„Try it!“: MINT-Fächer für Mädchen attraktiver machen
Nicht jede Ingenieurstudentin kommt ungeschoren durch die Mathematikprüfung. Das ist eine Botschaft, mit der Ingenieurinnen im Workshop „Try it!“ Mädchen zwischen 15 und 17 Jahren konfrontieren. Die positiven Informationen aber überwiegen, die meisten Teilnehmerinnen hat die Lust auf Technik gepackt.
Das ist es also, was ein Heiz- und Stromkraftwerk im Innersten zusammenhält! 20 Schülerinnen, die weißen Schutzhelme auf dem Kopf, schauen sich staunend auf dem Gelände um. Einiges davon kennen sie aus dem Physikunterricht, aber nur theoretisch. Die schiere Größe des Berliner Kraftwerks Reuter-West des Energiekonzerns Vattenfall ist beeindruckend. 350 km Rohrleitungen sind im gigantischen, Dampf erzeugenden Kessel verlegt. Und 3300 t Kohle verbraucht das Kraftwerk pro Tag.
16 Ingenieure arbeiten im Werk – doch keine Frau ist darunter. Und bundesweit dümpelt der Studentinnenanteil in den ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen bei 20 %. Das soll sich ändern, und dafür sind die 15- bis 17-jährigen jungen Frauen hier. Sie sind aus ganz Deutschland angereist und nehmen an dem viertägigen Workshop „Try it!“ teil.
Workshop „Try it!“ will MINT-Fächer für Mädchen attraktiver machen
Seit zehn Jahren findet er an der Technischen Universität Berlin statt, möchte technikinteressierten Schülerinnen die Welt der Ingenieurwissenschaften nahebringen und ihnen ein Studium in einem Mint-Fach schmackhaft machen: Mit Technik-Workshops, in denen die Mädchen unter Anleitung ein kleines Elektromobil bauen oder Websites programmieren mit einer Exkursion zu Unternehmen wie Vattenfall, Siemens oder Daimler, wo die jungen Frauen erfahren, mit welchen konkreten Aufgabenfeldern sie es dort als Ingenieurinnen zu tun hätten. Und schließlich in Gesprächsrunden mit Studentinnen und Ingenieurinnen, die die Schülerinnen mit Fragen nach ihren Erfahrungen löchern dürfen.
Eine erste Bilanz nach zehn Jahren zeigt, dass Initiativen wie „Try it!“ nicht wirkungslos verpuffen: Von den befragten ehemaligen Teilnehmerinnen, die mittlerweile ein Studium aufgenommen haben, haben sich 73 % für ein MINT-Fach entschieden. Und während vor dem Workshop etwa 40 % der Schülerinnen sagen, sie würden sich ein MINT-Fach zutrauen, sind dies nach dem Workshop doppelt so viele.
„Viele der Schülerinnen sind bereits sehr interessiert“, sagt Martina Battistini, Studienleiterin bei der Femtec GmbH an der TU Berlin, die die Workshops durchführt. „Doch der letzte Anstoß fehlt, denn für viele blieb das Thema bislang abstrakt.“ Auch weil der praktische Bezug des Schulstoffs im Physik- oder Mathematikunterricht kaum vermittelt werde. „Viele Schülerinnen sind – häufiger als die Jungen – vielseitig begabt. Sie sind sehr gut in Mathe und Physik, aber eben auch in Sprachen.“ Weshalb sich viele Abiturientinnen dann doch nicht für die Technik entscheiden.
Annika Briegleb, Elftklässlerin aus Würzburg und eine der „Try it!“-Teilnehmerinnen, ist ein Beispiel für Mehrfachbegabung. Die 16-Jährige besucht den sprachlichen Zweig ihres Gymnasiums. An der Uni Würzburg absolviert sie jedoch ein Schüler-Frühstudium in Wirtschaftsinformatik. Aber: „Was ich nach dem Abi studieren will, ist noch offen.“
„Try it!“ ermöglicht Mädchen den Einblick in MINT-Berufe
Damit den Unternehmen solche begabten potenziellen Fachkräfte nicht verloren gehen, ermöglicht „Try it!“ den jungen Frauen Einblicke in die Arbeitswelt und bringt sie mit Rollenvorbildern zusammen, die Mut machen sollen.
Annika Briegleb hat sich gleich am zweiten Tag, beim Rundgang über den TU-Campus, mit einer Studentin über deren Fach Luft- und Raumfahrtechnik unterhalten. „Das Thema fasziniert mich“, sagt sie. Hilfreich findet sie, dass die Studentin auch das Negative nicht ausgespart hat: „20 % ihrer Kommilitonen sind bei der ersten Matheprüfung durchgefallen. Bei der zweiten waren es sogar 80 %.“ Annika klingt jedoch nicht so, als würde sie sich abschrecken lassen.
Am letzten Tag findet ein Treffen mit Ingenieurinnen statt, die berichten, wie sie ihren Weg ins Unternehmen gefunden haben und wie sie Familie und Karriere unter einen Hut bringen. Befragungen ehemaliger Workshop-Teilnehmerinnen haben ergeben: Knapp drei Viertel der Schülerinnen finden, dass die Vereinbarkeit von Job und Familie entscheidend sei, um Mint-Berufe attraktiver für sie zu machen.
Die Maschinenbauingenieurin Sandra Neuwirth ist Mutter von zwei kleinen Kindern. Doch das bedeutete für sie keinen Karriereknick, im Gegenteil: Ihr Wiedereinstieg nach der Babypause beim Automobilhersteller Daimler war mit einem Aufstieg zur Teamleiterin im Mercedes-Benz-Werk in Berlin verbunden. „Das zeigt, dass es durchaus Unternehmen gibt, die junge Ingenieurinnen gezielt fördern“, macht Neuwirth den Schülerinnen Mut. „Allerdings muss man sich sehr gut organisieren. Mein Arbeitstag beginnt oft schon um 6 Uhr, damit ich meine Kinder nachmittags pünktlich von der Kita abholen kann.“
„Try it!“ will Mädchen den Praxisbezug zu MINT-Berufen vermitteln
Anders als Sandra Neuwirth arbeitet die Informatikerin Carina Grühser in einer kleinen, noch jungen Firma, die geologische Untersuchungen für Bauvorhaben durchführt. Die Beschreibung ihres Jobs – eine Software für die geologischen Untersuchungen zu entwickeln – finden alle Schülerinnen spannend. Auch den Job davor, den ersten nach dem Studium, ergatterte Grühser in einer kleinen Firma. Dort war knallharte Selbstausbeutung an der Tagesordnung. In ihrer jetzigen Firma achte sie mehr auf eine ausgewogene Work-Life-Balance.
Für die 15-jährige Eva Hempel aus Osnabrück ist es jetzt, am Ende der neunten Klasse, zwar noch zu früh, um sich schon auf ihr späteres Studienfach festzulegen. Trotzdem hat sie eine Menge Fragen an die Ingenieurinnen: „Was aus Ihrem Studium können Sie in Ihrem jetzigen Job konkret gebrauchen? Und wie praxisorientiert ist Ihre Arbeit?“ Auch, ob die Ingenieurinnen im Team oder eher als Einzelkämpfer arbeiten, findet sie wichtig. „Alles andere lasse ich auf mich zukommen.“ Auf jeden Fall wird sie zu Hause andere Schülerinnen ermuntern, auch an einem Workshop wie „Try it!“ teilzunehmen.
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