Forscher besinnen sich auf klimagerechte Baukulturen
Ein Gebäude muss den klimatischen Bedingungen angepasst sein. Die Forderung klingt zwar banal, doch ist klimagerechtes Bauen noch immer so etwas wie ein weißer Fleck in der modernen Architekturlandschaft. Der Lehrstuhl für Bauphysik der Universität Stuttgart will das ändern. Das international ausgerichtete Promotionskolleg „Climate – Culture – Building“, ein europaweit einmaliges Projekt, bietet Doktoranden die Möglichkeit, die Grundlagen klimagerechten Bauens zu erforschen.
Klimawandel, Ressourcenverknappung und Globalisierung stellen nicht zuletzt die Bauwirtschaft vor große Herausforderungen. 40 % des Gesamtenergieverbrauchs in Deutschland schlucken die Gebäude und rangieren damit auf Platz 1 der Bedarfsliste, noch vor Industrie und Verkehr.
Auf über 3 Mrd. € beziffert sich der wirtschaftliche Schaden durch bauliche Mängel. Weltweit betrachtet, bevölkern immer mehr Menschen die Metropolen. Bis 2025 werden voraussichtlich 60 % der Bevölkerung dort ihre Lebensgrundlage suchen. Gegenwärtig ist es etwa die Hälfte. Der zunehmende Konzentrationsprozess verlangt neue Lösungen.
Fachleute reagieren auf diese Probleme mit unterschiedlichen Konzepten. Die einen setzen auf die technische Entwicklung der westlichen Industrieländer und wollen deren Standards weltweit kultivieren. Bekannte Bauwerke wie das „Word Financial Center“ in Schanghai oder das Hotel der Superlative „Burj al Arab“ in Dubai stehen für diesen Trend aus Glas, Stahl und Beton.
Andere wiederum fordern eine klimaangepasste Architektur, die sich an traditionellen Bauweisen orientiert. Zu ihnen gehört Prof. Schew-Ram Mehra vom Lehrstuhl für Bauphysik und Leiter des Promotionskollegs „Climate – Culture – Building“.
„Wenn wir die klimatischen und kulturellen Verhältnisse bei der Planung berücksichtigen, können wir auch umweltschonend bauen und darüber hinaus ein Umfeld schaffen, in dem sich Menschen wohlfühlen“, ist er überzeugt. Auf aufwändige Technologien soll dabei weitestgehend verzichtet werden.
An Vorbildern für traditionelles Bauen mangelt es nicht. So existierten Kühlsysteme in heißen Ländern schon lange vor Erfindung der Klimaanlage. Aus dem heutigen Iran stammen die sogenannten Windturmhäuser. Durch seitliche Öffnungen in den Türmen wird der Wind eingefangen und über einen Schacht ins Haus geführt. Durch den Transport kühlt die Luft ab und sorgt im Innern des Gebäudes für ein angenehmes Raumklima.
Auf die Nutzung der Sonnenenergie verstanden sich die Indianer schon im 12. Jahrhundert. Die nach Süden ausgerichteten Häuser im heutigen Nationalpark Mesa Verde, Colorado, werden im Sommer durch die überragenden Felsen vor der hochstehenden Sonne geschützt, im Winter dagegen erwärmen die flach einfallenden Strahlen das Gebäudeinnere.
Und noch ein Beispiel: Um den Wetterkapriolen ein Schnippchen zu schlagen und Bauschäden zu vermeiden, wurden in unseren Breiten die Haustüren früher so ausgerichtet, dass sie vor Wind, Regen und Schnee geschützt waren. Diese einfachen Maßnahmen reduzierten nicht nur die Wärmeverluste, sondern verlängerten auch die Lebensdauer von Türen, Türrahmen und Fußbodenbelägen.
Solch bewährte Traditionen sollen in zukünftige Bau- und Sanierungskonzepte miteinfließen. Bis zu zehn Doktoranden bietet das Promotionskolleg „Climate – Culture – Building“ die Möglichkeit, ihre Arbeit unter dem Gesichtspunkt klimagerechten Bauens zu erstellen.
Ein Thema befasst sich mit der historischen Entwicklung des Bauens bis zum heutigen Tag. Eine andere Aufgabe besteht darin, die Zusammenhänge zwischen Wirtschaftlichkeit und klimagerechtem Bauen zu ermitteln. Die Geschichte der Architektur in Mitteleuropa ist ein weiterer Aspekt, der im Rahmen des Kollegs aufgearbeitet werden soll.
Unterstützung kommt von WUFI, einem Rechenverfahren, das vom Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Bauphysik entwickelt wurde, und mit dem unter anderem Wärme- sowie Stofftransporte durch Wände und Dächer abgebildet werden können.
„Baukonstruktionen sind nicht einfach von einer Klimazone auf eine andere übertragbar. Jede Region hat ihre typischen Eigenheiten. Wird das nicht berücksichtigt, sind Schäden an Gebäuden und ein hoher Energieverbrauch vorprogrammiert“, erklärt Schew-Ram Mehra.
In Mitteleuropa mit seinem wechselhaften Wetter gehört beispielsweise eine ausreichende Wärmedämmung zum A und O klimagerechten Bauens. Außerdem sind ausreichende Lüftungsmöglichkeiten sowie Sonnen- und Regenschutz nötig. Die Bewohner des feucht-warmen Amazonasgebiets brauchen dagegen gut belüftete Häuser mit Sonnen- und Regenschutz. In den trocken-heißen Gebieten am Rande der Sahara haben die Wände Speicherfunktion. Tagsüber nehmen sie von außen Wärme auf und geben sie nachts nach innen wieder ab. Weil Lehm diese Anforderungen hervorragend erfüllt, lebt bis heute etwa ein Drittel der Menschen in Lehmhäusern.
„Wir beobachten seit Mitte des letzten Jahrhunderts einen Trend, der diese Prinzipien traditionellen Bauens immer stärker in den Hintergrund drängt“, stellt Schew-Ram Mehra fest. „Viele Bauwerke ‚funktionieren’ einfach nicht, aber Konsequenzen werden daraus nicht gezogen.“
Ein Umdenken ist nach Meinung des Bauphysikers diesbezüglich nicht in Sicht. Er ist deshalb überzeugt, dass „die Prinzipien klimaangepassten Bauens bereits im Architektur- und Ingenieurstudium verankert werden müssen.“ MONIKA ETSPÜLER
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