Gräueltaten in der NS-Zeit 12.02.2025, 18:30 Uhr

Auschwitz: Der Koffer von Gertrud Friedberg als Zeitzeugnis

Am 27. Januar jährte sich die Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau. Im Museum sind Koffer derer zu sehen, die von den Nazis ermordet wurden.

Der Haupteingang in das Konzentrationslager Auschwitz mit der berüchtigten Überschrift „Arbeit macht frei“. Foto: Rudolf Stumberger

Der Haupteingang in das Konzentrationslager Auschwitz mit der berüchtigten Überschrift „Arbeit macht frei“.

Foto: Rudolf Stumberger

Ein moderner Laborraum mit Arbeits­tischen und gekacheltem Fußboden. Von der Decke hängen sechs Absaugvorrichtungen mit Teleskoparmen. Auf einem der Tische liegt ein alter Koffer, sehr abgenutzt und ziemlich verbeult. An der Seite befindet sich ein Namensschild: „Friedberg Gertrud“ ist da zu lesen. Blickt man aus dem Fenster des Labors, sieht man Stacheldraht und dahinter die Mauern eines Gebäudes. Nicht dort ist Gertrud gestorben. Sondern im 3 km entfernten Lager Auschwitz-Birkenau, wo die 53-Jährige im August 1942 ermordet wurde. Heute wird ihr Koffer im Labor des Auschwitz-Museums konserviert, um für die Zukunft erhalten zu bleiben. „Wir wollen die Opfer aus der Anonymität holen“, sagt dazu Konservatorin Christin Rosse, die seit 2013 im Museum arbeitet.

Das Labor ist in einem Teil des Gebäudes untergebracht, das einst zur Registrierung der KZ-Gefangenen diente. Von dort aus sind es nur wenige Schritte bis zum Haupttor, über dem der berüchtigte Spruch „Arbeit macht frei“ steht. Es war der Eingang in die furchtbare Welt des Konzentrationslagers Auschwitz I oder des Stammlagers, wie es auch genannt wurde. Am 1. September 1939 marschierte die deutsche Wehrmacht in Polen ein, was den Beginn des Zweiten Weltkrieges bedeutete.

Das moderne Labor: Hier erfolgt die Untersuchung von ganz unterschiedlichen Gegenständen, die seit der Befreiung des Lagers im Archiv des Museums eingelagert wurden.

Foto: Rudolf Stumberger

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Nach dem Sieg der Wehrmacht verschwand Polen von der Landkarte, ein Teil – darunter auch die Kleinstadt Oświęcim, die nun Auschwitz hieß, rund 50 km westlich von Krakau – wurde dem Deutschen Reich zugeschlagen. Hier errichteten die Nationalsozialisten 1940 auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne ein Konzentrationslager, zunächst um polnische Widerständler und Intellektuelle einzusperren. Dazu wurde ein großes Areal enteignet und zum Interessengebiet erklärt, was den Titel des Films über das Leben der Familie des Lagerkommandanten Rudolf Höß – „The Zone of Interest“ – verständlich macht. Die Villa des Kommandanten lag direkt neben dem Lager und ist heute in Privatbesitz.

Auschwitz-Birkenau: Stätte eines Massenmordes an jüdischen Menschen

1941 begann man mit dem Bau von Auschwitz II oder Auschwitz-Birkenau – einem gigantischen Lager für 100.000 Menschen, in dem zunächst russische Kriegsgefangene untergebracht werden sollten. Mit der Errichtung der Gaskammern dort wurde Auschwitz zu dem Begriff, mit dem es in die Geschichte einging: Als Stätte eines gigantischen Massenmordes vor allem an jüdischen Menschen, die hierher aus allen Teilen Europas in Viehwaggons transportiert und umgebracht wurden. Durch das Haupttor führten die Eisenbahnschienen zu einer Rampe, an der Ärzte über das Leben entschieden: Die jungen Arbeitsfähigen kamen ins Lager, die Alten, Kranken und Frauen mit Kindern wurden ins Gas geschickt.

Nicht wissend, wie ihr Schicksal aussehen sollte, trugen diese Menschen einen kleinen Teil ihrer Habseligkeiten mit sich, in Koffern, Körben, Taschen. Es sind diese Dinge, die von ihnen geblieben sind, nachdem die Rote Armee am 27. Januar 1945 das Lager befreite. Heuer wird zum 80. Mal an diesen Tag erinnert.

Mit wissenschaftlichen Methoden Zeugen der Vergangenheit vor dem Verfall retten

Und daran erinnern, das sollen im heutigen Museum Auschwitz-Birkenau auch diese Artefakte, als Zeugen der Vergangenheit. Das ist der Grund, warum sie mithilfe von wissenschaftlichen Labormethoden vor dem Verfall gerettet werden sollen. Oder mit den Worten von Slawomir Wilczynski, Professor an der Schlesischen Medizinischen Universität in Kattowitz, um die Zeugnisse der Wahrheit zu bewahren, denn „diese Wahrheit ist in jedem Ziegelstein, in jedem Objekt und in jedem Artefakt, das von den Laboratorien sorgfältig gesammelt und untersucht wird“. Diese Worte sprach der Experte für Bioengineering anlässlich der Eröffnung der neuen Forschungslabors im Museum. Mit neuer Ausstattung können hier die insgesamt 33 Mitarbeiter physikalisch-chemische und molekularbiologische Untersuchungen durchführen.

Und es gibt viel zu tun. So befinden sich in der Sammlungsabteilung des Museums derzeit 3800 Koffer, 110.000 Schuhe, über 6000 Zahnbürsten, 470 Prothesen und Korsagen, 12.000 Stück Emaillegeschirr, aber auch 950 Zyklon-B-Dosen und 270 laufende Meter Archivmaterial. Das Archiv ist in einem der Gebäude im Inneren des Lagers untergebracht.

Museumsmitarbeiter Lukasz Janiga zeigt einige der Koffer. Wie andere Habseligkeiten der Inhaftierten auch gelten sie als stumme Zeitzeugen der Gräueltaten im Nationalsozialismus.

Foto: Rudolf Stumberger

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Zusammen mit Museumsmitarbeiter Lukasz Janiga betreten wir einen Raum, in dem konstant eine Temperatur zwischen 20 °C und 22 °C herrscht und eine niedrige Luftfeuchtigkeit. Unter dem Licht der Neonröhren öffnet der Archivar einen der Metallschränke und zieht eines der Objekte heraus: Unter der Registriernummer PMO-II-1–1913 findet sich ein Koffer, auf dem Deckel steht groß der Name „Frischmann Hedwig“ neben verschiedenen Nummern.

Dies ist eines der Objekte, die irgendwann im Labor von Restauratorin Christin Rosse bearbeitet werden. Die 37-Jährige stammt aus Cottbus, hat in Köln auf Buch- und Papierkonservatorin studiert, Studierende der Fachhochschule kamen erstmals 1993 bei einer Studienreise nach Auschwitz. Seit mehr als zehn Jahren ist sie nun hier fest angestellt und lebt auch in der Stadt.

Koffer waren früher ein Luxusgut, ein Zeichen für den gehobenen Mittelstand

Ein Teil ihrer Arbeit besteht in der Beschreibung der Dinge, die sie unter ihre Fittiche nimmt. Bei dem Koffer von Gertrud Friedberg liest sich das so: großer Reisekoffer, 2 kg bis 3 kg schwer, Boden leicht deformiert, Deckel hingegen nicht, Stahlmetallverschlüsse, Eckbeschläge fehlen, gefertigt aus Vulkanfieber (eine Zellulose-Art), Griff aus Leder mit Schnur, auf der linken Schmalseite das Namensschild. Außerdem ist auch das Fragment eines Produzentenlabels erkennbar, der Koffer wurde von der 1925 gegründeten tschechischen Firma Kazeto gefertigt, die es heute noch gibt.

Die Koffer sind auch ein soziologisches Indiz: „Reisen war zu dieser Zeit ein Luxusgut, etwa des gehobenen Mittelstandes“, weiß Restauratorin Rosse. So zeigen Fotos von der Ankunft deportierter ungarischer Juden 1944 an der Selektionsrampe vor allem Bündel und Körbe, in denen die Habseligkeiten untergebracht sind.

Bei konstanten Temperaturen aufbewahrt: ein Teil der rund 3800 Koffer im Besitz des Museums.

Foto: Rudolf Stumberger

Was passiert mit den Koffern im Labor, damit sie künftig ausgestellt werden können? Zunächst geht es um eine umfangreiche fotografische Dokumentation in einem modernen Fotolabor, in dem die Objekte aus verschiedenen Winkeln abgelichtet werden. Bei der mikrobiologischen Untersuchung geht es zum Beispiel um die Feststellung von Schimmel (oder Sporen), der entfernt werden muss, damit nicht andere Artefakte davon betroffen werden können.

In der Dauerausstellung des Museums Auschwitz-Birkenau sind auch Koffer von einigen der Menschen zu sehen, die von den Nationalsozialisten in das Konzentrationslager verschleppt wurden.

Foto: Rudolf Stumberger

Jetzt beugt sich Christin Rosse im Labor über den Koffer und beginnt mit einem kleinen Schwamm den Staub im Inneren zu entfernen; er könnte zum Träger von Mikroorganismen wie eben Schimmelpilzen werden. Etliche der Artefakte im Archiv wurden bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren konserviert, jetzt werden die damals aufgetragenen Oberflächenlacke, mit denen auch der Staub konserviert wurde, wieder abgetragen.

Nicht die komplette Wiederherstellung des Koffers ist das Ziel, sondern der Erhalt in seiner jetzigen Form. Dazu gehört etwa das Auftragen von Schutzschichten auf Metalloberflächen um das Rosten zu verhindern. Wie lange dauert es, bis ein Koffer auf diese Weise konserviert wird? Zwischen drei und vier Wochen, so die Antwort der Restauratorin.

Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau als Lernort für künftige Generationen

„Als wir begannen, die Labors für die Konservierung einzurichten“, so Museumsdirektor Piotr Cywinski, „war die erste Herausforderung von Anfang an die Wahl der richtigen Konservierungsmethoden für Materialien, die sonst nirgendwo in der Welt konserviert werden.“ Und: „Das ist nicht nur notwendig aus der Perspektive dieses ungewöhnlichen Ortes heraus, sondern auch aus der Perspektive einer Konservierung für die Zukunft.“

Denn das Auschwitz-Birkenau-Museum soll ein Lernort sein, auch für künftige Generationen. „Wir hoffen, dass die Leute, die Auschwitz besuchen, danach sich ein wenig verändert haben“, so der Direktor. 2023 wurden in der Gedenkstätte wieder 1,6 Mio. Besucher gezählt, nachdem diese Zahl in den Corona-Jahren 2020 und 2021 drastisch nach unten gegangen war. Wurde doch 2019 ein Höchststand von 2,3 Mio. gezählt. Durch das Lager geführt werden die Besucher von 324 Museumsführern, die Touren in 20 Sprachen anbieten.

An Gertrud Friedbergs Schicksal erinnert heute ein Gedenkstein in ihrer Heimatstadt Freiburg. Die Lehrerin wurde 1940 verhaftet und zunächst in ein Lager in Frankreich gebracht, bis sie nach Auschwitz deportiert wurde. Ihre Tochter Hanna überlebte in England.

Ein Beitrag von:

  • Rudolf Stumberger

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