Frankreichs Universitäten sollen sich fürs Englische öffnen
Die französische Nationalversammlung hat mehr englischsprachige Kurse und Vorlesungen an staatlichen Universitäten zugelassen. Vor allem ausländische Studenten aus China, Indien, Japan und Südkorea sollen ins Land kommen. Darüber droht ein Kulturkampf, weil die Gegner der Vorlage den Identitätsverlust der Grande Nation vermuten.
Der heftige Streit über den umstrittenen Paragraphen 2 des ratifizierten Textes des neuen Hochschulgesetzes geht trotz des Votums unvermindert weiter. Die sozialistische Hochschulministerin Geneviève Fioraso, eine frühere Englischlehrerin, will die Universitäten „lüften und weltoffener“ gestalten. „Das gallische Dorf muss seine Türen aufstoßen!“, fordert sie. Und: “ Was Fach- und Elitehochschulen können, darf den Unis nicht verwehrt werden.“
Die Verwaltungshochschule Ecole Nationale d´Administration (ENA) sowie andere Grands Ecoles haben in ihrem Studienprogramm Englischunterricht schon seit Jahrzehnten. Derzeit beträgt der Anteil ausländischer Studenten 13 %, die Ministerin will ihn auf 15 % erhöhen.
Nur 800 englischsprachige Veranstaltungen an Universitäten
Lediglich 800 Englischkurse und -vorlesungen gibt es, viel zu wenig gemessen am Ansturm studierwilliger Ausländer, meint die Ministerin. Ein Berater ergänzt: „Wissenschaft ist heute Netzwerkarbeit, nicht nur in Frankreich. Nötig ist ein gemeinsames Kommunikationsmittel. Das ist die englische Sprache. Wir haben keine andere Wahl.“ Nach einer aktuellen Umfrage sagen 83 % der Labordirektoren in Frankreich, Englisch sei die meistverwendete Sprache in ihrem Beruf.
Die Unterrichts- und Prüfungssprache an den Hochschulen ist grundsätzlich französisch. Ex-Kulturminister Jacques Toubon, ein glühender de Gaulle-Anhänger, hatte 1994 im Parlament ein Gesetz durchgesetzt, das Frankreich gegen das rasant expandierende Englische – allein schon durch den Computervormarsch – abschotten sollte. Anglizismen dürften nicht mehr verwendet werden, dekretierte er. „Walkman“ musste durch „Baladeur“ und „Software“ durch „Logiciel“ ersetzt werden. Werbesprüche, so der Purist Toubon, müssten ins Französische übersetzt werden.
Spontan unterstützte ihn der „Verein zur Verteidigung der französischen Sprache“: „Sie haben Grund zur Sorge: An den Häuserwänden von Paris stehen heute mehr englische Wörter als deutsche Wörter während der Zeit der Besetzung!“ Und, gallisch befeuert, die Meinung des Verbandes: „Es ist jetzt Zeit für den Widerstand!“
Franzosen erhielten Nobelpreis für Forschungsarbeit in Englisch
Es geht Geneviève Fioraso im zweiten Artikel des Hochschulgesetzes um die Anpassung an die Wirklichkeit. Leuchtendes Beispiel der Realität: Für ihre bahnbrechende Forschungsarbeit erhielten die französischen Virologen Francoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier 2008 gemeinsam dem deutschen Kollegen Harald zur Hause den Nobelpreis für Physiologie bzw. Medizin. Bemerkenswert: Die französischen Wissenschaftler hatten ihre bahnbrechende Arbeit in Englisch verfasst.
Die Sprachwächter der Académie Francaise müssen sich mit dem Bedeutungsverlust ihrer Sprache abfinden: In Wissenschaft, Technik, Werbung, im Handel und Geschäftsverkehr dominiert das Englische.
In den Handels- und Ingenieurschulen werden Englischkurse angeboten. Arbeitsmarktexperten sagen, es sei in Frankreich heute schwer, ohne ausreichende Englischkenntnisse einen Job zu bekommen. Die Globalisierung der Unternehmen bestimme die internationalen Spielregeln. Wer Führungspositionen anstrebe, macht sich am besten mit Englisch vertraut. Anders ausgedrückt: Verriegelt das gallische Dorf seine Türen, nabelt sich sein studentischer Nachwuchs von der modernisierten, englischsprechenden Arbeitswelt ab.
Furcht, dass Französisch zur toten Sprache wird
Das Gesetz ist noch nicht endgültig durch. Es muss noch den Senat passieren. Die Kritiker hoffen, dort das Vorhaben zu Fall zu bringen. Propagandistische Schützenhilfe erhalten sie vom populären Fernsehmoderator Bernard Pivot, dessen Literatursendungen beliebt sind: Das Französische verkomme zu einer „toten Sprache“, schimpft er. „Kämpfen wir für unsere schöne Sprache!“
40 Parteifreunde der französischen Sozialistin verlangen ebenfalls die Streichung des zweiten Paragraphen. Wer Englischkurse anbietet, müsse eine Zusammenarbeit mit einer ausländischen Hochschule vorweisen oder Gelder aus Brüssel beziehen, fordern sie.
Apropos Brüssel: Seit Jahren wird in Paris misstrauisch beobachtet, wie in vielen europäischen Organisationen Französisch zurückgedrängt wird. Englisch sei unbestreitbar auf dem Vormarsch, sagen Insider. Einige hohe Beamte vermeiden aber Englisch, weil sie die Sprache unzureichend beherrschen. Französisch geht auch in den Stäben des NATO-Bündnisses zurück. Auf vielen Konferenzen wird das einst als „Sprache der Diplomatie“ gerühmte Französisch schon lange nicht mehr als Verkehrssprache gesprochen.
Mitterrand und Sarkozy sagten „non“ zu Verhandlungen in Englisch
Frankreichs Präsidenten waren keine sprachgewandten Staatsmänner. Ein wenig Englisch sprachen General de Gaulle (während des letzten Krieges war er im Londoner Exil) und der Liberale Valéry Giscard d´Estaing. Englisch war weder für den Sozialisten Francois Mitterrand noch für den Konservativen Nicolas Sarkozy eine Verhandlungssprache. Ihre Dolmetscher saßen stets in Hörnähe. Auch Francois Hollande ist kein Sprachgenie. Bei Sarkozy kam hinzu, dass Sprachforscher ihm einen lausigen Umgang mit der Muttersprache bescheinigten.
Dazu schweigen die Sprachhüter der Académie Francaise, die sich als oberste Instanz bei der Pflege der französischen Sprache empfindet. Sie kommentierten kritisch den Gesetzentwurf der Regierung: „Der Text entmachtet unsere Sprache. Deshalb fordern wir den Gesetzgeber auf, das Vorhaben umgehend abzublasen.“ Das gallische Dorf soll hinter verschlossener Tür bleiben, der Sprachenstreit innen ausgefochten werden.
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