Wie ein Bewerbungsprozess verläuft
Bewerber beurteilen den Bewerbungsprozess recht unterschiedlich, insbesondere wenn es um Zusagen für einen neuen Job geht. Der Optimist wertet schon einen wohlwollenden Augenaufschlag des Personalers im Vorstellungsgespräch als Zusage, der Pessimist sieht sich erst nach bestandener Probezeit in der neuen Festanstellung. Während in früheren Zeiten das „Ehrenwort“ galt und sich Kandidaten auf mündliche Zusagen im Vorstellungsgespräch verlassen konnten, ist man heute meilenweit davon entfernt.
Arbeitsvertrag unterschrieben und alles Gut? Mündliches zählt im Bewerbungsprozess im Grunde nicht viel! Standardbeispiel: Der Personaler traut sich im Vorstellungsgespräch dem Kandidaten nicht ins Gesicht zu sagen, dass er ihn für ungeeignet hält. Stattdessen verwendet er die Floskel: „Wir werden uns in der nächsten Woche bei Ihnen telefonisch melden!“. Der Bewerber wartet vergeblich auf einen Anruf. Der Pessimist, oder sagen wir besser der Realist, ist so gesehen besser dran. Er wird weitaus seltener enttäuscht. Er glaubt erst an ein neues Arbeitsverhältnis, wenn der Sack tatsächlich auch zu ist. Doch wann ist das wirklich der Fall?
Klar, erhebend ist das Gefühl schon, wenn nach erfolgreicher Bewerbung endlich der Arbeitsvertrag (oder sagen wir besser das Vertragsangebot) auf dem Tisch liegt. Die kurze Durchsicht zeigt: Alles in Ordnung, die Unterschrift wird unter das Papier gesetzt, dieses fein säuberlich in einen Briefumschlag versenkt und auf die Post gegeben. Nüchtern betrachtet ist damit schon etwas, aber lange noch nicht alles erreicht. Im Regelfall lässt der Arbeitgeber erst den Bewerber unterschreiben und gewinnt damit Zeit. Er lässt sich somit alle Optionen im Bewerbungsprozess offen bis das einseitig vom Kandidaten unterschriebene Vertragsangebot wieder im Unternehmen eingetroffen ist. Jetzt unterschreibt der Arbeitgeber – der Vertrag ist perfekt!
Laufende Bewerbungen im Bewerbungsprozess nicht absagen
Soweit, so gut. Die nächsten Tage im Bewerbungsprozess nutzt der Kandidat zur „Befreiung“ vom aktuellen Arbeitgeber. Die Kündigung wird eingereicht, für ein gutes Arbeitszeugnis muss Vorsorge getragen werden und, ach ja … da gibt es noch einige offene Bewerbungen bei Personalberatern und Unternehmen. Was tun mit diesen Bewerbungen? Zugegebenermaßen, es ist schon verlockend, den Personalentscheidern oder deren Beratern erhobenen Hauptes mitzuteilen, dass sie chancenlos sind, weil man sich bereits für eine hervorragende anderweitige Alternative entschieden hat. Dem einen oder anderen wollte der Kandidat ohnehin noch ein paar Takte zu ihrem Rekrutierungsstil aufs Butterbrot schmieren. Los geht´s!
Aber es ist nicht immer der beste Weg, einer Verlockung zu folgen. Möglicherweise werden zu einem späteren Zeitpunkt im Bewerbungsprozess die offenen Bewerbungen zum Rettungsanker! Diese Erfahrung machte ein Maschinenbauingenieur, der bei einem mittelgroßen Unternehmen als Leiter der wichtigsten Produktionslinie startete. Hervorragend schienen die Perspektiven und markig die Worte des Inhabers – zumindest in den Vorstellungsgesprächen. Gesucht wurde der Macher, der frischen Wind ins Unternehmen bringt. Nach Start in dem Unternehmen sah die Wirklichkeit völlig anders aus.
Offenen Bewerbungsprozess nutzen
An die Aussagen und Versprechungen im Bewerbungsprozess wollte oder konnte sich niemand mehr erinnern. Die zugesagte Rückendeckung durch den Inhaber erwies sich als pure Illusion – na ja. Unterhielt sich der Inhaber mit dem Ingenieur seinerzeit auf Augenhöhe, wurde in den ersten Tagen schnell eine klare Rangordnung hergestellt. Gängelungen und Zurechtweisungen gehörten zum täglichen Brot des Ingenieurs. Und wie war es mit dem „frischen Wind“? Mit großem Biss startete der Ingenieur sein Vorhaben, die Produktion wesentlich zu optimieren und auf den neuesten technologischen Stand zu bringen. Trotz höchstem Engagement sah er aber schnell die Sinnlosigkeit seines Vorhabens ein.
Der Ingenieur war sich sicher: Frustration auf seiner Seite und Enttäuschung bei der Geschäftsführung würden sicherlich über kurz oder lang zur Kündigung führen – und dann? Es gab da noch einen offenen Bewerbungsprozess aus der Jobsuche. Der Produktionsmanager sichtete erneut die Antworten auf seine Initiativbewerbungen und fasste den Entschluss, offene Kontakte wiederzubeleben. In der Tat führte das zu zwei weiteren Vorstellungsgesprächen und der Ingenieur konnte tatsächlich erneut das Unternehmen wechseln. Er kam also mit einem blauen Auge davon.
Bewerbungsprozess endet nach der Probezeit
Es kann nicht verkehrt sein, nach abgeschlossener Bewerbung und unterzeichnetem Arbeitsvertrag, einen offenen Bewerbungsprozess weiter zirkulieren zu lassen. Möglicherweise ist man Morgen froh, eine weitere Alternative auf den Tisch zu bekommen. Für dieses Verfahren sprechen viele Gründe, weil sich niemand seiner Sache ganz sicher sein kann. Zum einen kann das neue Engagement aus persönlichen Gründen in der Probezeit scheitern. Die wirtschaftliche Lage kann sich aber auch beim Arbeitgeber zwischenzeitlich fundamental verändern. Dies gilt besonders für die heutige, schnelllebige Zeit.
Im schlimmsten Falle für einen Kandidaten, wird gleich ganz auf seinen Antritt verzichtet. Es können zudem geplante Vorhaben eingestampft werden. Der neue Mitarbeiter startet zwar zum vereinbarten Zeitpunkt, es gibt aber keine Projekte und Aufgaben für ihn. Vielleicht kommt es zu Umstrukturierungen mit personellen Konsequenzen. Möglicherweise präsentiert sich dann am Einstiegstag ein völlig Unbekannter als der neue Vorgesetzte, der bestimmte Dinge ganz anders sieht als sein Vorgänger. Es gibt also genügend Gründe einen offenen Bewerbungsprozess zumindest solange am Leben zu erhalten, bis man seiner Sache ganz sicher ist und dies ist im Grunde erst nach absolvierter Probezeit so.
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