Streitgespräch: Droht der Uni-Forschung der Kollaps?
In Deutschland sind Universitäten und außeruniversitäre Einrichtungen für die Forschung zuständig. Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes (DHV), und Jürgen Mlynek, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, sind sich einig, dass das so bleiben soll. Auch die Unterfinanzierung der forschenden Hochschulen ist beiden ein Dorn im Auge. Den Vorwurf des „Vormachtstrebens“ der Helmholtz-Gemeinschaft im Wettbewerb um Fördergelder aber weist Jürgen Mlynek zurück.
Bernhard Kempen: Mit dem Auslaufen zentraler Förderprojekte wird die deutsche Wissenschaftslandschaft neu vermessen. Insbesondere ihr größter außeruniversitärer Player, die Helmholtz-Gemeinschaft, reklamiert für sich eine Vormachtstellung und will selbst Förderorganisation werden. Durch Netzwerke und Partnerschaften unter ihrer Führung soll die Lösung drängender Forschungsfragen in Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie sowie Luftfahrt, Raumfahrt und Verkehr erfolgen.
Bei der Umsetzung solcher Pläne geriete das bisherige Gleichgewicht zwischen universitärer und außeruniversitärer Forschung vollends aus dem Tritt: Von Haushaltszuwächsen von bis zu 5 %, die der „Pakt für Forschung und Innovation“ den außeruniversitären Forschungseinrichtungen generell bescherte, konnten die Universitäten bislang nur träumen, zumal sie um ihre Forschungsgelder im harten Wettbewerb bei der Exzellenzinitiative kämpfen mussten.
Mehr Autonomie, die der Bund im „Wissenschaftsfreiheitsgesetz“ den außeruniversitären Einrichtungen gewährte, verweigerten die Länder der Alma Mater. Trotz Hochschulpakten stehen die Universitäten nahezu allein vor dem „Studentenberg“. Mit den explodierenden Studierendenzahlen hält die Anzahl der Professuren nicht Schritt. Fortlaufend verschlechtert sich die Betreuungsrelation von Hochschullehrer zu Studierenden. Inzwischen liegt sie im Durchschnitt bei 1:63.
Finanzströme umleiten – von Helmholtz zu den Universitäten
Umso dringlicher ist es, Helmholtz’ Vormachtstreben zurückzuweisen und die Finanzströme zugunsten der Universitäten umzulenken. Dazu muss der Gesetzgeber endlich handeln: Nach einer Novellierung des Grundgesetzes muss der Bund gemeinsam mit den Ländern dauerhaft auch Forschung und Lehre an Hochschulen fördern dürfen. Bei der außeruniversitären Forschungsförderung müssen durch eine Vereinheitlichung des Finanzierungsschlüssels von Bund und Ländern gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen geschaffen werden. Der Bund sollte 70 % und das jeweilige Sitzland 30 % der Kosten tragen.
Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen müssen gleichberechtigt und symbiotisch zum Vorteil des Gesamtsystems wirken können. Ohne grundgesetzliche Korrektur blieben die Fusionen von Universitäten mit außeruniversitären Einrichtungen wie beim Karlsruher Institut für Technologie oder beim Berliner Institut für Gesundheitsforschung für Universitäten die einzige Medizin, um mithilfe des Bundes zu einer adäquaten Forschungsausstattung zu gelangen.
Die außeruniversitären Einrichtungen würden dominieren, die Universitäten wären dagegen marginalisiert. Ihre Fachbereiche würden immer weiter filetiert. Eine Lenkung von außen („top down“) passt aber nicht zur universitären Forschungskultur, die von unten nach oben („bottom up“) strukturiert ist.
Das lehren auch die ersten Erfahrungen mit den im Jahr 2011 ins Leben gerufenen „Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung“, in denen medizinische Helmholtz-Zentren mit Universitätsklinika bei der Erforschung von Volkskrankheiten eher von oben herab als auf Augenhöhe zusammenwirken. Staatlich finanzierte Forschung muss zuallererst in der Universität stattfinden. Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sollten daher nur dann gegründet werden, wenn die Universität organisatorisch dazu nicht in der Lage ist.
Universitäre Forschung und sich daraus ständig erneuernde Lehre gehören zusammen. Eine Universität ohne Forschung ist keine Universität mehr.
Jürgen Mlynek: Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Peter Strohschneider, nennt die Universitäten die „Herzkammer der Wissenschaft“. Ich kann ihm nur zustimmen. Das heißt aber auch: Unser Wissenschaftssystem ist nur gesund, wenn die Universitäten es sind. Und hier liegt das Problem.
Nicht, dass unsere Universitäten sich verstecken müssten, sie sind exzellent und häufig strategisch sehr gut aufgestellt. Doch gleichzeitig leiden sie unter einer massiven strukturellen Unterfinanzierung, nicht nur, aber vor allem in der Lehre. Um Abhilfe zu schaffen, müssen wir bereit sein, die Grundlagen unseres Wissenschaftssystems teilweise zu verändern.
Es ist unumgänglich, das Grundgesetz so zu reformieren, dass der Bund in die Lage versetzt wird, Hochschulen und Universitäten institutionell, das heißt: dauerhaft, zu unterstützen. Nur dann müssten die Wissenschaftler an den Universitäten nicht zu viel ihrer wertvollen Zeit damit verbringen, unaufhörlich Drittmitteln hinterherzujagen, die auch nur noch projektbezogen sind.
Gleichzeitig würde auch von außeruniversitären Forschungsorganisationen wie Helmholtz der Druck genommen, bei jeder Kooperation mit Universitäten unter dem Generalverdacht zu stehen, die Universitäten mit ihrem Geld in eine Abhängigkeit zu drängen. Wir bei Helmholtz wollen freie, themenbezogene Kooperationen auf Augenhöhe.
Würde die Verfassungsänderung realisiert, hätte auch die Geisterdebatte ein Ende, Helmholtz würde eine grundsätzliche Neuordnung der Forschungsförderung anstreben, um selbst umfassende Projekte fördern zu können. Helmholtz ist keine Fördereinrichtung, sehr wohl aber ist es Teil unserer von der Politik definierten Mission, Projekte und Kooperationen zu fördern, die innerhalb unserer Forschungsbereiche liegen.
Stimmt: Den Außeruniversitären geht es besser
Es ist nicht abzustreiten, dass es den Außeruniversitären besser geht als den Unis. Max-Planck, Leibniz, Fraunhofer und Helmholtz können dank des hohen Finanzierungsanteils durch den Bund die nötige Leistungsfähigkeit entwickeln, die sie für ihre gesellschaftlichen Forschungsaufträge benötigen.
Helmholtz etwa forscht im staatlichen Auftrag, um gesellschaftliche Fragestellungen zu lösen. Im Gegenzug zur staatlichen Unterstützung haben wir uns mit dem Pakt für Forschung und Innovation verpflichtet, Wachstum und Wohlstand zu fördern. Und zwar durch Konzentration auf Exzellenz, durch Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und durch neue Formen der Zusammenarbeit, vor allem international.
Allerdings darf das gesamte Wissenschaftssystem jetzt nicht in dem Bemühen um Weiterentwicklung nachlassen, denn wir können international nur strahlen, wenn unsere nationale Forschung stark ist. In den vergangenen Jahren war das der Fall – durch die immer häufigeren internationalen Kooperationen zwischen außeruniversitären Einrichtungen und weltweit exzellenten Unis im In- und Ausland. Hier geht es nicht in erster Linie um Wettbewerb, sondern um das Miteinander, um das Nutzen von Synergien und gemeinsamer Kompetenzen.
Es wäre im Sinne unserer Wissenschaftslandschaft, wenn universitäre und außeruniversitäre Partner bei dieser Weiterentwicklung noch viel stärker an einem Strang zögen. Denn eines steht fest: Bei einem bloßen „Weiter so“ stößt das deutsche Wissenschaftssystem bald an seine Grenzen. Es ist an der Zeit, dass die Universitäten in den nächsten Jahren die gebührende Stärkung erfahren, die ihnen zusteht. Wer glaubt, dass eine solche Besserstellung zum Nachteil der außeruniversitären Forschung wäre, irrt gewaltig. Denn ein Entweder-Oder der Förderung gibt es nicht, sondern nur ein Sowohl-als-auch.
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