Reiselust statt Ruhestand
Viele Ingenieure sind unter den 5600 „Ruheständlern“, die beim Senior-Experten-Service (SES) in Bonn registriert sind und ihr Wissen so genannten Schwellen- und Dritte Welt-Ländern ehrenamtlich zur Verfügung stellen.
Der Hilferuf kam aus Honduras. Verpackungs-Ingenieur Herbert Bücheler packte in Erkrath bei Düsseldorf seine Koffer und flog in das mittelamerikanische Land. Es war sein erster Einsatz für den SES, sechs Jahre ist es her, vier Wochen war er dort. „Das war eine ganz kleine Firma“, erinnert sich der 66-Jährige, „der Chef war plötzlich gestorben.“ Dessen Sohn, der in den USA studierte, war deshalb in seine Heimat zurückgekehrt und benötigte nun dringend Unterstützung bei der Herstellung von Kunststoff-Flaschen. Geld war keines da. „Die Banken hatten die Kredite gestrichen“, erinnert sich Bücheler an die desolate Situation. Es habe an der simpelsten Technologie gefehlt. Der Senior-Experte versuchte sein Bestes, fertigte Zeichnungen an und erklärte, wie man die Flaschen richtig verschweißt und Verschlüsse optimal anbringt. „Ich hatte den Eindruck, dass es was gebracht hat“, sagt Bücheler, der als leitender Angestellter bei Henkel bis zu seinem Vorruhestand viel Verantwortung getragen hatte.
„Ingenieure sind bei uns sehr gefragt“, sagt Helmi Stolz, Sprecherin des SES. 45 % der Seniorexperten kommen aus dem technischen Bereich, dazu zählen jedoch auch handwerkliche Berufe. 40 % helfen in kaufmännischen Fragen. Doch es gibt auch medizinische Einsätze. Helmi Stolz berichtet: „Eine ehemalige Hebamme war 92 Tage in Uganda, um auf einer Krankenstation Waisenkindern zu helfen.“ Ein Honorar erhalten die Experten nicht. „Sie bekommen ein Taschengeld“, sagt Helmi Stolz. „Draufzahlen sollen sie natürlich nicht.“ Die Kosten für Flug, Unterkunft und Verpflegung übernimmt der Auftraggeber, sofern er kann.
Der SES, der kürzlich 20 Jahre alt wurde, organisierte bislang mehr als 11 000 Einsätze in 147 Ländern. Der Service, der unter dem Dach des Deutschen Industrie- und Handelstages gegründet wurde, finanziert sich durch öffentliche Mittel und Spenden aus der Wirtschaft. Seine Schwerpunktländer sind China und der ehemalige Ostblock.
Die Vorbehalte mancher Experten, dass „die ja nur unser Know-how wollen“, hält Helmi Stolz für übertrieben. „Man kann diesen Ländern doch nicht das Wissen vorenthalten.“ Außerdem werde Wissen, das durch Patente geschützt sei, nicht weitergegeben.
An Experten mangelt es dem SES nicht, denn die Zahl der Vorruheständler in Deutschland ist groß. „Wir haben viel Zuspruch“, sagt Helmi Stolz. Nicht alle Rentner wollen ein ruhiges Leben führen. Auch Verpackungsingenieur Herbert Bücheler hält sich fürs Nichtstun für „zu tatkräftig“. Nach seinem ersten Einsatz in Honduras reiste er noch nach Bolivien, Litauen und Saudi-Arabien. Er schätzt die Herausforderung und das Gefühl, „richtig helfen zu können“.
Auch der direkte Kontakt zur Bevölkerung – oft mit Hilfe eines Dolmetschers – sei eine große Bereicherung. Das sieht auch der Maschinenbau-Ingenieur Hilmar Gottesleben (70) aus Bergisch Gladbach (bei Köln) so. „Die Einsätze sind interessant, man lernt Land und Leute kennen.“ In manchen Ländern sei die Arbeit durch das tropische Klima natürlich sehr anstrengend. Gottesleben war im Jemen, in Indonesien und bereits vier Mal in China. Jetzt im April 2003 ging es erneut los. „Eine große Kesselbaufirma benötigt technische Informationen“, erzählt er. Wie in vielen Ländern leide man auch dort unter dem Problem, keinen Zugang zur Fachliteratur zu haben – es fehle an Sprachkenntnissen, die meisten Bücher seien ja nicht in die Landessprache übersetzt worden.
Herbert Bücheler und Hilmar Gottesleben sind mit ihren Einsätzen zufrieden. Doch was beiden Ingenieuren fehlt, ist das Feedback nach getaner Arbeit vor Ort. „Der Kontakt schläft leider ziemlich schnell ein“, bedauert Gottesleben. Er fände es gut, wenn es Berichte aus den Ländern gebe. Schließlich stelle sich jeder Seniorexperte die Frage, ob seine Hilfe auch langfristig nutze. Gottesleben tut einiges dafür: er kopiert zum Beispiel Fachliteratur und schickt diese als dickes Päckchen ins ehemalige Einsatzland. ANNETTE ZELLNER
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