Was soll man lernen, wenn niemand weiß, was kommt?
Von Ingenieuren wird zu viel verlangt. Deshalb müssen Unternehmen umdenken. Der Teamgedanke dürfte das Maß aller Dinge werden, das auch das Gehalt des Einzelnen bestimmt, meint die Wirtschaftswissenschaftlerin Jutta Rump.
VDI nachrichten: Mit dem zunehmenden Innovationstempo wächst die Verunsicherung, was künftig an Ideen, Konzepten und Kompetenzen gebraucht wird. Im gleichen Zuge heißt es, Weiterbildung sei wichtiger denn je. Aber was soll man lernen, wenn niemand weiß, was kommt?
Jutta Rump: Das Lernen zu lernen.
Schön und gut. Das bringt einen in der Praxis aber auch nicht weiter.
Lernfähigkeit ist immer verknüpft mit Veränderungsbereitschaft und Veränderungsfähigkeit; also mit der Neugierde, sich niemals auf irgendeinem formal qualifikatorischen Abschluss auszuruhen. Es geht darum, sich auf Neues einzulassen und flexibel genug zu sein, den Job zu wechseln. Das verstehe ich unter der Fähigkeit, zu lernen.
Wer kann Ingenieuren, die sich beruflich auf glattem Eis befinden, helfen, nach einem neuen Weg suchen?
Sie sollten gar nicht erst abwarten, bis sie auf glattem Eis sind, sondern sie sollten selbst Initiative ergreifen. Sie sollten das Mitarbeitergespräch nutzen, mit der Führungskraft über
ihre Personalentwicklung zu reden. Zweitens kann man sich in Medien wie den VDI nachrichten informieren, um auf dem Laufenden zu bleiben. Wenn Personalabteilungen Weiterbildungen anbieten, kann das auch ein interessanter Pool sein, aus dem man schöpfen kann. Aber auch extern lohnt es sich, die Augen und Ohren offenzuhalten, um Kontakt zu Ingenieuren in anderen Unternehmen zu suchen. Ein guter Coach ist auch keine schlechte Idee. Es gibt enorm viele Möglichkeiten, über den Tellerrand zu sehen.
Der Ingenieur muss kommunizieren können, seine Fachkompetenz muss sowieso über jede Kritik erhaben sein, er sollte mindestens eine Fremdsprache beherrschen und, und, und. Das klingt nach eierlegender Wollmilchsau.
Ja, das denke ich auch.
Und das muss er sich innerhalb einer relativ kurzen Ausbildungszeit aneignen.
Ja.
Ist das machbar?
Nein.
Wird der Ingenieur überfordert?
Ja, denn eine eierlegende Wollmilchsau gibt es nicht. Wenn ein Unternehmen so etwas trotzdem einfordert, muss es vom intrapersonellen Ansatz – einer alleine kann alles – auf den interpersonellen Ansatz umschwenken. Ein cleveres Unternehmen wird sich Teams zusammenstellen, die in ihrer Struktur all das Gewünschte abdecken. Das setzt bei Vorgesetzten die Bereitschaft voraus, auf Macht zu verzichten und das Team bzw. die Stärken jedes einzelnen Teammitglieds zu akzeptieren und zu fördern. Unternehmen wie Bosch haben das erkannt und ihre Entlohnungs- und Entgeltstrukturen verändert. Da gibt es keine individuelle Zielvereinbarung und keine Entlohnung nach individuellen Zielen mehr, sondern nur noch Teamvereinbarungen.
Wird dann die klassische Führungskraft noch gebraucht?
Naja, sie hat eine andere Aufgabe. Die Führungskraft wird das Team koordinieren.
Müssen Weiterbildungen entsprechend renoviert werden?
Ja. Viele MBA-Programme bieten schon nicht mehr den einen Seminarbaustein „Teamentwicklung“. Klug gewählte Inhalte transportieren zwangsläufig die Kompetenz der Teamentwicklung. Das ist intelligent.
Nicht jeder ist zur Führungskraft geboren, glaubt aber, diesen Weg einschlagen zu müssen.
Man sollte wissen, was man kann und was man nicht kann. Es gibt Führungskräfte, die wissen, dass sie keine gute Führungskraft sind. Für die ist aber der Status wichtiger als die Vernunft. Der bessere Weg wäre, sich schon als junger Ingenieur Gedanken zu machen: Bin ich wirklich derjenige, der Einheiten führen kann? Oder bin ich eher jemand, der strategisch führt? Oder bin ich doch der Tüftler, der sich in technische Probleme verbeißt? Bei der Entscheidungsfindung können Sparringspartner hilfreich sein, die einem den Spiegel vorhalten. Das kann nur dann der direkte Vorgesetzten sein, wenn man großes Vertrauen zu ihm hat. Besser ist in der Regel ein Vertrauter außerhalb der Organisation.
Sind Unternehmen so aufgestellt, dass sie ihren Mitarbeitern eine Palette an Karrieren anbieten können?
Ja, sie erkennen zunehmend diese Erfordernis. Zahlreiche Unternehmen fangen an, ihre Karrieremodelle neu zu strukturieren und sie status- und akzeptanzneutral in die Organisation
einzubauen. Fachkarrieren, Projektkarrieren und Führungskarrieren gibt es schon lange, aber die Führungskarriere war immer die Karriere erster Klasse. Das ändert sich.
Wie bekommen Unternehmen das hin?
Durch die Neugestaltung ihrer Entlohnungssysteme und die damit verbundene Neuordnung der Privilegien. Wer eine gute Fachkraft in einem wichtigen Projekt ist, bekommt das gleiche Gehalt wie Mitarbeiter der ehemaligen ersten Klasse. Die Unternehmen machen das aber auch, weil durch Verflachung der Hierarchien gar nicht mehr so viele Führungspositionen vorhanden sind. Um karrierewilligen Mitarbeitern gerecht zu werden, müssen neue Anreize jenseits der klassischen Führung her.
Welche Rolle spielt das Gehalt?
Machen wir uns nichts vor: Geld ist weiterhin wichtig. Das Gehalt sollte sich nach dem Wertschöpfungsbeitrag, den das Team für das Unternehmen erbringt, bemessen.
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Dieser Beitrag erschien im Magazin „Ingenieurkarriere – Spezial: MBA for engineers“ der VDI nachrichten.
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