Green Jobs 15.05.2023, 13:00 Uhr

Nachhaltigkeit in die industrielle Praxis bringen

Wie sieht es eigentlich mit dem Studium für Ingenieure und Ingenieurinnen aus, die ihre Karriere „grün“ gestalten werden? Man spricht viel von Fachkräftemangel in diesem Bereich, aber wie kann man diese Fachkräfte ausbilden? Auf welche Kenntnisse kommt es an? Heute sprechen wir darüber mit Frau Prof. Dipl.-Ing. Doerte Laing-Nepustil.

Planspiel-Sustain2030

Studierende diskutieren Maßnahmen im Rahmen des Planspiels Sustain2030® zur Agenda 2030 der Vereinten Nationen.

Foto:

Foto: Hochschule Esslingen, Fakultät Wirtschaft und Technik

Frau Prof. Dipl.-Ing. Laing-Nepustil, Sie lehren an der Fakultät Wirtschaft und Technik am Campus Göppingen. Ihre Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind erneuerbare Energien, Energiespeichertechnologien, Nachhaltigkeit und Energiemanagement. Und Sie sind Koordinatorin des Studiengangs Wirtschaftsingenieurwesen. Der Studiengang wurde inhaltlich komplett neu aufgestellt und setzt einen starken Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit. Warum legt man jetzt noch mehr Fokus auf gerade diese Themen?

Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, ökologische Transformation, Dekarbonisierung in der Automobilwirtschaft, Energiewende: Die Welt ist voller Herausforderungen. Die Vereinten Nationen haben 2015 die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung mit ihren 17 Zielen verabschiedet. Diese ist ein umfassender Masterplan für eine Transformation unserer Welt bis zum Jahr 2030, also ein globaler Zukunftsvertrag, der von 193 Mitgliedsstaaten verabschiedet wurde – auch wir haben uns hier verpflichtet. Unsere Wirtschaft muss und wird diesen Transformationsprozess durchlaufen. Ressourcenschonung, Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Energieversorgung und Energiemanagement, innovative und nachhaltige Produktionsprozesse und Lieferketten sowie soziale Standards müssen selbstverständlich werden. Mit unserem Studiengang bereiten wir die Studierenden durch breite Kompetenzen im Bereich Nachhaltigkeit mit all seinen Facetten aus Ökonomie, Ökologie und Sozialem auf diesen Weg vor.

Klimakrise als unsere drängendste Herausforderung

Wie würden Sie den Begriff Nachhaltigkeit definieren?

Nachhaltigkeit bedeutet für mich Zukunftsfähigkeit. Wir müssen davon wegkommen, auf Kosten anderer zu leben – sowohl in unserer heutigen Welt mit den großen sozialen und ökonomischen Ungerechtigkeiten, als auch generationenübergreifend mit Blick auf unsere Kinder und Enkel, hier sehe ich die Klimakrise als unsere drängendste Herausforderung.

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Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit im Studium und für den späteren Berufsweg?

Eine ganz wesentliche. Wir wollen mit unserem Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen die Nachhaltigkeit in die industrielle Praxis bringen, und zwar dorthin, wo sie sich wirklich auswirkt. Es reicht nicht, wenn ein Unternehmen ein paar CO2-Zertifikate kauft und sich damit „grün rechnet“. Der Gedanke der Nachhaltigkeit muss bei ganz vielen Entscheidungen und Aktivitäten im Unternehmen eine Rolle spielen, beginnend im Einkauf bis hin zur Gestaltung der Produktionsprozesse. Dafür bilden wir Wirtschaftsingenieurinnen und Wirtschaftsingenieure aus. Neben einem stabilen Fundament in Wirtschaft und Technik, vermitteln wir in allen Modulen vielfältige Kompetenzen im Bereich Nachhaltigkeit.

Welche Kompetenzen erhalten die Studierenden in diesem Studiengang?

Neben den klassischen Kompetenzen eines Wirtschaftsingenieurs sind die Studierenden in der Lage, Entscheidungsempfehlungen, z.B. im Bereich der Produktion/Produktionsplanung, dem Supply Chain Management oder der Digitalisierung, auf Basis der angefertigten Analysen und Bewertungen auch aus der Nachhaltigkeitsperspektive abzuleiten. So können sie die Unternehmen auf dem Transformationsprozess unterstützen, indem sie aus ökonomischer und ökologischer Sicht, aber auch aus gesellschaftlicher und ethischer Perspektive mit Bezug auf die 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung Strategien ableiten.

Nachhaltigkeit im Studium

Welche speziellen Fächer werden angeboten?

Alle Studierenden belegen beispielsweise das Modul Nachhaltigkeit 1 mit dem Schwerpunkt Energiewirtschaft und Nachhaltigkeit 2 mit dem Schwerpunkt Life Cycle Assessment und Kreislaufwirtschaft, oder auch das Seminar 17-Ziele der UN mit der Agenda 2030. Außerdem können die Studierenden eine von vier Vertiefungen auswählen:

  • „Sustainable Operations“ umfasst alle Prozesse entlang der Wertschöpfungskette eines produzierenden Unternehmens. Neben den Kosten-, Qualitäts-, Zeit- und Flexibilitätszielen sind die Nachhaltigkeitsaspekte wichtige Faktoren die Maschinen, Materialien und natürlich Arbeitskräfte betreffen. Die spezifischen Module sind Lean Management, Intralogistik, Procurement, Supply Chain‐ und Risikomanagement, sowie Digitale Fabrik.
  • „Sustainable Smart Systems“ adressiert Nachhaltigkeit durch Digitalisierung. Smarte Systeme durchdringen alle Bereiche unseres Lebens, vom Gesundheitsbereich bis hin zum Gebäude- und Mobilitätsbereich. Neben dem technischen Verständnis zur Entwicklung smarter Systeme, betrachten wir auch die Akzeptanz durch die Nutzer und zeigen Wege zur Entwicklung nachhaltiger Geschäftsmodelle auf. Die spezifischen Module sind Soziotechnik und Technikakzeptanz, Entrepreneurship, Smarte Systeme und Energiemanagement, Smart Living, sowie Smart Building and Mobility.
  • „Sustainable Business Transformation“ zeigt den Weg, wie Umwelt- und Klimaschutz – genauso wie zukunftsweisende Technologien und modernes Arbeiten – im Denken und Handeln von Industrie und Wirtschaft ankommen. Wir analysieren die zentralen Wechselwirkungen des Gesamtsystems Mensch-Umwelt-Technologie-Wirtschaft und integrieren die gewonnen Erkenntnisse in die nachhaltige Transformation von Unternehmen. Die spezifischen Module sind Wirtschaftspsychologie 1 und 2, Humanökologie und Zukunftstechnologien 1 und 2 sowie Business Transformation and Leadership.
  • Nicht zuletzt ist Internationalität in der Arbeitswelt ein wichtiger Aspekt. Daher bieten wir unseren Studierenden mit der Vertiefung „International Engineering Management“ die Möglichkeit, ohne eine spezielle, thematische Vertiefung, Module in einem Auslandssemester zu absolvieren. Dazu kann eine unserer 60 Partnerhochschulen weltweit besucht werden.

Welche Karriereperspektiven und Jobaussichten haben Ihre Absolventen?

Die Industrie braucht motivierte Allrounder, die den Wandel hin zur Nachhaltigkeit mitgestalten können. Unsere Absolventinnen und Absolventen bringen vernetztes, strategisches Denken mit Blick auf die Zusammenhänge der Prozesse und der Nachhaltigkeit mit. Sie sind daher prädestiniert, um an den Schnittstellen zwischen Technik und Betriebswirtschaft in Industrie und dienstleistenden Unternehmen zu arbeiten.

Zu den typischen späteren Berufsfeldern gehören klassischer Weise Produktionsplanung, Einkauf und Beschaffung, Logistik und Supply Chain Management, Projektmanagement, Optimierung und Neugestaltung von Prozessen in Produktion, Logistik und Verwaltung. Sie finden sich aber auch z.B. im Bereich Digitalisierung und IoT, im Nachhaltigkeits- und Energiemanagement, im strategischen Management, im Umweltcontrolling oder im Bereich Business Transformation & Leadership.

Nachhaltigkeit leben

Kann man die Nachhaltigkeit überhaupt lernen oder muss man sie „leben“?

Beides! Natürlich kann man es lernen. Aber zu meinen Erziehungsgrundsätzen gehörte immer, man muss es auch vorleben. So gesehen denke ich, dass natürlich auch jeder kontinuierlich an seinem eigenen Verhalten und seinen Gewohnheiten arbeiten sollte um nachhaltiger zu leben. Wir müssen das Bewusstsein schaffen, ob im betrieblichen oder auch im privaten Umfeld, nur so können wir Prozesse verändern. Das ist ein fortlaufender Lernprozess.

Nachhaltigkeit ist aus unserem Leben und Berufsalltag nicht mehr wegzudenken. Auch der Arbeitsmarkt wurde dadurch verändert. Es kommen immer neue Berufsfelder dazu, es werden immer mehr Fachkräfte gesucht, die die Welt von morgen gestalten können. Wie erleben Sie diesen Wandel?

Mein Eindruck ist eher, dass der Wandel zu träge verläuft. Auf der Marketing-Ebene steht die Nachhaltigkeit sicherlich schon ganz oben, aber leider ist das oft noch „Green-washing“. Ich würde mir hier noch mehr Dynamik bei der tatsächlichen Transformation wünschen.

Was würden Sie den angehenden Ingenieurinnen und Ingenieuren, die ihre Karriere grün gestalten möchten, aus Ihrer Erfahrung empfehlen und welchen Rat geben Sie ihnen mit auf den Weg in eine hoffentlich bessere Zukunft?

Suchen sie sich ein Arbeitsfeld, für das sie brennen. Und trauen sie sich, Strukturen zu hinterfragen und Veränderungen anzustoßen. Wir brauchen motivierte und engagierte Menschen für die Transformation unserer Wirtschaft in eine nachhaltige Zukunft.

Vielen Dank für das Gespräch!

Was sind die Jobs der Zukunft? Worauf müssen Berufseinsteigende jetzt achten? Alle Infos im VDI-Karriereführer – inkl. zahlreicher Stellenangebote von Top-Unternehmen:

Ein Beitrag von:

  • Alexandra Ilina

    Redakteurin beim VDI-Verlag. Nach einem Journalistik-Studium an der TU-Dortmund und Volontariat ist sie seit mehreren Jahren als Social Media Managerin, Redakteurin und Buchautorin unterwegs.  Sie schreibt über Karriere und Technik.

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