Arbeiterkinder scheuen den Schritt in die fremde akademische Welt
Trauen sich Kinder aus sozial schwachen Familien an das Wagnis Hochschule heran, finden sie sich meist in einer fremden Welt wieder, die ihnen wenig Rückhalt bietet. Dabei wären gerade die Ingenieurwissenschaften geeignet, dem Wunsch dieser jungen Menschen nach kurzen, strukturierten und anwendungsbezogenen Studiengängen gerecht zu werden.
In Deutschland hängen die Bildungschancen stärker als in anderen Ländern von der sozialen Herkunft ab. Das wird durch die neue nationale Bildungsstudie bestätigt. Besonders in Bayern und Baden-Württemberg, die in der Studie die besten Resultate erzielten, geht die Schere auseinander. Dort sind die Klippen für Arbeiterkinder, ein Gymnasium zu besuchen, besonders hoch. In Bayern sind die Chancen 6,6 mal geringer als für Kinder aus wohlhabenderem Haus, in Baden-Württemberg 6,5 mal (Bundesdurchschnitt: 4,4 mal).
Haben es Arbeiterkinder bis zur Hochschulreife geschafft, verzichten sie eher auf ein Studium als Kinder aus Akademikerfamilien, von denen im Jahr 2008 lediglich 23 % der Hochschulberechtigten andere Ausbildungswege als ein Studium wählten. Von den Arbeiterkindern nahmen 35 % kein Studium auf, wie vom Hochschul-Informations-System (HIS) zu erfahren ist.
Im Jahr 2007 begannen von allen jungen Erwachsenen zwischen 19 und 24 Jahren, deren Vater über Hochschulreife verfügt, drei Viertel ein Hochschulstudium. Bei Kindern, deren Vater eine Volks- oder Hauptschule besuchte, betrug die Bildungsbeteiligung 20 % und fiel damit mehr als dreimal geringer aus.
In Deutschland seien einmal eingeschlagene Bildungswege nur mit hohem Aufwand korrigierbar, heißt es in der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW): „Internationale Vergleiche haben gezeigt, dass in hoch segmentierten Bildungssystemen wie dem deutschen bestehende Bildungsungleichheiten eher verstärkt denn aufgefangen oder gar abgebaut werden.“
Besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten würden Studiengebühren als schwer zu meisternde Hürde wahrgenommen, meint DSW-Präsident Rolf Dobischat. „Fast ein Viertel der Gebührenzahler lebt in einer finanziell angespannten Situation. Gerade die Eltern in den sozialen Herkunftsgruppen ,mittel“ und ,niedrig“ scheinen an ihre finanzielle Belastungsgrenze gestoßen zu sein. Das könnte mit der Wirtschaftskrise zusammenhängen, die diese Gruppen wahrscheinlich härter trifft als die höheren Herkunftsgruppen.“
Auch Bachelor und Master hätten junge Menschen aus hochschulfernen Schichten nicht angelockt. „Diese Hoffnung war mit der Einführung der neuen Studiengänge verbunden sie hat sich nicht erfüllt.“
Eine Auffassung, die die Konstanzer Hochschulforscher Holger und Tino Bargel teilen. Das Bachelor-Studium mit engem Stundenplan und regelmäßigen Tests wirke sich negativ für jene aus, die ihr Studium über Jobs und nicht über die Eltern finanzieren. Junge Leute seien zunehmend auf Gelderwerb angewiesen, ihnen bliebe aber nicht die Zeit dazu. Zudem lasse die Hilfe der Eltern oft im Laufe des Studiums nach, darum tauchten Geldprobleme verstärkt in der Spätphase der Ausbildung auf.
Das Bafög könne diesen Missstand kaum beheben. Heute seien weniger Studierende in der Lage, ihre Ausbildung durch die staatliche Förderung abzusichern als 1993. Etwa jedes zweite Arbeiterkind an einer Hochschule bekäme Bafög, 1993 seien es noch 63 % gewesen.
Das Studium werde als „Wagnis“ und als Schritt in eine fremde Welt wahrgenommen. 20 % der Arbeiterkinder falle es schwer, sich fachlich im Studium zurechtzufinden, unter den Kommilitonen aus einer Akademikerfamilie seien es nur 11 %. Bildungsaufsteiger bevorzugten aus einem Sicherheitsgefühl heraus „kürzere, strukturiertere und anwendungsbezogene Studiengänge, die über ein praktisches, zugängliches Berufsbild verfügen“.
Studierende aus bildungsfernen Familien benötigten besondere Unterstützung, finanziell wie ideell, fordern die Bildungsforscher. „Paradoxerweise werden jedoch gerade sie seltener gefördert als andere.“
Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Schichten sind oft auf einzelne Projekte angewiesen, die Hilfe versprechen. Wie auf die bundesweite Initiative ArbeiterKind.de, die Schüler nicht-akademischer Herkunft zum Studium ermutigt und sie durchs Studium begleitet.
Katja Urbatsch, Leiterin der Initiative, macht vor allem fehlende Vorbilder und Ansprechpartner, Ängste und Informationsdefizite sowie eine pessimistische Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit und Erfolgschancen für die Bildungszurückhaltung verantwortlich.
Der Berliner Bildungsökonom Dieter Dohmen hält punktuelle Ansätze wie Arbeiterkind.de für sinnvoll, große Breitenwirkung könnten solche Projekte aber nicht entfalten. „Warum nicht eine Fernsehserie, in der eine Ingenieurin im Mittelpunkt steht“, regt er eine Medienoffensive an, die das Berufsbild des Ingenieurs einer breiten Öffentlichkeit so vermittelt, wie es in der Regel ist: spannend. WOLFGANG SCHMITZ
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