So bekommen Ingenieure das notwendige IT-Know-how
Digitalisierung und Ingenieurwesen: Ohne Programmierkenntnisse geht es fast nicht mehr. Ingenieuren fehlt oft der IT-Hintergrund. Hochschulen und Wirtschaft versuchen das Problem mit verschiedenen Ansätzen zu lösen.
Ingenieure und Ingenieurinnen in der Informationstechnologie sind auf dem Markt gefragt. Laut Gehaltsstudie des VDI Verlags sind die Jahres-Durchschnittsgehälter für erfahrene IT-Ingenieure in den letzten Jahren um fünf Prozent gestiegen: Von 58.300 Euro auf 61.200 Euro. Leider fühlen sich viele Berufseinsteiger durch ihr Studium nicht ausreichend auf die dafür notwendigen Fragestellungen vorbereitet, wie die VDI-Studie „Ingenieurausbildung für die Digitale Transformation“ an den Tag legte. So gaben 40 Prozent der befragten Ingenieursstudenten an, dass digitale Fachinhalte im Wesentlichen nicht Teil ihres Studiums waren. Nur 15 Prozent der befragten Berufseinsteiger meinten, sie hätten sich die für den Job notwendigen IT-Kompetenzen schnell aneignen können.
Ingenieure sind von Haus aus Macher-Typen. Nützliche Produkte entwickeln, Innovationen schaffen und Strategien für neue Geschäftsmodelle entwickeln: So sieht der Wunsch-Alltag aus. Doch in der Praxis arbeiten Ingenieure und Ingenieurinnen oft am Computer, entwickeln am Bildschirm Prototypen, erstellen Präsentationen oder programmieren mit IT-Kollegen Abläufe für die Industrie 4.0: IT-Skills sind also gefordert, wie auch Sebastian Grundstein, Maschinenbauer, berichtet.
Mit Lochkarte zur digitalen Fabrik
Die Mühlen mahlen mitunter langsam. Als Sebastian Grundstein im Jahr 2012 sein Maschinenbaustudium abschloss, umfasste seine IT-Ausbildung die Computergeschichte beginnend bei der Lochkarte bis zu einfacher, maschinennaher Programmierung. Heute verantwortet Grundstein Projekte im Bereich Data Analytics bei der Unternehmensberatung ROI Management Consulting AG. Ein Sektor, in dem sowohl IT- als auch Ingenieurwissen gefragt ist. Denn es geht einerseits darum, Produktionsdaten zu analysieren und gewinnbringend im Prozess zu nutzen. Andererseits müsse die produktionsnahe IT mit den Office-IT-Systemen zusammengebracht werden.
Ingenieure und ITler sprechen unterschiedliche Sprachen
In einem solchen Kontext setzen viele Unternehmen auf den Einsatz interdisziplinärer Teams. In der Praxis kann es jedoch sehr schwierig sein, die Akteure zusammenzubringen. Denn beide Seiten sprechen unterschiedliche Sprachen.
„Im Bereich der Prozessoptimierung arbeiten Ingenieure mit der Methode der Wertstromanalyse. Ein ITler denkt hingegen in Datenbanken“, so Grundstein.
Um sie zusammenzubringen, müsse man zunächst einmal eine gemeinsame Arbeitsmethode finden.
Erschwerend kommt hinzu: „Es gibt keine trennscharfen Definitionen von Begriffen wie digitaler Zwilling oder digitaler Schatten“, sagt Raphael Kiesel vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT. Der Wirtschaftsingenieur mit Schwerpunkt Maschinenbau war an der VDI-Studie Ingenieurausbildung für die Digitale Transformation beteiligt. Er selbst hätte sich während seines Studiums mehr Grundlagenwissen zum Thema Digitalisierung und Data Analytics gewünscht. „Es heißt immer lapidar, dass Daten gesammelt und analysiert werden. Der ganze Prozess, der dahintersteht, ist jedoch sehr aufwendig und prozessabhängig.“ Es stellt sich nicht nur die Frage, welche Daten gesammelt werden sollen, sondern auch, welche Sensoren dazu benötigt werden. Dazu kommt, dass es sehr kompliziert sein kann, Daten vorzuverarbeiten und zu synchronisieren. Und die Daten zu speichern, kostet schließlich auch Geld.
„Man sollte sich also sehr genau im Vorfeld überlegen, welches Problem man lösen, bzw. welchen Mehrwert man generieren möchte“, gibt Kiesel zu bedenken.
IT-Wissen veraltet immer schneller
Eine weitere große Herausforderung besteht darin, dass das Wissen immer schneller veraltet. Cyberkriminelle agieren hingegen zunehmend schneller und legen weltweit Server lahm, wie die jüngste Hacker-Attacke „Log4Shell“ zeigt. Wie sollen Hochschulen mit diesem enormen Tempo Schritt halten? Jens Jäkel, Dekan der Fakultät Ingenieurwissenschaften an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig hat hierzu eine klare Meinung: Statt jedem Trend hinterherzulaufen, empfiehlt er, ein breites Grundlagenwissen zu vermitteln, auf dem die Ingenieure und Ingenieurinnen aufbauen können. Ebenso sollten die methodischen und sozialen Kompetenzen gestärkt werden. „Wenn Sie in den Unternehmen nach den Defiziten der Absolventen fragen, dann sind das in den wenigsten Fällen fehlende Fachkenntnisse. Vielmehr sind es fehlende Kommunikations- und Organisationsfähigkeiten, fehlende methodische Kompetenzen sowie ein Mangel im fächerübergreifenden Denken“. Alles so genannte Soft Skills, die man lernen kann.
Digitale Wissensvermittlung durch Hackathons
Eine sehr originelle Möglichkeit, um Inhalte aus dem IT-Bereich zu vermitteln, ist die Durchführung eines so genannten Hackathons. 42.000 Hacker haben beispielsweise in ihrer Freizeit das Coronavirus bekämpft. Bei einem Hackathon bekommt ein interdisziplinäres Team 24 Stunden Zeit, um ein Problem aus dem IT-Umfeld zu lösen. Gleichzeitig setzen sich Studierende mit unterschiedlichen Technologien auseinander. Beim Hackathon der HTWK mussten die Studierenden beispielsweise einen Schatz im Datensee bergen. Auch andere Hochschulen, wie die Technische Universität München, führten bereits solche Hackathons durch. Wie die VDI-Studie zur Ingenieurausbildung festhält, sind neue Lehr- und Lernformate im Hochschulumfeld durchaus ein Thema. Dabei wird unter anderem über disziplinübergreifende Labs und Lehr-, bzw. Lernfabriken sowie über hybride Lernsettings wie Blended Classroom, Inverted Classroom oder MOOCs diskutiert.
- Beim Blended Learning werden die Konzepte E-Learning und Präsenzunterricht miteinander kombiniert.
- Beim Inverted Classroom arbeiten die Studierenden das Lernmaterial eigenständig zu Hause auf und vertiefen ihr Wissen dann in Vorlesungen und Seminaren.
- MOOCs steht für „Massive Open Online Courses“. Diese Online-Kurse richten sich an ein breites Publikum. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Plattformen, z.B. OpenHPI, die sich auf die Vermittlung von digitalem Grundwissen spezialisiert hat.
Diese Programmiersprachen sollten Ingenieure beherrschen
Die sogenannten C-Sprachen sind im Ingenieurwesen besonders gefragt. Die Sprache “C” bietet die Basis, auf deren Logik und Syntax weitere Programmiersprachen aufbauen. Vor allem in der Elektrotrechnik werden die C-Sprachen gebraucht. Doch auch im Maschinenbau und Bauingenieurwesen wird es aufgrund der Digitalisierung immer wichtiger IT-Skills zu beherrschen. Für Ingenieure ist es unerlässlich zu verstehen, welche softwareseitigen Optionen bei der Entwicklung eines Roboters bestehen.
Für Einsteiger empfiehlt sich die Codecademy – eine Plattform zum Lernen von Programmiersprachen. Ob HTML, CSS, Python oder jQuery: Hier werden verschiedene Programmiersprachen gelehrt. Das IT-Wissen kann direkt angewendet werden, zum Beispiel im Aufsetzen einer Website. Um C Programmieren zu lernen, gibt es auch einige kostenfreie Tutorials im Netz. Im besten Fall erhalten Ingenieure und Ingenieurinnen eine gezielte Weiterbildung.
Informatikanteil wird immer wichtiger
„Die IT-Inhalte, die Sie heute an der Hochschule lernen, sind oft schon nach drei Jahren veraltet. Es wird eine ganz neue Definition von Lernen und Weiterbildung geben“, meint Klaus Weichardt. Der Partner bei der Unternehmensberatung Lab & Company rekrutiert und besetzt C-Level-Positionen, sprich die verschiedenen Führungspositionen an der Spitze eines Unternehmens. Ingenieurfachkräfte werden ebenfalls stetig gesucht. Um das Problem der fehlenden IT-Kompetenz bei Ingenieuren zu lösen, ist einer seiner Kunden einen besonderen Weg gegangen. Das Unternehmen, ein Elektrogerätehersteller, hat sämtliche Geschäftsprozesse – vom Vertrieb über die Produktion, bis hin zum Marketing und der Logistik – neu definiert und in seiner IT-Organisation abgebildet.
Das bedeutet zum Beispiel: „Die Produktentwicklung liegt nicht ausschließlich in den Händen der F&E-Verantwortlichen, die IT treibt diese Prozesse ebenfalls. Etwa, indem sie geeignete Tools für bessere Arbeitsabläufe entwickelt, etwa Collaboration-Tools für das Team oder digitale Zwillinge zum Test von virtuellen Prototypen.“
Aktuell sei es meist so, dass die Schnittstellen mit Ingenieuren und Ingenieurinnen besetzt werden und diese sich IT-seitig weiterbilden, um zum Beispiel die Prozesse zu digitalisieren. In zehn Jahren könnte sich das Ganze aber anders darstellen. Zumindest in einigen Bereichen: „Schauen Sie sich doch einmal einen Elektromotor an. Im Vergleich zu einem Verbrennungsmotor ist er technologisch sehr viel weniger komplex. In Zukunft werden wir hier mehr Informatikwissen benötigen.“
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