Verändern statt schlendern: Warum Wandel das neue Normal ist
Wir lieben Konstanz und verabscheuen den permanenten Wandel. Was auf Dauer nicht gut gehen kann. Besser ist, den Wandel als neues Normal zu begreifen und daraus Kraft zu schöpfen. Beraterin und Wirtschaftsexpertin Ulrike Winzer verrät, wie Ingenieure lernen können, Veränderungen als Chancen zu begreifen.
INGENIEUR.de: Es heißt immer wieder: Veränderung ist das neue Normal. Sehen Sie das auch so?
Ulrike Winzer: Ja, unbedingt! Veränderung war aber schon immer normal. Wir haben uns das nur nie wirklich bewusst gemacht. Wir empfinden die Veränderung heute deshalb so stark, weil die Geschwindigkeit des Wandels enorm zugenommen hat. Ein einfaches Beispiel ist das Tempo bei Nutzerzahlen. Das Radio brauchte ganze achtunddreißig Jahre, um fünfzig Millionen Nutzer zu erreichen. Facebook brauchte dafür nur noch dreieinhalb Jahre und das Smartphone-Spiel Pokémon Go schaffte diese Marke bereits nach neunzehn Tagen! In diesem Tempo verändert sich unsere ganze Welt – und die Tendenz ist zunehmend.
Was bedeutet das für meinen Job in einem technischen Beruf?
Zum einen ist es immer wichtig, das eigene Wissen auszubauen. Wissen verringert die Angst vor dem Wandel. Es geht hier aber weniger um das Fachwissen, sondern vor allem um digitales Know-how und persönliche Kompetenz. Veränderungsfähigkeit ist ein ganz entscheidender Hebel, das heißt Neues ausprobieren, mit neugieriger Bereitschaft neue Wege gehen, interdisziplinär, kreativ denken sowie flexibel und schnell agieren.
Was noch?
Hinzu kommt, die technische Entwicklung ganz stark auf den Nutzen des Kunden zuzuschneiden. Braucht der Kunde das wirklich, was ich mir hier auf der technischen Seite überlegt habe? Wie kann ich in meinem technischen Job neue digitale Geschäftsmodelle entwickeln, die der Kunde will? Diese Denkweise, die eigenen Ingenieursthemen auch immer mit digitalen Möglichkeiten zu verbinden, ist bei vielen noch ungewohnt. Das lässt sich trainieren und üben. Wer sich beispielsweise immer den Gedanken vor Augen führt, wie er durch digitale Lösungen und Plattformen dem eigenen Produkt eine andere Wertigkeit mitgeben kann, ist auf dem richtigen Weg. Auch in einem technischen Beruf heißt es aktiv zu werden, Ideen zu entwickeln, diese proaktiv beispielsweise dem Vorgesetzten vorzuschlagen und permanent über den Tellerrand zu blicken. Das bedeutet auch schneller zu werden und gerade nicht bis zur Perfektion alles zu eruieren.
Neigen Ingenieure dazu, an Bewährtem festzuhalten?
Jein. Deutschland ist stark und bekannt für seine Ingenieurskunst. Und das ist großartig für uns. Das betrifft aber vor allem Produktthemen. Die Digitalisierung erfordert den Blick auf Prozesse. Wie kann ich Produkte schneller, einfacher, bedarfsgerechter zur Zielgruppe bringen? Wie können Abläufe verschlankt werden? Auf welche Weise können Produkte durch digitale Services aufgewertet werden? Brauche ich das Produkt überhaupt in der Form noch, oder habe ich durch digitale Lösungen die Möglichkeit, das Produkt zu ersetzen? Es geht also eher darum, das Bewährte in einen anderen Kontext zu setzen. Das erfordert auch ein Umfeld, das dieses andere Denken ermöglicht. Das Wollen und Können der Mitarbeiter braucht immer auch das Dürfen durch das Management. Damit wären wir bei der Veränderung in der Führung in einer digitalen Welt.
Wie gelingt es, Veränderung als Chance begreifen?
Tendenziell sind wir in Deutschland sehr vorsichtig mit Veränderungen. Wir hinterfragen stark und analysieren von allen Seiten. Der Blick ist dabei jedoch meist auf den Status Quo gerichtet. Wir schauen, was wir bei Veränderungen verlieren könnten, aufgeben müssten, investieren würden an Zeit, Geld und Energie und vieles mehr. Unsere Komfortzone ist sehr ausgeprägt. Nüchtern betrachtet sind die wirklichen Risiken meist gar nicht so groß – wenn uns unsere innere Stimme nicht so gerne etwas anderes suggerieren würde.
Was ist zu tun?
Es ist daher schlau, die Risiken und die eigenen Ängste zu relativieren. Wichtig ist es zudem einmal die Gegenfrage zu stellen: was passiert eigentlich, wenn wir uns nicht verändern? Was passiert bei Stillstand? Werden wir morgen noch erfolgreich sein, mit dem was wir heute tun (oder ist da der Wettbewerber, der schon an unseren Kunden kratzt)? Ist mein Wissen morgen noch gefragt (oder gibt es da technologische Entwicklungen, die meine Rolle gefährden)? Ist das, was ich hier tue und wie ich es tue eigentlich wirklich schlau oder ermöglicht die heutige Technologie eine Effizienzsteigerung, wodurch Freiräume für Neues entstehen? Mit den Antworten auf diese Fragen sieht die Welt oft anders aus. Eine Umkehrung der Haltung gelingt auch durch eine andere Art der Infragestellung. Der Gedanke: „Digitalisierung? Die könnte mich meinen Job kosten!“ kann gedreht werden in „Digitalisierung? Spannend! Wie kann ich die einsetzen, um meinen Job besser zu machen und neue Ideen zu entwickeln?“ Diese Gedanken-Umkehrung kann auf alle Veränderungssituationen übertragen werden.
Fehler im Job sind was Feines – wenn man sie für sich zu nutzen weiß
Welchen Nutzen und welche Effekte ziehen Ingenieure daraus, dass sie den Mut zum permanenten Wandel aufbringen?
Der Mut zum Wandel bringt Sicherheit und Vertrauen in die eigene Macht. Viele Menschen sind aufgrund der Veränderungen durch die Digitalisierung verunsichert über die eigene berufliche Zukunft. Sie fühlen sich ohne Macht und hinterfragen, was durch die Technologie mit ihnen passieren könnte. Wer sich aber einlässt und Veränderung als spannende Entwicklung sieht, beginnt selbst zu gestalten. Die Angst vor dem Ungewissen geht damit zurück, weil die Sicherheit gewinnt, dass man Neues bewältigen kann. Darüber hinaus ist das Wiederentdecken unserer „Neugier auf Neues“ etwas, was uns eigentlich ohnehin innewohnt. Als Kinder hatten wir permanent Lust auf Neues. Insofern bringt der Mut zum Wandel viel Entdeckerfreude und Glücksgefühle mit sich. Wer sich nämlich der Angst vor der Veränderung stellt und die Angst überwindet, der fühlt sich stark und voller Selbstvertrauen durch die eigene Leistung.
Ihre Tipps: Was kann ich als Führungskraft tun, wenn ich merke, dass das Beharrungsvermögen im Team recht groß ist?
Zum einen muss die Führungskraft selbst das Thema aktiv vorleben und Veränderung wollen. Mit Blick auf das Team ist die Erwartungshaltung wichtig. Veränderung passiert nicht von heute auf morgen. Mal eben einen Workshop veranstalten und dann brennen alle für neue Dinge – das ist eine Illusion. Workshops sind wichtig, doch Menschen sind Individuen und ticken individuell. Eine Führungskraft sollte deshalb auch individuell jeden Einzelnen im Team dort abholen, wo er oder sie aktuell steht. One size fits all – eine Geschichte für alle – funktioniert nicht.
Warum nicht?
Eine solche kulturelle Veränderung dauert mehrere Monate. Bei Mitarbeitern, wo das Beharrungsvermögen so groß ist, dass auch individuelle Geduld keine Veränderung in der Haltung bewirkt, kann es passieren, dass derjenige zum blockierenden Teil im Team wird. Eine andere Aufgabe oder im schlimmsten Fall die Trennung vom Mitarbeiter sind dann die sinnvollsten Optionen.
Und individuell: Wie überwindet man den inneren Schweinehund, der uns bequem und zögerlich werden lässt?
Der Schweinehund ist ja im Grunde ein nettes Tierchen. Und abschalten, nichts tun, entspannen – das ist wichtig. Wenn der Schweinehund uns aber zurückhält und uns zögerlich werden lässt, dann ist er schlecht für uns. Daher hilft es immer wieder die Frage zu stellen: Tut mir das, was ich jetzt gerade tue, wirklich gut? Bringt mich das, was ich gerade mache, wirklich meinem Ziel näher? Wer sich selbst auf solche Fragen dann auch eine ehrliche Antwort gibt, der überwindet auch den Schweinehund. Denn klar ist: wenn wir an dieser Stelle schummeln, belügen wir uns nur selbst. Mit vielen Methoden und Tricks kann hier jeder selbst Abhilfe schaffen. Mein Buch „Stark durch Veränderung“ liefert dabei viele wertvolle Impulse.
„Stark durch Veränderung. Warum manche zögern und andere einfach handeln“ von Ulrike Winzer ist ab 11.01.2021 im BusinessVillage erhältlich. ISBN 978-3869804842 zu haben.
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