Diese Meetings hasst jeder: Wie eine Ente sie besser machen kann
Raten Sie mal, wie viele Möglichkeiten es gibt, aus sechs Lego-Steinen eine Ente zu bauen! Die Antwort ist verblüffend. Was das alles mit Job-Meetings und Unternehmensstrategie zu tun hat, verraten wir Ihnen hier.
Für den dänischen Spielzeughersteller Lego ist die Zahl ein ziemlich guter Marketinggag: 102.981.500. So viele mögliche Objekte lassen sich mindestens aus sechs Lego-Steinen des Formats 2×4 bauen, das jedenfalls haben Ingenieure des dänischen Spielzeugherstellers einst errechnet.
Weil das so verblüffend ist, lässt Matthias Renner seine Kundinnen und Kunden gern erstmal eine Ente basteln. Aus sechs Lego-Steinen. Renner ist Coach und Inhaber von Brickolution. Mit seiner Agentur hat er sich auf Gruppenseminare für Unternehmen spezialisiert, bei denen die Teilnehmenden komplexe Probleme mithilfe von Lego spielerisch lösen sollen. Lego Serious Play nennt sich das Konzept. Und schon die Ente macht gut deutlich, worauf das Konzept hinaus will: Jedes Modell ist ein Unikat – so individuell wie jeder Teilnehmende. Doch dazu später mehr.
Wie das alles funktioniert, haben wir uns in einer Schnupperstunde bei Brickolution einmal angeschaut.
Meetings, in denen alle gehört werden
Wir treffen uns per Videokonferenz, die notwendigen Legosteine haben wir im Vorfeld erhalten. Präsenztermine bietet Renner wegen der Corona-Pandemie aktuell nicht an. “Ein paar Abstriche muss man dabei machen, aber es ist trotzdem noch viel möglich”, sagt er. Ein bisschen Smalltalk, dann ein tiefer Atemzug: „Kennen Sie diese Meetings? In denen 20 % der Teilnehmer 80 % der Redezeit für sich beanspruchen und das erzählen, was wir alle schon kennen, weil sie das jedes Mal erzählen?“, fragt er. „Oder haben Sie schon mal an einem Meeting teilgenommen, in dem eine wichtige Fragestellung erörtert werden sollte und Sie hatten das Gefühl, eine Lösung zu haben, aber niemand hat Ihnen zugehört?“
Die Fragen sind rhetorisch, die Formulierungen klingen ein bisschen nach Teleshopping – verfehlen ihre Wirkung aber nicht: Die meisten Menschen dürften solche Meetings kennen und sich regelmäßig darüber ärgern. “Hier ist das anders”, verspricht Matthias Renner. Und dann kommt die Sache mit der Ente. Eine knappe Minute Zeit haben wir, um die sechs gelben und roten Steine zu einem Wasservogel zusammenzusetzen. Zeit zum Überlegen bleibt da nicht. Das Ergebnis: drei verblüffend unterschiedliche Modelle – aber jedes ist erkennbar eine Ente. “Wenn wir 100 Menschen diese Aufgabe geben, haben wir am Ende 100 verschiedene Enten. Garantiert”, sagt Matthias Renner. Eine dankbare Metapher: In einem Unternehmen haben alle Mitarbeitenden ganz individuelle Herangehensweisen – doch alle können effektiv an derselben Idee arbeiten.
Abstrakte Prozesse mit Lego bauen
Die nächste Aufgabe: “Bauen Sie einen Turm. Es gibt keine Regeln, nehmen Sie so viele Steine, wie Sie wollen.” Kriegen wir hin. Dann werden die Aufgaben immer abstrakter und komplexer: “Bauen Sie eine Situation, die Sie im Job als Hindernis empfinden!” Im Anschluss darf jeder Fragen zu den Bauwerken der anderen stellen – es aber nicht interpretieren, das obliegt allein dem Erbauer oder der Erbauerin. Aha – damit sind wir also beim Kern der ganzen Geschichte. “Bei der Methode kann es darum gehen, spielerisch gemeinsam neue Produkte oder Strategien zu entwickeln, aber auch, Strukturen im Job zu hinterfragen oder Konflikte im Team zu lösen”, erklärt Matthias Renner. Mit einem Lego-Turm?
Kreative Energie freisetzen
Ja, das mutet vielleicht erst einmal etwas esoterisch an, räumt er ein. Aber die Methode sei effektiv. “Wir denken mit den Händen und nutzen beide Gehirnhälften dabei, das setzt neue kreative Energien frei. Und unsere Ideen werden von den anderen nicht nur gehört, sondern auch gesehen.” Klingt nachvollziehbar: Jeder bringt sich zu 100 % ein und wird zu 100 % wahrgenommen. Tatsächlich merken wir schon bei unserer Schnupperstunde: Wir sind permanent beschäftigt, entwickeln kreative Ideen, auf die wir vielleicht nicht gekommen wären, wenn wir nur Stichpunkte auf einem Flipchart niedergeschrieben hätten. Aber was, wenn Teilnehmer es schlicht albern finden, mit Lego zu spielen? Geht dann nicht die ganze Gruppendynamik kaputt? “Man muss einfach zu Beginn erklären, dass die Methode das Spielzeug als Werkzeug nutzt und dass es um ein ernsthaftes Ziel geht.” “Gemeinsam am Tisch sitzen, gemeinsam an etwas bauen – das setzt auch Energien frei”, ergänzt Renner. Letztlich liege es am Coach oder Facilitator, wie es bei Lego Serious Play heißt – ob das Seminar zum Erfolg führe oder nicht.
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Aus Lego entsteht ein großes Modell
Aus den Einzelbauwerken aller Teilnehmer wird nach und nach ein großes Modell zusammengesetzt, erklärt der Coach. “Daran arbeiten alle im Team.” Das kann zum Beispiel eine Landschaft sein, die die Gegenwart und die gewünschte Zukunft einer Abteilung oder eines ganzen Unternehmens abbildet. Mit dem Lego-Modell ließen sich Zusammenhänge sichtbar machen. Etwa: Welchen Effekt hat es, diesen oder jenen Aspekt zu ändern? Wie wirkt es sich aus, wenn ich diesen Teil der Arbeit auslagere oder zwischen diesen Teams eine Verknüpfung erstelle? “Daraus können wir dann To-Dos ableiten.”
Manchmal lege so ein Seminartag auch tiefgreifende Probleme offen, über die die Mitarbeitenden vorher nie klar gesprochen haben, sagt Matthias Renner und hat ein eindrückliches Beispiel in petto. Den Unternehmensnamen möchte er nicht nennen – verständlich, denn die Bilder der entstandenen Bauwerke zeigen unmissverständlich, dass dort etwas gewaltig schief lief: Lego-Figuren liegen hinter einem Zaun wie auf einem Friedhof – sie stehen für die Kunden. Die Geschäftsleitung – zwei weitere Legomännchen weit abseits – sehen nur sich selbst. Und alle anderen kochen ihr eigenes Süppchen. “Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren schon erschüttert, als das Modell fertig war. Jetzt ist aber etwas offengelegt worden, was ohnehin schon da war und an dem man arbeiten kann”, so Renner.
Geschieht das tatsächlich immer? “Ich habe ein Gespür für die Auftraggeber. Wenn ich vorab das Gefühl bekomme, dass mit dem Modell nichts mehr gemacht wird und nur ein Pflästerchen geklebt wird, weise ich darauf hin. Es braucht mutige Führungskräfte, die mit den Modellen umgehen können. Das bekomme ich nicht mehr unter den Teppich gekehrt – egal wie dick der Flokati ist.”
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