Windenergie-Studenten mit Forschungsauftrag
An der Universität Hannover werden ab dem Wintersemester 2011/2012 Windenergie-Ingenieure ausgebildet. Dabei setzen die Hannoveraner auf ein interdisziplinäres Konzept: Die Studierenden pauken vier Semester gemeinsam mit Bachelorabsolventen der Fächer Maschinenbau, Elektrotechnik, Computergestützte Ingenieurwissenschaften und Bauingenieurwesen.
Ein Ingenieur in der Windenergiebranche muss vieles können: Er muss etwas verstehen vom Wind und dessen Kräften (Physik), er muss wissen, wie man eine Maschine konstruiert, die dem Wind seine Kraft entzieht (Maschinenbau), wie man sie in netzkompatiblen Strom umwandelt (Elektrotechnik) und dann muss er auch noch in der Lage sein, seine Maschine so stabil aufzubauen, dass das Fundament die enormen Kräfte, die auf das Bauwerk wirken, aushalten kann (Bauingenieurwesen).
Woher aber sollen derart ausgebildete Ingenieure kommen? Bisher sind diese Mangelware und schon jetzt leidet die Branche unter dem Fachkräftemangel: Auf Messen hat fast jedes Unternehmen eine ganze Liste von offenen Stellen ans Schwarze Brett geheftet. Ganz oben auf der Liste der Gesuchten: Ingenieure mit Affinität zur Windenergie.
Die Universitäten haben bereits reagiert und bieten die unterschiedlichsten Studiengänge und berufsbegleitenden Fortbildungen an. Einen ganz neuen Weg will jetzt die Uni Hannover beschreiten, um den rundum ausgebildeten Ingenieur auf den Arbeitsmarkt zu schicken: Ab dem Wintersemester 2011/2012 will die Hochschule den fächerübergreifenden Master-Studiengang „Windenergie-Ingenieurwesen“ anbieten.
Fächerübergreifend bedeutet, dass Bachelorabsolventen der Fächer Maschinenbau, Elektrotechnik, Computergestützte Ingenieurwissenschaften und Bauingenieurwesen gemeinsam lernen. Vier Semester lang werden die Studenten die Grundlagen der anderen Fächer erlernen, die mit der Windenergienutzung verbunden sind, und ihr eigenes Fachgebiet in diesem Bereich vertiefen.
„Gerade in der Windenergiebranche sind Ingenieure gefragt, die über den Tellerrand hinausblicken können“, erklärt Andreas Reuter. Seit dem Wintersemester 2010/2011 ist er Professor für Windenergie an der Universität Hannover und zugleich Geschäftsführender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Systemtechnik (IWES). Selbst zuvor in der Windindustrie tätig, unter anderem für die Windturbinenbauer GE und Kenersys, weiß er genau, welche Anforderungen die Branche an die jungen Ingenieure stellt. „Wir brauchen Ingenieure, die die Schnittstellen der Disziplinen kennen und wissen, wie der jeweils andere denkt“, beschreibt Reuter die Philosophie hinter dem interdisziplinären Ansatz.
Für die geplanten 25 Studienplätze gibt es bereits Anfragen, bestätigt Udo Nackenhorst, als Studiendekan am Fachbereich Bauingenieurwesen und Geodäsie federführend beim noch laufenden Akkreditierungsverfahren. Er zweifelt nicht daran, dass im kommenden Herbst die ersten Master-Studenten ihre Arbeit aufnehmen können.
Dabei kommt der Universität und den Studenten die gute Vernetzung mit dem Fraunhofer IWES und dem Forschungsverband Forwind zu Gute. „Es ist ja nicht so, dass wir hier etwas ganz Neues machen, sondern wir schöpfen aus vorhandenen Kompetenzen“, sagt Nackenhorst. So besteht für die Studenten schon früh die Möglichkeit, an den unterschiedlichsten Forschungsthemen mitzuarbeiten – grundlagenorientiert an der Universität, eher praxisbezogen am Fraunhofer IWES.
An Forschungsthemen mangelt es nicht: „Im Bereich Offshore – der Windenergienutzung auf dem Meer – haben wir jetzt ja erst die kritische Masse erreicht“, sagt Reuter. Beispielsweise, was die Stabilität der Gründungsstrukturen angeht – ein Spezialgebiet der Bauingenieure an der Uni Hannover um die Professoren Peter Schaumann und Raimund Rolfes.
Nicht erst, seit Anfang vergangenen Jahres die ersten so genannten Monopile-Gründungen in Offshorewindparks ins Rutschen kamen, ist dieses Thema hoch aktuell. In Hannover soll ein Testzentrum für Tragstrukturen entstehen, in das der Bund, das Land Niedersachsen und die Hochschule einen zweistelligen Millionenbetrag investieren. In dem 1200 m2 großen Gebäude ist auch eine 10 m tiefe Versuchsgrube zur Prüfung von Gründungselementen im Originalmaßstab geplant. Die Antragstellung über den Projektträger Jülich an die Bundesregierung soll im Frühjahr erfolgen. „Wir hoffen, im Herbst mit den Bauarbeiten beginnen zu können“, sagt Schaumann. Der Bedarf an diesem Zentrum sei da, die Nachfrage auch der Industrie groß.
Andere Schwerpunkte setzt das Fraunhofer IWES, das 2009 aus dem Fraunhofer-Center für Windenergie und Meerestechnik CWMT in Bremerhaven sowie dem Institut für Solare Energieversorgungstechnik ISET in Kassel hervorgegangen ist. Während sich der Standort Kassel mit Themen der Netzintegration und der Regelungstechnik beschäftigt, liegt heute der Schwerpunkt in Bremerhaven eher auf den Themengebieten Maschinenbau: Technische Zuverlässigkeit, Antriebsstrang und das Kompetenzzentrum Rotorblatt bieten dann auch den Hannoveraner Studenten die Möglichkeit, sich an Forschungsprojekten zu beteiligen.
„Wir integrieren unsere Studenten früh in die Forschung“, sagt Nackenhorst. Das erleichtert vielen auch den Start in das Berufsleben. „Es ist gut, auch schon an der Universität erlebt zu haben, dass Termine eingehalten und Entscheidungen gefällt werden müssen.“
KATHARINA WOLF
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