Ingenieurstudium heute: Lernen zwischen den Welten
Das Ingenieurwesen ist ohne IT nicht mehr denkbar. Viele Studiengänge und Projekte haben sich an den Schnittstellen zwischen den Fachrichtungen etabliert. Die Fragestellungen, mit denen sich die Studenten beschäftigen, reichen von der Simulation des Blutkreislaufs bis hin zu Zeppelinen, die Wetterdaten auswerten.
Das Tumormittel soll optimal dosiert das betroffene Gewebe behandeln. Doch wie verbreitet es sich im Körper über Kapillare und Gefäße? Über ausgefeilte Computersimulationen wird im Modell erprobt, wie das Mittel wirkt und sich im Körper aller Wahrscheinlichkeit nach ausbreitet. Wie viel von dem Therapeutikum ist tatsächlich notwendig, um den besten Effekt zu erzielen? Es ist nur eine der zahlreichen Fragen, auf die die Studenten des Studienganges Simulation Technology der Universität Stuttgart eine Antwort suchen. „Die Studenten werden ausgebildet, um an der Schnittstelle zwischen Ingenieurwesen, Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik zu arbeiten“, sagt Rainer Helmig.
Technische Systeme sind inzwischen so komplex, dass eine einzige Disziplin oft nicht mehr ausreicht, um sie zu erfassen. Nur mit IT-Kenntnissen und Wissen über naturwissenschaftliche Phänomene lassen sich viele ingenieurwissenschaftliche Fragestellungen zufriedenstellend lösen. Anstelle von Spezialisierung ist deshalb im Stuttgarter Studiengang eine breite methodische Ausbildung gefordert. Konzerne wie Bosch oder Daimler unterstützen den Studiengang. Denn die Simulationsspezialisten sind in technologieintensiven Branchen gefragte Kräfte.
Ingenieurstudium: Projekte machen Studenten praxisfähig
Nicht nur die Verknüpfung von IT und Ingenieurwissen zählt. Neben den fachlichen Qualifikationen erwarten viele Unternehmen auch soziale und methodische Kompetenz von den Absolventen. Mit verschiedenen Projekten werden die Studenten des Studienganges Elektrotechnik und Informationstechnik (EI) an der TU München an die Praxis herangeführt.
Der EiWay wirkt etwas wackelig auf den Beinen. Dennoch hält er tapfer die Balance auf seinen zwei parallelen Rädern. Ein Motor hält ihn waagerecht. Wird er mit dem Finger nach hinten geschnippt, richtet er sich blitzschnell wieder aus. Ein Mini-Segway – das Original kennt man in vielen Großstädten als Spaßfahrzeug. Der EiWay ist eine Projektaufgabe von Erstsemestern des Studienganges Elektrotechnik und Informationstechnik. Sie haben das Gefährt im Rahmen des Programms „AdvEIsor“ entwickelt. Hier sollen sie am konkreten Projekt erleben, was Ingenieurwissenschaften und IT im Zusammenspiel bewirken können. Nach dem EiWay, dem Projekt des Jahrgangs 2010, folgte 2011 ein Roboterarm, der selbstständig jede beliebige Position eines Rubiks-Würfels – auch Zauberwürfel genannt – lösen konnte. Aufgabe 2012 ist ein Sudoku-Roboter, der in Windeseile jedes Sudoku-Rätsel ausfüllen kann.
Projektaufgabem im Ingenieurstudium: Training in Socialskills und Projektmanagement zugleich
Es geht nicht nur darum, die Projektaufgabe befriedigend zu lösen. Vielmehr sollen die Studenten lernen, ein Projekt mit zeitlich und finanziell beschränktem Rahmen selbst zu organisieren und die Ergebnisse zu präsentieren. „Im Vordergrund stehen Socialskills wie Teamfähigkeit, Projektorganisation und Zeitmanagement“, sagt Jörg Kammermann. Der Ingenieur betreut und koordiniert das Programm AdvEIsor. Die Projekte sind als Wettbewerb organisiert. Mehrere Teams treten jedes Jahr mit eigenen Modellen gegeneinander an. Die Motivation im Wettkampf hilft über manches Tief hinweg. „Gerade zum Ende hin, ein paar Tage vor der Präsentation, ist das ein ganz spannender Prozess“, sagt Kammermann. Bei Nacht und Nebel werden dann die letzten Modelle zusammengelötet, die letzten Code-Zeilen geschrieben.
Doch nicht nur die Erstsemester können sich in konkreten Projekten an der TU München entwickeln. Daedalus nennt sich eines der Projekte, das sich auch an fortgeschrittene Semester richtet. Ein Zeppelin soll mit Steuerungstechnik und Sensoren ausgestattet werden, so der Plan, und z. B. Wetterdaten verarbeiten. Auch hier steht das Projektmanagement im Vordergrund – und viele Zeilen Programmier-Code. „Sehr viel Hardware lässt sich inzwischen kaufen und leicht zusammenstecken“, sagt Projektkoordinator Johannes Feldmaier. Er schätze den Programmieraufwand auf 60 % bis 70 % ein. Ingenieurarbeit ist heute eben auch zu einem großen Teil Programmierarbeit.
Ingenieurstudium: TU Ilmenau bietet Studiengang Ingenieurinformatik
Wie sehr die Themengebiete Ingenieurwesen und IT miteinander verschmelzen, zeigt etwa ein Bachelor-Studiengang der TU Ilmenau. Studenten können hier Ingenieurinformatik auf Bachelor und Master studieren. Schließlich funktionieren moderne Produkte wie Autos, Mobiltelefone oder medizinische Geräte inzwischen nur noch im Zusammenspiel mit spezialisierter Software. Auch an der TU Ilmenau liegt ein Schwerpunkt auf Computer-Simulationen. Nicht nur bei technischen Geräten, sondern auch bei der Entwicklung von Verkehrsleitsystemen oder Trinkwasserversorgungsnetzen können diese Modelle aus dem Rechner genutzt werden.
Dabei ist es nicht immer einfach, die verschiedenen Denkschulen miteinander zu verknüpfen.
Während in der IT gerne mit Beta-Versionen gearbeitet wird, also mit Programmen, die halbfertig schon im Einsatz sind, deren Fehler erst mit dem Feedback der Nutzer ausgeräumt werden, suchen Ingenieure im Regelfall schon von Anfang an nach einem funktionierenden Weg, der zeit- und ressourcensparend ist. Schließlich hängen von ihrer Planung häufig ein Budget und Materialkosten ab. Bei den Unterschieden setzt der Studiengang Simulation Technology in Stuttgart an. „Studienarbeiten werden von interdisziplinären Teams betreut, um die unterschiedlichen Kulturen und Denkschulen der Fächer miteinander zu verknüpfen“, sagt Rainer Helmig. Denn erst wenn sich die verschiedenen Denkschulen verstehen, ist interdisziplinäres Arbeiten wirklich möglich. Und lassen sich die Probleme der Zukunft bewältigen.
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