Das Vertrauen in den Techniker schwindet
Seit einem Beschluss der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 2009 öffnen immer mehr Hochschulen ihre Pforten für Praktiker. Viele Meister und Techniker nehmen das Angebot, einen akademischen Abschluss zu machen, berufsbegleitend wahr. Der Berufsabschluss Techniker erodiert unter dem steten Trend der Höherqualifizierung.
Fertigungsmechaniker, Maschinenbautechniker, Systemtechnikingenieur in spe. Matthias Scheck, 24 Jahre alt, ist seit über acht Jahren bei BMW in Regensburg beschäftigt. In der Zeit hat er sich kontinuierlich fortgebildet. War er als Realschüler noch „mit Ach und Krach durch Mathe und Physik gekommen“, wuchs in ihm über die Jahre der Wunsch, sein Wissen zu mehren.
Trend zur Höherqualifizierung
So wie Scheck reizt viele Techniker und Berufserfahrene ein akademischer Abschluss. Bis 2009 war das mit einem Realschulabschluss extrem kompliziert. Nach einem Beschluss der Kultusministerkonferenz hingegen schrieben sich allein 2010 nach einer Studie des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) 9241 Personen ohne Abitur in ein Hochschulstudium ein. Davon entschieden sich 28 % für ein mathematisches, natur- oder ingenieurwissenschaftliches Fach.
„Wenn man sich Statistiken ansieht“, sagt der Vorsitzende der Konferenz der Fachbereichstage, einer Interessenvertretung der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, Bernd Schinke, „ist es erschreckend, wie uns die guten Fachkräfte in der beruflichen Bildung wegbrechen.“ Nicht umsonst habe die Politik den Bachelorabschluss und die berufsbildenden Abschlüsse Techniker und Meister als gleichwertig eingestuft. Netter Versuch. „Diese soziale Aufwertung“, sagt der Fachhochschulvertreter, „wird den Trend zur Höherqualifizierung jedoch nicht stoppen.“
Matthias Scheck ist dafür das beste Beispiel. „Die mir angebotene Technikerstelle lehnte ich ab und ging stattdessen studieren, weil ich unbedingt mehr erreichen wollte.“
BMW unterstützt mit flexiblen Arbeitszeiten
Nahezu alle Länder haben den Zugang von Praktikern an die Hochschulen inzwischen erleichtert. Die Hochschule Regensburg startete im Oktober 2011 mit dem ingenieurwissenschaftlichen Studiengang Systemtechnik, dessen erstem Jahrgang Scheck angehört. „Der Großteil unserer Studierenden besitzt eine berufliche Weiterbildung zum Techniker beziehungsweise Meister“, sagt Sandra Bauer, Referentin für Weiterbildung und Wissensmanagement an der Hochschule Regensburg.
Möglich machen das auch die Unternehmen der studieninteressierten Arbeitnehmer. BMW unterstützt Scheck mit flexiblen Arbeitszeitmodellen. „Bei Bedarf kann ich meine Arbeitszeit von 35 Stunden die Woche drastisch verringern.“ Auf bis zu 18 Stunden die Woche – „immer mit der Möglichkeit, wieder aufzustocken“.
Von den Studenten erfordert das Disziplin. „Dass ich mich neben dem Beruf weiterbilden kann“, sagt Scheck“, „habe ich mir während der Qualifizierung zum Techniker selbst bewiesen.“ Nun soll sich der Aufwand sowohl für ihn als auch für seinen Arbeitgeber auszahlen.
Unterschiedliche Vergütung zwischen Technikern und Ingenieuren
Der Teilzeitstudent ist sich sicher, dass er nach seinem Studium eine passende Arbeitsstelle angeboten bekommt. Zwar kennt er die Berichte über atypische Beschäftigung, die Warnungen der IG Metall, sich als Ingenieur nicht mit Technikerstellen zufriedenzugeben, aber Sorgen bereiten sie ihm nicht.
„BMW unterscheidet in der Vergütung zwischen Technikern und Ingenieuren und das finde ich richtig“, sagt der Ingenieur in spe. Vor dem Studium sei er anderer Meinung gewesen, aber „jetzt sehe ich, was man alles wissen kann“. In der Weiterbildung zum Techniker würden viele Details ausgelassen oder nur oberflächlich behandelt. Die Entscheidung, ohne klassische Zugangsberechtigung zu studieren, habe er deshalb keine Sekunde bereut.
Bei vielen Praktikern ist die Scheu jedoch groß. Die einen befürchten ein kompliziertes Zulassungsverfahren, die anderen trauen ihren Kenntnissen in den naturwissenschaftlichen Fächern und Mathematik nicht. Auf diese Bedenken reagierten die Hochschulen gerade, sagt Schinke.
Kaum Hürden bei der Zulassung
In der Zulassung sieht er kaum Hürden. Interessierte können im Internet gezielt nach Studiengängen suchen, die Berufserfahrenen ohne Abitur offen stehen. Problematisch sei jedoch die Anerkennung von Weiterbildungen oder Arbeitsstunden als Ersatzleistung für Studieninhalte, so Schinke. „Die erworbenen Kenntnisse sind selten schriftlich belegt und zwischen den beruflichen Schulen und den Hochschulen gibt es kaum Abstimmung.“ Zudem starteten die meisten Studiengänge mit theoretischen Inhalten, wie Mathematik – ein völlig ungeeigneter Zugang für Praktiker.
Die meisten Hochschulen bieten ihren Studenten vor Studienbeginn bereits Mathematikkurse und während der Semester Tutorien an. Die Nachfrage ist hoch – sofern dafür Zeit bleibt.
Wenn die Prüfungszeit naht, fährt Scheck sein Lernpensum enorm hoch und seine Arbeitszeit entsprechend herunter. „Die Zeit, die ich zum Lernen benötige, erhöht sich von einigen Wochenstunden ab acht Wochen vor der Klausur auf mindestens 15 Stunden die Woche.“
Hoffnung auf Karrieresprung
Der junge Mann steht das durch, weil er sich davon einen Karrieresprung erhofft. Er entflieht damit einer „Form der Diskriminierung“, wie Peter Schühly vom Verein der Techniker das nennt. Viele Techniker, besonders im öffentlichen Dienst, aber auch in der freien Wirtschaft, würden tagtäglich Ingenieuraufgaben verrichten, ohne entsprechend bezahlt zu werden. Das Studium sei ein Ausweg aus diesem Dilemma.
Scheck hat der Ehrgeiz jedenfalls gepackt. „Jedem Praktiker, der eine Herausforderung sucht, würde ich zu einem ingenieurwissenschaftlichen Studium raten.“ Bauer bestätigt: „Prinzipiell gibt es kein Fach, welches sich nicht für das Studium ohne Abitur eignet.“
(Als „Personen ohne Abitur“ gelten in diesem Artikel all jene, die keine klassische Hochschulzugangsberechtigung besitzen.)
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