Großes oder kleines „b“ – das ist hier die Frage
Wer anderen einen guten Rat geben will, braucht Lebens- und Berufserfahrung. Dabei ist Beratender Ingenieur nicht gleich beratender Ingenieur – oder Consultant. Das große „B“ und das kleine „b“ entscheiden über den jeweiligen Schwerpunkt, der einerseits vor allem auf den Bausektor als bevorzugtes Betätigungsfeld abzielt oder andererseits auf die Arbeit in breiter aufgestellten Consultingunternehmen.
An jeder Baustelle steht das Schild mit den an Planung und Ausführung beteiligten Firmen. Beim einem Megaprojekt wie dem neuen Eisenbahnknotenpunkt „Stuttgart 21“ ist die Liste der Fachplaner kaum überschaubar: für stabile unterirdische Gleisanlagen oder Elektrik, Klima und Sicherheit im Bahnhof, Denkmalschutz und Ökologie, für alle technischen Einzelheiten. Und selbst der einfache Häuslebauer und sein Architekt brauchen je nachdem beratende Ingenieure, wenn es etwa um die technisch-wirtschaftliche Frage eines Solardachs gehen soll oder eine Erdwärmeheizung.
Der Unternehmensverband VBI umfasst mit insgesamt 15 Fachgruppen ein breites Spektrum von der Akustik im Gebäude bis zum Grundwasser.
Dabei ist die gesetzlich geschützte Bezeichnung „Beratende/r Ingenieur/in“ (BI) nicht buchstäblich zu verstehen. Nicht wenige haben Naturwissenschaften studiert, etwa Bodenkunde. Manche sind zugleich Architekten. Sie sind vom Studium her allemal Bauingenieure. In den Abschlüssen Master of Engineering, Master of Science oder Master of Arts spiegeln sich variable Schwerpunkte.
Ob Architekt oder BI ist nach durchweg drei Berufsjahren rund um den Bau aber eine rein persönliche Entscheidung, wo man lieber Mitglied werden will: in der Architekten- oder der Ingenieurkammer oder auch in beiden. Von der Kammer kann man sich außerdem zum öffentlichen Sachverständigen bestellen lassen. Die amtlichen Honorarsätze sind aber immer nur ein Zubrot.
Wer Beratender Ingenieur oder Sachverständiger werden will, muss Arbeitsproben vorlegen, aber keine besondere Prüfung zusätzlich zum Hochschulexamen ablegen. Für die Kandidaten gelten besondere soziale Anforderungen: Er oder sie muss die fachlichen Aufgaben eigenverantwortlich erfüllen, in der Regel also als Freiberufler, und unabhängig von fremden Interessen wie etwa von denen der Lieferfirmen.
Wegen dieses engen rechtlichen Rahmens verzichten viele tatsächlich berufsberatende Ingenieure auf das große B im Namen zugunsten des kleinen oder bezeichnen sich auch immer häufiger als „Consultant“. Sie können dann nur keinen Bauantrag unterschreiben, eröffnen sich aber ein viel breiteres und bunteres Geschäftsfeld.
Als „Consultant für Medizintechnik“ kann der Dipl.-Ing. Kliniken bei der Beschaffung von Apparaten unterstützen. Ein Sachverständigenbüro für Röntgentechnik mag sich so zur Unternehmensberatung mit einem „Komplettservice“ fürs Krankenhausmanagement entwickeln. „Consultants leben einfach davon, bessere Leute zu haben als ihre Kunden“, definiert Dietmar Fink, Professor für Unternehmensberatung an der Fachhochschule Bonn, das Berufsbild.
Die unternehmerische Dynamik kann man nicht lernen, womöglich aber durch fachliche Weiterbildung fördern. Ein Beispiel ist der Brandschutz in Gebäuden, um Katastrophen etwa in Autotunnels oder auf Flughäfen vorzubeugen. Da bieten sich Seminare des VDI-Wissensforums an, zweitägig für annähernd 800 €, drei Tage bei der Sachverständigen Akademie Aachen kosten gut ein Drittel mehr. In gut 200 Unterrichtsstunden kann sich der Ingenieur für rund 5000 € auch zum „Fachingenieur Brandschutz (TÜV)“ weiterbilden.
Die Angebote werden akademischer. So wirbt die FH Zittau/Görlitz in Sachsen für ihr viersemestriges Fernstudium zum „Master of Engineering Brandschutz“ , Kostenpunkt 13 500 €. Mitveranstalter ist das „Europäische Institut für postgraduale Weiterbildung“ (Eipos), dessen Präsident in seiner Person zugleich hochrangig mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden verbandelt ist. Die Kammer kann die Anerkennung als Sachverständiger bescheinigen. Das geht freilich auch ganz ohne Zusatzstudium für eine Gebühr von nicht mehr als 500 €. Jeder muss selbst ausrechnen, was sich für ihn lohnt.
Fachleute kommen vor allem als Geschäftsleute zum Erfolg. So hat der VBI Seminare über geschicktes Verhandeln und Vertragsgestaltung, Rechnungswesen oder Mitarbeiterbindung im Programm. Große Unternehmensberatungen stellen nicht nur studierte Ökonomen ein, sondern auch gelernte Ingenieure oder Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaftler – betriebswirtschaftliches Interesse natürlich vorausgesetzt.
Ingenieure mit profunder Branchenkenntnis sind auch als Quereinsteiger bei der Personalberatung willkommen. Ein Senior Consultant, früher bei Daimler, erklärt seine heutige „Netzwerkertätigkeit“ so: „Es geht darum, die richtigen Ansprechpartner zu kennen.“
Beratung ergibt sich offenbar nicht aus dem Lehrbuch, sondern aus großer Erfahrung. Das zeigt sich nicht zuletzt in der nötigen Politikberatung bei großen technischen Projekten wie „Stuttgart 21“ – in diesem Falle mit dem 80-jährigen Heiner Geißler, einem gelernten Philosophen. HERMANN HORSTKOTTE
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