Ingenieur-Zertifikat für den beruflichen Erfolgsweg
Bis das Ziel grenzübergreifender Bildungsstandards erreicht ist, gilt es, einen langen Parcours aus Bürokratie-, Mentalitäts- und Mobilitätshürden zu überwinden.
Der Verständlichkeit halber zog Dr.-Ing. Kruno Hernaut einen Vergleich aus dem Verkehrswesen zur Hilfe: „Die rote Ampel wird je nach Nationalität anders interpretiert: Der Deutsche versteht sie imperativ, der Franzose alternativ und der Italiener dekorativ.“ Die Botschaft, die der Vorsitzende des VDI-Bereichs Ingenieuraus- und weiterbildung auf anschauliche Art transportierte, war Eingeweihten sofort klar: Die Verschiedenheit der Kulturen hat ihre Reize, sie erschwert die Abwicklung internationaler Beschlüsse aber meist enorm.
So auch bei der „Bologna-Erklärung“, in der sich 33 Unterzeichnerstaaten im Jahre 1999 das Ziel setzten, bis 2010 einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum zu schaffen, um Vergleichbarkeit, Kompatibilität der Studiengänge und Mobilität von Studierenden, Wissenschaftlern und letztlich auch Wissen zu erreichen. In Berlin trafen sich auf Einladung des VDI ausgewählte Teilnehmer – vor allem Hochschulprofessoren – um sich über Chancen und Barrieren auf dem Weg zum europäischen Hochschulraum zu informieren und unterhalten.
Bei dieser Gelegenheit erfuhren sie, dass der internationale Anpassungsprozess keineswegs bei Hochschulabschlüssen endet – wenn es nach dem Willen des VDI geht. „Was ist mit der Mobilität im Beschäftigungssystem, der Anerkennung und der Transparenz von Berufserfahrung und beruflicher Weiterentwicklung?“, fragt VDI-Präsidiumsmitglied Prof. Dr.-Ing. Klaus Henning. Um diese Frage zu beantworten, haben die Schweiz, Italien, Großbritannien und Frankreich landeseigene Ingenieurregister angelegt, in denen nicht nur die Ausbildung, sondern auch die berufliche Qualifikation und Weiterbildung von Ingenieuren erfasst werden. Der VDI denkt nun seinerseits daran, ein deutsches Ingenieurregister zu initiieren, „um das Arbeiten in einem Europa ohne Grenzen zu erleichtern“, so Henning. Dem Vorwurf, der VDI kehre mit dieser Offensive zu längst überholtem Ständewesen zurück, entgegnet Kruno Hernaud: „Wir wollen das Beschäftigungssystem für Ingenieure und andere Beteiligte damit nur transparenter und vergleichbarer machen. Ich meine, das wäre im Zeichen der Internationalisierung eine angebrachte Hilfestellung.“ Kontakte zu anderen Verbänden und zu Kammern sind und werden geknüpft.
Dies ist jedoch ebenso Zukunftsmusik wie der wohnlich eingerichtete europäische Hochschulraum. Noch ist das Bewusstsein für grenzüberschreitendes Studieren weder in Hochschulen noch bei Studenten und auch nicht bei Arbeitgebern den aktuellen Anforderungen entsprechend ausgeprägt. Dipl.-Ing. Werner, Dezernent für internationale Hochschulbeziehungen an der RWTH Aachen, stellt eine unerfreuliche Entwicklung bei der Bezeichnung der Hochschulabschlüsse, speziell bei Ingenieuren, fest: „Die Bologna-Erklärung sieht eine Harmonisierung vor. Der Trend aber geht in Richtung Diversifizierung.“ Im Labyrinth der Abschlüsse – seien es Bachelor, Master oder Diplom – verlaufe sich nicht nur der Laie. Auch hier zu Lande vergrößere sich die Zahl der Grade. Werner: „Und welcher Deutsche weiß schon, was ein Grad aus Portugal oder Schweden wert ist.“ Die angelsächsischen Abschlüsse sind jedoch von den Ingenieuren besser aufgenommen worden als von anderen Bereichen: Knapp ein Drittel aller Bachelor- und Masterstudiengänge entfallen im laufenden Wintersemester auf die Ingenieurwissenschaften.
Die Industrie begrüßt diese international anerkannten Abschlüsse, berichtet Dr. Bernhard Diegner vom Zentralverband Elektrotechnik und Elektroindustrie (ZVEI), stellt aber auch klar: „Über Bestehen, Entstehen und Verschwinden von Studiengängen, Titeln oder Strukturen sollte der Markt entscheiden, nicht die Ministerien.“ Eine Forderung, der sich der VDI anschließt. Um darüber hinaus mehr Internationalität ins Land zu locken, schlägt Klaus Henning eine konzertierte Aktion vor, um den Ausländeranteil bei den Ingenieurwissenschaften innerhalb der nächsten zehn Jahre von 6,5 % auf 10 % zu steigern. Zudem sollten ausländische Wissenschaftler die Möglichkeit bekommen, fünf Jahre ohne jede formelle Beschränkung im Wissenschaftsbereich zu arbeiten.
Die deutsche Ingenieurausbildung genießt im Ausland immer noch hohes Ansehen, weiß Gerhard Stähler, Vice President des Consulting-Unternehmens Futurestep. Die Schwerpunkte seien jedoch neu zu gewichten: „Mit reiner Fachausbildung ist im internationalen Kontext kein Blumentopf zu gewinnen.“ Bei interkultureller Lernbereitschaft hinkten deutsche Ingenieure der Entwicklung hinterher.
WOLFGANG SCHMITZ
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