschreibungen
Nachstehend zeige ich wenige Punkte auf, anhand derer Sie prüfen können, ob eine Bewerbung für Sie generell überhaupt Sinn macht. Beginnen wir beim „ersten Eindruck“. Stellenausschreibungen haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Bei der Suche nach dem vermeintlich wichtigsten Kapital für das Unternehmen herrscht Geiz. Musste früher richtig Geld in die Hand genommen werden, um eine Printanzeige zu schalten oder einen Personalberater zu engagieren, ist das heute eher der seltenere Fall. Billigvarianten beherrschen bei der Stellenbesetzung die Szene. Unternehmen, die keine Stellenanzeige in ansprechender Größe mit informativem Inhalt zustande bringen, kann man (fast) vergessen. Wenn schon bei der Stellenanbahnung geknausert, sich keine Zeit genommen wird, wie soll es im Falle einer Beschäftigung weitergehen?
Passgenauigkeit von Positionsbezeichnung, Aufgaben, Verantwortung
Der Darstellung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten fällt eine hohe Bedeutung zu. Prüfen Sie genau, ob Sie wirklich alle Aufgaben erfüllen können. Es bleibt heute nur wenig Zeit für die Einarbeitung. Der neue Mitarbeiter muss schnell produktiv werden und sich rechnen. Wer sich nach dem Motto bewirbt, diese oder jene Aufgaben könnte ich mir auch vorstellen oder nach einer gewissen Einarbeitung auch erfüllen, lässt die Bewerbung besser sein. Es gibt sicherlich genügend Kandidaten, die hier mehr drauf haben. Sind Sie sich bei Aufgaben und Verantwortung sicher, sehen Sie nochmals auf die Positionsbezeichnung. Passt sie zu den Aufgaben? Heute wird an Gehältern geknausert, wo es geht. Diesen Eindruck erwecken Stellenanzeigen, die beispielsweise den Projektingenieur suchen, bei den Aufgaben und Verantwortlichkeiten aber klar solche eines Projektmanagers dokumentieren. In Klartext: Es erwartet Sie schwere Arbeit bei mäßiger Entlohnung.
Phantasie und die Sache mit der Perspektive
Stutzig machen sollten den Leser zudem bombastische Positionsbezeichnungen, die schwache Aufgaben und Verantwortung aufwerten. Eine schöne Bezeichnung ist etwa der „Head of Irgendetwas“, der sich bei Licht besehen manches Mal doch nur als gehobener Sachbearbeiter entpuppt. Interessant fand ich einst die Bezeichnung „Heavyweight Projektmanager“. Neben phantasievollen Bezeichnungen sollten gebotene Perspektiven kritisch betrachtet und spätestens im Telefoninterview oder Vorstellungsgespräch hinterfragt werden. Was heißt z.B. „Abteilungsleiter in spe“? Perspektiven werden häufig in Anzeigen aufgezeigt, die Ingenieure einladen, auf gleichem Niveau zu wechseln. Da dies karrieretechnisch eigentlich wenig Sinn macht, schickt man als kleinen Trick „die Sache mit der Perspektive“ ins Rennen. Die nimmt im anschließenden Vorstellungsgespräch viel Raum ein und lässt große Phantasien zu. Ob die Perspektive jemals umgesetzt wird: Who cares?
Profunde Berufserfahrung nivelliert Abschlussniveau
Schwieriger wird es mit der Interpretation der Anforderungen. Beginnen wir mit dem Studienabschluss. Werden ausschließlich Bachelor- oder FH-Abschlüsse angesprochen, kann dies ein klares Zeichen für eine relativ schwach dotierte Position sein. Kandidaten mit höheren Abschlüssen müssen sich fragen, ob sie zu Kompromissen bereit sind. Werden dagegen ausschließlich Master-, TH- oder TU-Abschlüsse in der Anzeige aufgeführt, dürfen sich Absolventen und Young Professional, die diesem Anspruch nicht genügen, kaum Hoffnung auf ein Vorstellungsgespräch machen. Anders sieht es bei Management- und Expertenpositionen aus. Der langjährige Berufshintergrund nivelliert das Abschlussniveau, eine Bewerbung kann durchaus Sinn machen.
Drei entscheidende Anforderung erfüllen
Differenzieren Sie bei den weiteren Anforderungen der Stellenausschreibung nach „must have“ und „nice to have“. Peilregel: Die drei bis vier entscheidenden Anforderungen der Stellenanzeige müssen für eine chancenreiche Bewerbung erfüllt sein. „Wünschenswert“ bleib wünschenswert – nicht vorhandene Qualifikationen sollten nicht von einer Bewerbung abhalten. Allerdings lassen gerade die Anforderungen gut erkennen, ob die Anzeige ein theoretisches Produkt ist oder auf realistischen Füssen steht. Hier müssen Sie sich mit Ihrer Berufserfahrung selbst fragen, ob das Geforderte tatsächlich erfüllbar ist. Wird etwa ausschließlich der Kandidat der Gießereitechnik mit profunden Kenntnissen in bestimmten Werkstoffen und Produkten einer bestimmen Branche, mit langjähriger Erfahrung im Entwicklungs- und Fertigungsbereich sowie zusätzlichen Abschlüssen in Six Sigma, Projektmanagement und und und gesucht, stellt sich die Frage, was die Anzeige überhaupt bewirken soll. Einerseits könnte sie reinen „Spielcharacter“ haben. Möglicherweise will sich der Arbeitgeber aber so Spielräume für Gehaltsverhandlungen öffnen. Wer nicht ganz die Anforderungen erfüllt, sich trotzdem bewirbt, kann sich auf zähe diesbezügliche Verhandlungen einstellen.
Schön zu lesen – Konkretisierung nötig!
Sehr gute Bezahlung, gutes Betriebsklima, kurze Entscheidungswege etc. sind zwar schön zu lesen, bedürfen letztlich einer Konkretisierung. Ein knappes Bruttomonatsgehalt von 3000 Euro für eine fachlich anspruchsvolle Ingenieurstelle kann aus Sicht einer Führungskraft des Unternehmens, eine klar überbezahlte Position darstellen. Er wird sie daher als „sehr gut bezahlt“ zu Markte tragen. Wenig anfangen kann der Leser im Grunde auch mit Anforderungen, was die Softskills betrifft. Häufig erscheinen sie wie auf eine Perlenschnur aufgereiht und gehören eben einfach zu einer Stellenanzeige dazu. Doch welcher Ingenieur ist nicht analytisch, konzeptionell, belastbar, flexibel etc.?
… und zu guter Letzt das Drumherum
Und dann gibt es noch das Drumherum zur Stellenanzeige. Abgesehen von harten Daten und Fakten zum Unternehmen, kann der Rest vergessen werden. Er entsteht häufig in den Köpfen ausgefuchster Marketingspezialisten und hat oft so gut wie nichts mit dem Unternehmen zu tun. Da finden sich Abbildungen von Menschen und Produkten wieder, die irgendwo eingekauft wurden, weil die Fotos eben hübsch aussehen. Unternehmen, die sich am besten präsentieren, müssen lange noch nicht die besten Arbeitsplätze anbieten! Mich persönlich stören Stellenanzeigen, die zum Eintrag in ein automatisiertes Bewerbermanagementsystem nötigen. Aber da gehöre ich vielleicht einer Generation an, die das Internet nicht nur glorifiziert. Hier müssen sich natürlich Kandidaten mit einem ungewöhnlichen Lebenslauf fragen, ob sie ins Schema F passen oder ihren Lebenslauf passend machen wollen. Auch Stellenanzeigen, die keinen klaren Ansprechpartner benennen, der telefonisch Vorabfragen beantwortet, stoßen bei mir persönlich sauer auf und indizieren den Stellenwert der Personalbesetzung in einem Unternehmen.
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