Studienkolleg zu Berlin: Arbeiten an der europäischen Idee
Im Studienkolleg zu Berlin treffen sich jedes Jahr 30 Studenten aus ganz Europa. Sie forschen zu Themen in und um Europa. Und schmieden so wichtige Bande über Grenzen hinweg. Auch ein deutscher Ingenieur ist dieses Jahr dabei.
Felix Förster hätte eigentlich schon genug zu tun. Sein Masterstudium z. B. in Physikalischer Ingenieurswissenschaft an der TU Berlin mit den Schwerpunkten Strömungsmechanik, Numerik und Simulation. Oder sein Start-up „die Bioniker“. Mit seinem Geschäftspartner Markus Hollermann hat der 25-Jährige das Unternehmen nach seinem Studium in Bremen gegründet. Die Bioniker beraten Unternehmen wie etwa die Fischer Gruppe bei der Produktentwicklung. Lösungen hierzu finden sie in der Natur. Eines der Ergebnisse: ein spezieller Dübel, der sich am Vorbild einer Zeckenart in weiche Materialien drehen lässt.
Und nun das: eine Projektarbeit über psychiatrische Einrichtungen in Osteuropa. Ein Jahr wird Förster mit seiner Projektgruppe, einem deutschen Physiker und einer rumänischen Ethnologin, Materialien sammeln, vor Ort recherchieren und eine Projektarbeit nebst Präsentation anfertigen. Der Rahmen ist das „Studienkolleg zu Berlin“. 30 junge Menschen aus ganz Europa kommen für ein Jahr in Berlin zusammen, um zu Themen in und um Europa zu forschen und nebenbei die Bindungen zwischen den einzelnen Staaten zu stärken – und an einer Idee eines zukünftigen Europas zu arbeiten.
„Es ist toll, den größeren Kontext zu sehen, in dem man seinen Ingenieursberuf ausübt“, sagt Förster. Er habe sich vor seinem Studium auch vorstellen können, eine Gesellschaftswissenschaft zu studieren. Dieser größere Rahmen kommt nun im Studienkolleg zum Zuge. Input außerhalb seines Fachstudiums, das habe er gesucht.
Schäuble hält Eröffnungsrede im Studienkolleg zu Berlin
Regelmäßig treffen die Kollegiaten auf wichtige Protagonisten der europäischen Entwicklung. So hielt Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Eröffnungsrede zu Beginn des aktuellen Studienkollegs. Thema: Die Finanzkrise. Schließlich steht nichts anderes als die Zukunft der europäischen Idee auf dem Spiel.
Die Zentrifugalkräfte sind spürbar. Immer weniger Deutsche wollen für die Schulden der europäischen Partnerländer aufkommen. „Bisher ist mehr Wert auf die Erweiterung der EU als auf die Intensivierung der Zusammenarbeit gelegt worden“, sagt Felix Förster. Aus seiner Sicht rächt sich das jetzt. Unter den Stipendiaten werden die Themen intensiv diskutiert. Eine Lösung hingegen wird von ihnen selbstverständlich nicht erwartet. „Im Zentrum des Kollegs steht die internationale und die interdisziplinäre Zusammenarbeit“, sagt Susanne Stephani, Geschäftsführerin des Studienkollegs. „Wobei sich herausgestellt hat, dass sich manchmal Ländergrenzen besser überwinden lassen, als fachliche Grenzen.“
Russen und Deutsche haben sich manchmal mehr zu sagen, als Ingenieure und Soziologen. Auch Felix Förster hat das Gefühl: „Als Ingenieur bringt man in viele Debatten Rationalität ein.“
Konkrete Ergebnisse werden von den Kollegiaten nicht erwartet. Sie müssen ihre Projekte lediglich vor der Gruppe und den Dozenten erklären und begründen. Immer wieder passiert es jedoch, dass Projekte ein Eigenleben entwickeln. Etwa die Plattform „Europe and Me“, einem Internet-Magazin für Jugendliche und junge Erwachsene über europäische Themen. Auf Englisch wird hier versucht, Meinung und Debatten im Sound der Gegenwart. Frühere Gruppen hatten sich mit der europäischen Protestkultur auseinandergesetzt. Oder mit Landflucht und entvölkerten Städten. Die europäische Zukunft, die die Kollegiaten denken, setzt sich aus vielen kleinen Details und Spezialthemen zusammen. Aber das ist es auch, was die Kollegiaten suchen.
Studienkolleg zu Berlin: Intensives Arbeiten ohne Ergebniszwang
Sich einmal mit einem Thema intensiv auseinanderzusetzen, Grundlagenforschung ohne Ergebniszwang oder Beleg der Nutzwertigkeit. Etwas, was das Studium eigentlich ausmachen sollte, in Zeiten von Bachelor und Master allerdings immer seltener der Fall ist.
Einig sind sich die Stipendiaten darin, dass sie alle an die europäische Idee glauben. „Finnland ist meine Heimat, aber Europa ist meine Welt – und Berlin ist jetzt der Kern meines deutschen Lebens!“, schreibt Nea Auhtola, Kollegiat des Jahrgangs 2009/10, auf der Webseite des Studienkollegs. „Die Kollegiaten profitieren nicht nur während des Kollegs von den Angeboten, sondern auch vom europäischen Netzwerk der Alumni“, sagt Geschäftsführerin Susanne Stephani. Das Netzwerk ist eng und international. In regelmäßigen Alumni-Treffen bleiben die Kollegiaten einander verbunden.
Felix Förster ist sich schon jetzt sicher, dass sich viele Freundschaften aus dieser Zeit ergeben werden. Die Zeit, die man miteinander verbringt, ist intensiv. Die Diskussionen sind es auch. Und nebenbei bleibt auch immer noch Zeit, Berlin, die heimliche Hauptstadt Europas, mit seinen Clubs, Bars und Konzerten zu genießen.
Soweit Förster nicht in seinem eigentlichen Studium Ergebnisse liefern muss. Oder sein Unternehmen in Bremen einen neuen Auftrag hat. Aber er wusste ja, worauf er sich einlässt. Und hat das Gefühl, es nicht zu bereuen.
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