Eine Serbin war 1913 die erste Ingenieurin in Deutschland
Es gab keine Frauenquote, Mentorinnen-Netzwerke oder Girl’s Days, es gab nicht einmal das Frauenwahlrecht: Als Jovanka Bontschits am 18. Juli 1913 an der „Großherzoglichen Technischen Hochschule zu Darmstadt“ ihr Diplom als Architektin bekam, galt die erste Ingenieurin Deutschlands als Paradiesvogel. Ihre Karriere aber verfolgte sie so zielstrebig wie ihr Studium.
„Fräulein Dipl.Ing.“, titelte die Berliner Illustrierte Zeitung im August 1913 ihren Artikel über die damals 26-jährige Serbin. „Den Frauen werden immer mehr von jenen Berufen erschlossen, die sonst die ureigenste Domäne des Mannes gewesen sind“, wunderte sich das Blatt. Zum Wintersemester 1909/1910 schrieb Bontschits sich an der heutigen TU Darmstadt für das Fach Architektur ein und traf dort neben 357 Männern auf nur eine Kommilitonin.
Voraussetzung für die Aufnahme waren naturwissenschaftliche Kenntnisse sowie Grundkenntnisse unter anderem in Hochbaukonstruktion, Bürgerlicher Baukunst und Ornamentzeichnen. Und die junge Frau, an die sich ihre heute in Boston lebende Enkelin Ivana Hrga-Griggs als „durchsetzungsfähig“ erinnert, hatte einiges im Gepäck.
Bontschits‘ Familie finanzierte ihr Architekturstudium
Bontschits hatte bereits an der Schule Deutsch gelernt, sieben Semester an der Universität in Belgrad studiert und ein Praktikum im öffentlichen Bausektor bei der serbischen Staatsbahn absolviert, bevor sie nach Darmstadt kam: „Sie hatte offenbar schon sehr früh eine genaue Vorstellung davon, was sie wollte und was als Frau in diesem Bereich möglich war“, vermutet Verena Kümmel vom Büro der Frauenbeauftragten der TU Darmstadt.
Anders als ihr späterer Ehemann Andrej Katerinic, der als serbischer Stipendiat ebenfalls in Darmstadt Architektur studierte, finanzierte Bontschits Familie das Studium selbst. Ihr Vater war Richter am Obersten Gericht in Belgrad, zählte zum gehobenen Bildungsbürgertum und legte offenbar Wert darauf, dass seine Tochter einen eigenen Beruf erlernte. „Viele Osteuropäer kamen vor dem ersten Weltkrieg zum Studium nach Deutschland“, berichtet Kümmel. Die deutschen Universitäten insgesamt, vor allem aber die Ingenieurstudiengänge genossen dort ein hohes Renommee.
Diplomarbeit über einen modernen Zweckbau: eine Schule
Es war die Zeit, in der die Architektur in einem Wandel begriffen war. Der Historismus lag zurück, der Jugendstil wurde hinterfragt. Immer mehr rückten das funktionale Bauen, öffentliche Zweckbauten und Konzepte für eine planvolle Stadtentwicklung in den Vordergrund. Auch Jovanka Bontschits verschrieb sich den Fachgebieten, die in der Kaiserzeit als „modern“ galten. Wie ihre 15 Kommilitonen, die sich mit ihr zur Abschlussprüfung anmeldeten, wählte sie als Thema ihrer Diplomarbeit einen solchen öffentlichen Zweckbau, nämlich eine Schule, ließ sich mündlich im Fach Städtebau prüfen und schnitt dort mit der Note „ziemlich gut“ ab.
Zu ihren Mitstudierenden pflegte Bontschits, soweit man dies unter anderem anhand von Fotos gemeinsamer Ausflüge rekonstruieren kann, offenbar ein gutes Verhältnis: „Es war absehbar, dass sie niemals auf dem deutschen Arbeitsmarkt aufschlagen würde. Von daher sahen ihre männlichen Kommilitonen in ihr wohl keine Konkurrenz“, sagt Kümmel. Denn, dass sie nach dem Abschluss wieder in ihre serbische Heimat zurückkehren würde, stand ebenso wenig infrage, wie der Entschluss zu arbeiten.
Bontschits bekam drei Söhne und blieb trotzdem berufstätig
Anders als viele Frauen, die zum Teil nur als Gaststudentinnen am Hochschulleben teilnahmen oder nach dem Vordiplom heirateten und nie wirklich ins Arbeitsleben eintraten, blieb die Mutter dreier Söhne berufstätig, bis sie 1945 in Belgrad in den Ruhestand ging. Wann genau Bontschits Deutschland verließ, ist unsicher. Klar ist, dass mit Ausbruch des ersten Weltkriegs im Sommer 1914 viele Studierende aus den gegnerischen kriegsführenden Ländern die Hochschule verlassen mussten.
Nach Zwischenstationen in Sankt Petersburg und Kiew arbeitete sie ab 1923 im serbischen Bauministerium. Jovanka Katerinic, wie sie nach ihrer Heirat hieß, betreute dort große Bauprojekte wie das Gebäude der Stadtverwaltung in Banja Luka oder das Gebäude für die Lehrerinnenausbildung an der Universität Belgrad. Als letzte Station ihrer Ausnahmekarriere leitete sie im Ministerium das Referat für Hochschulbau.
An der TU Darmstadt soll Straße nach Bontschits benannt werden
„Sie hat Mut bewiesen und individuell eine ganz große Leistung vollbracht“, findet Verena Kümmel. Heute erinnert der Fachbereich Material- und Geowissenschaften der TU Darmstadt jedes Jahr mit dem Jovanka-Bontschits-Preis für herausragende Promovendinnen und Absolventinnen an ihre Großmutter. Ende 2013 soll auf dem Ingenieurcampus eine Straße nach ihr benannt werden. Heute stellen Frauen an der TU Darmstadt fast die Hälfte der Studierenden in Architektur.
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