Grenzgänger zwischen Ökonomie und Technik
Rund 60 000 junge Menschen sind aktuell im Studienfach Wirtschaftsingenieurwesen eingeschrieben. Sicher ist, dass der Arbeitsmarkt sie wie das Löschblatt die Tinte aufsaugen wird. Denn die Wirtschaft reißt sich um die vielseitig einsetzbaren Talente an der Schnittstelle von Technik und Wirtschaft.
Gegen Ende des Ingenieurstudiums sah Ulrich Schatz sein künftiges Einsatzgebiet klar vor sich: Unternehmensberater wollte er werden, ein abwechslungsreicher und herausfordernder Job und einem Wirtschaftsingenieur geradezu auf den Leib geschneidert.
Allein die in Stoßzeiten oft in den späten Abend reichenden Arbeitszeiten ließen ihn dann doch umschwenken. Seit sieben Jahren arbeitet er im Projektgeschäft der Bertrandt AG, einem der großen Ingenieurdienstleister in Deutschland. Für deren Kunden in der Automobilindustrie optimiert Schatz das Qualitätsmanagement, wirbt für die Einführung neue Prozesse und demonstriert, wie man das Geschäft straffer und effizienter betreiben kann. Also etwa wie ein Unternehmensberater, aber als Heimschläfer und ohne nächtliche Teambesprechungen. „Ich bin ein Familienmensch“, sagt der 35-Jährige, „der geregelte Feierabend ist mir wichtig.“
Das dürften viele Wirtschaftsingenieure unterschreiben, und die anhaltend hohe Nachfrage nach den Absolventen dieser Studiengänge macht die Kombination von Verantwortung im Beruf und Dasein für die Familie möglich.
Im Jahresdurchschnitt 2011 waren 2300 Wirtschaftsingenieure arbeitslos gemeldet. Das war noch nicht einmal 1 % der 238 800 bundesweit tätigen „sonstigen Ingenieure“, zu denen die Grenzgänger zwischen Ökonomie und Technik gerechnet werden.
Der Grund für ihre Beliebtheit bei den Arbeitgebern ist ihre nahezu universelle Einsatzfähigkeit. „Wirtschaftsingenieure bringen beide Aspekte mit, den technischen und den ökonomischen“, lobt Ralph Schlienz, Personalleiter bei Audi in Ingolstadt, und fügt gleich eine Werbebotschaft hinzu: „Bei uns können sie ihre Kenntnisse gut zusammenbringen, etwa in Querschnittsbereichen wie Projektmanagement, Modellreihen oder Produktmanagement.“
Am Beispiel des Projektmanagements macht Schlienz den Vorzug von Wirtschaftsingenieuren deutlich: „Von der Methodik her machen sie Projektarbeit. Aber sie haben auch genug technisches Verständnis, um mit den Entwicklern im Detail diskutieren zu können.“
Die Ausbildung, die technische mit ökonomischen sowie rechts- und sozialwissenschaftliche Inhalte miteinander verbindet, ist trotz hohen Anspruchs sehr beliebt. 2009 haben fast 51 % mehr junge Menschen als zur Jahrtausendwende das Studium aufgenommen, rund 60 000 angehende Wirtschaftsingenieure studieren derzeit in Deutschland.
Das Studium gilt als attraktiv – nicht nur wegen der anhaltend guten Jobaussichten, sondern auch, weil man sich nicht von Anfang an auf ein bestimmtes Berufsbild festlegen muss. „Wenn man jung ist, will man das noch nicht“, bestätigt Projektingenieur Schatz. Trotzdem rät er zum roten Faden im Lebenslauf: „Wenn man in eine bestimmte Branche gehen möchte, sollte man dort ein Praktikum machen oder seine Diplomarbeit schreiben. Am Ende des Studiums muss man eine klare Vorstellung haben, wohin man will. Sonst ist man eine Allzweckwaffe ohne Schusskraft.“
Anders als die klassischen Ingenieurberufe in Konstruktion und Entwicklung prädestiniert die breite Ausbildung für Querschnittsfunktionen wie Service, Einkauf, Qualitäts- oder Projektmanagement. „Wirtschaftsingenieure bedienen vor allem die Schnittstellen“, erläutert Ralph Kleine, Headhunter bei der SCS Personalberatung in Frankfurt, „wie es vom Lean Management und der Supply Chain Technologie gefordert wird.“
Selbstverständlich stünde ihnen auch der Weg ins Controlling oder in den Vertrieb, in den Handel oder ins Bankwesen offen. „Die meisten wählen jedoch eine produktionsnahe Tätigkeit“, fasst Kleine seine Erfahrungen zusammen.
Auch international ist die Ausbildung zum Wirtschaftsingenieur bekannt und attraktiv. Vergleichbare Studiengänge in Europa und in den USA heißen „Industrial Engineering and Management“, ihre Absolventen sind weltweit einsetzbar – „sofern sie mit fremden Sprachen zurechtkommen“, betont Personalberater Kleine. Das dürfte angesichts zahlreicher englischsprachiger Studienmodule und der vielfach geforderten Auslandssemester das geringste Problem sein.
Christian Püttjer, Karriereberater in Bredenbek bei Hamburg, hatte schon häufig mit Wirtschaftsingenieuren zu tun. Weniger mit Berufseinsteigern als mit erfahrenen Kräften, die sich um den Fortgang ihrer Karriere sorgten. „Sie sind bei den Arbeitgebern beliebt und begehrt, werden aber nicht zwingend hervorragend bezahlt.“
Mit einem durchschnittlichen Einstiegsgehalt von rund 40 000 € verdienten sie etwas weniger als Maschinen- oder Fahrzeugbauer und deutlich weniger als Elektroingenieure. Das liege an der starken Konkurrenz der Betriebswirte, zum anderen am starren Gehaltsgefüge in den Unternehmen. „Zu Beginn steckt man sie gern in betriebswirtschaftsnahe Funktionen“, sagt Püttjer, „aber Einkäufer oder Controller verdienten nicht allein deshalb mehr, weil sie einen technischen Hintergrund haben.“
Deshalb sei es ganz wichtig, sich gleich nach dem Einstieg Gedanken über die weitere Entwicklung im Unternehmen zu machen. Der multifunktionale Abschluss erleichtere zwar den Berufseinstieg, „aber er beschleunigt die Karriere nicht automatisch“.
„Das Studienfach hat Vor- und Nachteile“, präzisiert Audi-Personalleiter Schlienz. „Es kommt eben darauf an, wo Wirtschaftsingenieure eingesetzt werden. Wo der fachliche Fokus breiter wird, passen Wirtschaftsingenieure sehr gut. Aber bei der Entwicklung technischer Details ist ein rein ingenieurwissenschaftliches Studium von Vorteil.“
Und im Vorstand haben die Betriebswirte dann wieder das Sagen? So will Ralph Schlienz das nicht stehen lassen: „Die Studienausrichtung ist am Beginn der Karriere wichtig, mit Erfahrungswissen aber kann jede Ausbildung an die Spitze führen.“ CHRISTINE DEMMER
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