Tutorien: Studierende helfen Studierenden
Die Umstellung auf Bachelor und Master sowie Studienanfänger mit Berufskarrieren stellen neue Herausforderungen an die Hochschulen. Tutorien, in denen ältere Semester Studieneinsteigern nicht nur fachlich zur Seite stehen, haben Hochkonjunktur. Ihre Finanzierung aber ist vielerorts gefährdet.
Mit der Studienreform haben sich die Anforderungen an Studierende verändert. Eine banale Feststellung, hinter der aber mehr steckt als nur gestiegene organisatorische Herausforderungen wie das zeitliche Abstimmen von Bachelorstudium, Gelderwerb und Freizeit.
Denn es sind längst nicht mehr nur Abiturienten, die an die Hochschulen gehen. „Viele Studenten haben vor dem Studium eine Ausbildung gemacht und sind lange aus dem Lernprozess heraus“, weiß Katja Matschulat um die Schwierigkeiten von Quereinsteigern.
Katja Matschulat war bis zum Sommersemester 2011 Fachtutorin für Mechanik I & II im Fachbereich Maschinenbau und Verfahrenstechnik an der Hochschule Niederrhein. „Das Studium setzt mathematische Grundkenntnisse voraus, die einige Studenten nicht ausreichend erfüllen.“
Lernen wieder mithilfe von Tutorien zu lernen
Studienanfänger mit Abitur seien bei komplexen Gleichungen meist besser gewesen. Es sei für diejenigen, die vorübergehend aus dem Lehr- und Lernbetrieb heraus waren, wichtig, Lernen wieder zu lernen. „Dabei helfen eine gute Strukturierung des Vorlesungsstoffes und eine kontinuierliche Lernweise.“
Die fachliche Hilfe habe bei ihrer Tutorentätigkeit immer im Mittelpunkt gestanden, sagt Katja Matschulat. „Zunächst habe ich eine Aufgabe vorgerechnet, anschließend übten die Studenten weitere Aufgaben alleine oder in Gruppen. Dabei stand ich bei Fragen die ganze Zeit zur Verfügung. Mir war aber wichtig, dass die Studenten lernen, selbstständig Probleme zu lösen.“
Katja Matschulat fungierte aber auch als Mentalcoach. „Generell sind die Semester sehr straff organisiert, sodass vor allem am Anfang viele überfordert sind.“ Das, wofür Diplomanden früher vier Semester Zeit gehabt hätten, müsse nun in nur dreien abgehakt werden. „Studenten müssen sich in kurzer Zeit viel merken, können dies jedoch nicht festigen. Viele ,schwächere‘ Studenten verlieren dabei den Anschluss. Tutorien sind wichtiger geworden, um auf individuelle Lernschwächen einzugehen. Meine Aufgabe war es deshalb auch, die Studenten zu motivieren, damit sie am Ball bleiben.“
Die Nachfrage nach Hilfe zur Selbsthilfe ist in den vergangenen Jahren vermutlich gestiegen, obwohl es keine Zahlen zu Tutorienangeboten an deutschen Hochschulen gebe, wie die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) berichtet. Im Zuge des Bolognaprozesses herrsche nun ein anderes Tempo mit festen Stundenplänen, begründet Heike Kröpke, warum die Tutorien an der Hochschule Niederrhein großes Interesse finden. „Es geht meist um die knochenharten Fächer, wie Mathematik, Natur- und Ingenieurwissenschaften“, weiß sie aus acht Jahren Erfahrung als Diplom-Pädagogin an den Hochschulstandorten Mönchengladbach und Krefeld.
Hochschulen mit Spitzenqualitätsanspruch kommen ohne Tutorien nicht aus
Und da es der Informations- und Lernhilfe bedarf, gibt es an der Hochschule Niederrhein Auslands-, Vertrauens-, Erstsemester- und Fachtutoren, Studienpaten, Mathe-Online-Tutoren sowie Tutoren für die Studierwerkstatt. Heike Kröpke weiß: „Hochschulen, die in der Lehre zu Spitzenqualität aufsteigen wollen, können auf qualifizierte studentische Unterstützung nicht verzichten.“
Um die Studienbetreuer, meist Kommilitonen mit einigen Semestern Erfahrung, ihrerseits zu motivieren, erhalten sie ein Honorar sowie einen Tutorenpreis – den die Hochschule Niederrhein in diesem Jahr zum ersten Mal vergab.
Heike Kröpke sieht die Tutorien als ideale Ergänzung zum obligatorischen Studienprogramm: „Die Studierenden sprechen untereinander eben eine andere Sprache als gegenüber den Professoren. Da herrscht eine andere Vertrauensbasis. Es werden Fragen gestellt, die in der Vorlesung bei einem Professor nicht gestellt werden. Das nimmt den Studenten einiges an Stress.“
Die Professoren bereiten die Tutoren fachlich auf ihre Aufgabe vor, Heike Kröpke qualifiziert sie auf methodischer und didaktischer Ebene. Wer seinen Kommilitonen mit Rat und Tat zur Seite stehen und darüber sein Studium mitfinanzieren möchte, muss nicht nur fachlich auf der Höhe sein, sondern auch Vortragstechniken beherrschen, präsentieren und moderieren können. „Wir fragen die Tutorenbewerber auch, wo sie ihre Schwächen und Stärken sehen“, erklärt Heike Kröpke.
Der Druck auf die Studierenden, der sich durch Anwesenheitspflicht und steigende Zahl der Prüfungen verschärft habe, übertrage sich auf die Tutoren, weiß Doris Schmedding, Tutorenbeauftragte an der Fakultät für Informatik der TU Dortmund. Entsprechend akribisch sehe inzwischen deren Ausbildung aus.
Aber auch die Tutorenbeauftragten vieler Hochschulen befinden sich in einem kontinuierlichen Lernprozess, in dem sich viele „Einzelkämpfer“, so Heike Kröpke, allein gelassen fühlen. Deshalb hat sie gemeinsam mit Kollegen das „Netzwerk Tutorienarbeit an Hochschulen“ ins Leben gerufen, dem inzwischen 24 Hochschulen angehören. Ein wesentliches Ziel ist die Entwicklung bundesweiter Qualitätsstandards sowie die Intensivierung gegenseitigen Austauschs.
Abschaffung der Studiengebühren könnte Finanzierung der Tutorien gefährden
Die Abschaffung der Studiengebühren in einigen Bundesländern könnte die Finanzierung der Tutorien gefährden, befürchtet Heike Schmitt, Geschäftsführerin von 4ING, den Fakultätentagen der Ingenieurwissenschaften und der Informatik an Universitäten. Die steigenden Studierendenzahlen durch doppelte Abiturjahrgänge und durch das Entfallen des Wehr- und des Ersatzdienstes würden das Problem noch verschärfen. „Bei den jünger werdenden Studierenden brauchen wir eventuell noch pädagogisches und psychologisches Personal zur Betreuung, die an einer Hochschule so nicht vorhanden sind.“
Doris Schmedding bestätigt die Skepsis aus Reihen der Ingenieure. „Das kommende Wintersemester finanzieren wir noch aus Reserven. Der versprochene Ersatz für die Studiengebühren und damit die Zukunft der Tutorenprogramme sind noch unklar.“ Für viele Studenten stelle der Wegfall der Studiengebühren aber eine große Erleichterung dar.
An der Hochschule Niederrhein ist die Tutorienarbeit zunächst gesichert. Mit Geldern aus dem „Programm des Bundes und der Länder für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre“ sollen Erstsemestertutorien ausgebaut, Fachtutorien aufgestockt und Repetitorien ins Leben gerufen werden.
Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), ist optimistisch. An den Unis werde es angesichts der zahlreichen Studienanfänger „ganz sicher eng werden“, sagte sie der ARD-Tagesschau. „Doch die Hochschulen wissen, was auf sie zukommt.“ Man werde mehr Tutorien einführen, Lehraufträge erteilen und zusätzliche Räume mieten.
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