Unikurse beheben Schwachstelle „Mathe“
Nicht nur Arbeitgeber klagen über das geringe Wissen von Schulabsolventen in Mathematik. Auch die akademische Ausbildung muss sich diesem Problem stellen. Brücken- und Vorkurse sollen dafür sorgen, dass aus der Studierlust kein Studierfrust wird. Ein Beispiel aus der Fachhochschule Bonn/Rhein-Sieg.
Wer sich für ein natur- oder ingenieurwissenschaftliches Studium entscheidet, kann und liebt Mathematik. Oder? „Wir haben unsere Prüfungsdaten im ersten Studienjahr analysiert: Die Durchfallquote ist bei den Mathematik-Klausuren besonders hoch“, sagt Manfred Kaul, Vizepräsident für Lehre und Studium der FH Bonn/Rhein-Sieg. Deshalb hat die Fachhochschule ein Förderprogramm für ihre Studienanfänger angelegt: Pro-MINT-us.
Die Studierenden stolperten immer wieder über handwerkliche Fertigkeiten aus der Mittelstufe. Sprich: Prozent- und Bruchrechnung oder Term-Umformung, so Manfred Kaul. Das andere Problem seien fehlende analytische Fähigkeiten: Für das selbstständige wissenschaftliche Arbeiten an der Hochschule würden diese vom ersten Tag an gebraucht. Das Programm Pro-MINT-us setzt bereits vor Beginn des Studiums mit mehr Beratung, Brücken- und Vorkursen ein und setzt sich mit Tutorien, Projektarbeit und E-Learning fort.
Elektronischer Trainer soll Defizite aus der Schulzeit beheben
Dafür will die FH in den nächsten fünf Jahren 6,7 Mio. € ausgeben, mit Mitteln aus dem „Qualitätspakt Lehre“. Unter anderem werden acht zusätzliche Professuren geschaffen. „Größere Vorlesungen wollen wir in kleinere Gruppen aufteilen“, sagt der Vizepräsident: „Wenn 40 Leute im Saal sitzen statt 120, traut man sich eher, den Professor anzusprechen.“ Wer bei einer Klausur durchfällt, soll Hilfe erhalten. Defizite aus der Schulzeit sollen die Studierenden zudem mithilfe eines elektronischen Trainers beheben.
Ein Problem, das den Fachhochschulen mehr zu schaffen mache als den Universitäten, sei die größere Heterogenität der Studierenden. Sie kämen mit unterschiedlichen Bildungsabschlüssen und einem entsprechend uneinheitlichen Wissensstand. Deshalb bietet die Fachhochschule Vorkurse, etwa in Mathematik, an. „Mir hat das schon den Einstieg erleichtert“, sagt der gelernte Elektriker Malte Bartsch. „In der Ausbildung hatte ich längere Zeit mit der anspruchsvollen Mathematik nichts zu tun, da graust es einem schon vor dem Studienbeginn.“
Als Orientierung sei der Vorkurs wichtig. Heute studiert Bartsch bereits im sechsten Semester Elektrotechnik und Automatisierung. Sein Kommilitone Alexander Simukhin kam dagegen direkt von einem Gymnasium und hatte Mathematik als Leistungskurs. Trotzdem setzte er sich noch einmal hin und übte Differenzial-Rechnung und Graphen-Ablesen. „Der Stoff der späteren Semester baut darauf auf – und es war eine gute Möglichkeit, Leute kennenzulernen.“
Fachbereich Informatik bietet Brückenkurse an Schulen und Berufskollegs an
Der Informatik-Fachbereich setzt sogar noch früher an: Seit gut fünf Jahren gibt es Brückenkurse an den Schulen und Berufskollegs. „Sobald die Einschreibefrist vorbei ist, bieten wir für unsere künftigen Studierenden zwölf Stunden Präsenzveranstaltungen mit Selbstlernphasen dazwischen“, erläutert Prodekan Alexander Asteroth. „Das ist bewusst keine Oberstufen-Mathematik, sondern elementare Algebra. Wir wollen an nichts anknüpfen, womit man schon schlechte Erfahrungen gemacht hat“, sagt er und schmunzelt.
In der Informatik hätten sich auch die sogenannten Einsteiger-Projekte bewährt. Die Erstsemester werden direkt in wissenschaftliche Projekte integriert. Sie bekommen Themen vom Spezialgebiet ihres Professors, die sie selbstständig in der Gruppe untereinander aufteilen, planen und erarbeiten sollen. Die damit verbundene intensive Betreuung erfordert sowohl mehr Mitarbeiter als auch eine Weiterbildung des Personals. „Es zahlt sich aber unserer Meinung nach aus“, meint Asteroth.
So sehr, dass die Brücken- und Vorkurse, die es bisher vereinzelt gab, ab dem Wintersemester in alle Fachbereiche eingeführt werden sollen. Für die Einsteigerprojekte gibt es je sechs Credit Points, die Zusatzangebote lassen sich jedoch nicht anrechnen. „Wir setzen auf die Selbstverantwortung der Studierenden“, sagt Vizepräsident Manfred Kaul. „Die Teilnahme ist freiwillig, aber sie hilft, die Klausuren zu meistern.“
„Wir wollen vor allem diejenigen, die knapp scheitern, herüberziehen.“
Je nach Fach seien die Abbruchquoten unterschiedlich: In den dualen Studiengängen tendierten sie gegen null, in der Informatik und Elektrotechnik verabschiedete sich fast die Hälfte vorzeitig. „Wir wollen vor allem diejenigen, die knapp scheitern, herüberziehen.“
Je nach Fachrichtung bis zu 40 % Schwund verzeichnen auch die Universität Stuttgart und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Den wollen sie nun mit einem gemeinsamen MINT-Kolleg reduzieren. „Darüber hinaus wollen wir aber auch mehr Studierende für ein technisch-wissenschaftliches Studium gewinnen“, erklärt Margarete Lehné vom KIT. Zum Start in diesem Sommer konnte das Kolleg je 200 Teilnehmer an beiden Standorten aufnehmen. Es handelt sich um ein Propädeutikum, das die fachlichen Voraussetzungen und Kenntnisse in der Übergangsphase zwischen Schule und Studium verbessern soll.
Das Konzept: Die Bewerber prüfen ihren Stand in einem Online-Test und lassen sich anschließend beraten. Wer Defizite feststellt, kann sich für den Unterricht in Mathematik, Physik, Chemie und/oder Informatik einschreiben. Pro Semester sind sieben Präsenzmodule von je zwei Wochen vorgesehen, zusätzlich werden die Studienanfänger ganzjährig mit einem E-Learning-Programm üben können. Die Teilnahme am Kolleg ist auch hier freiwillig, doch die Leistungen werden dokumentiert. Mathematik-Vorkurse sind ab dem Sommer den ingenieur-, wirtschafts- und naturwissenschaftlichen Studiengängen vorgeschaltet. Dazu bietet das Kolleg Chemie- und Physik-Praktika und einen Programmierkurs in Java an. Diese Einrichtung wird mit 7,8 Mio. € ebenfalls aus dem Qualitätspakt Lehre gefördert.
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