Branchenprofil Medizintechnik
Deutschland gilt als Hightech-Standort der Medizintechnik. Der Bedarf an hoch entwickelten Geräten für die medizinische Versorgung macht sie zu einer interessanten Branche für Ingenieure. Sie ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor mit hohem Wachstumspotenzial.
- Geschichte der Medizintechnik
- Beschäftige, Umsatz und Export in der Medizintechnik
- Das Studium der Medizintechnik
- Unternehmen in der Medizintechnik
- Die Teilbereiche der Medizintechnik
- Karriere in der Medizintechnik
- Die Zukunft der Medizintechnik
Die Medizintechnik hat in den vergangenen Jahrzehnten einen immer größeren Stellenwert erhalten. Denn je älter wir werden, desto größer sind die Herausforderungen der Gesunderhaltung. Um die Lebensqualität möglichst lange hoch zu halten, wird immer komplexere Technik eingesetzt. Medizintechnische Geräte helfen heilen und retten Leben. Egal ob in der Prävention, der Diagnostik, der Behandlung oder der Reha – aus keinem dieser medizinischen Bereiche sind technische Hilfsmittel noch wegzudenken. Von neuen Materialien für Pflaster bis hin zum Röntgengerät: Die Industrie für Medizintechnik entwickelt Hilfsmittel jedweder Art und Größe.
Die Medizintechnik ist eine sehr dynamische Branche. In schneller Regelmäßigkeit kommen neue Produkte auf den Markt und werden bestehende Produkte optimiert und erweitert. Bei den Patentanmeldungen ist die Medizintechnikbranche führend: Beim europäischen Patentamt in München wurden im Jahr 2016 gut 12.200 Patentanträge für medizintechnische Produkte gestellt. Aus keiner anderen Branche kamen ähnlich viele Anmeldungen.
Geschichte der Medizintechnik
Im Vergleich zur Medizin selbst ist die Medizintechnik eine recht junge Industrie – erst gut 100 Jahre alt. Zwar gab es schon in der Antike Wundauflagen, doch von Forschung und Entwicklung war noch keine Rede. Zu den Meilensteinen der Medizintechnik gehört beispielsweise die „Eiserne Lunge“, ein Gerät für die künstliche Beatmung, das 1929 erfunden wurde. Bereits 1945 wurde die erste Dialysebehandlung durchgeführt. Das in den Niederlanden entwickelte Gerät sorgte für den Durchbruch der Nierenersatztherapie. 1953 konnte dank der Erfindung der Herz-Lungen-Maschine die erste Operation am offenen Herzen erfolgen. Der erste Herzschrittmacher wurde 1958 implantiert und die erste Hüftprothese ein Jahr später. 1977 entstand das erste MRT-Bild des menschlichen Körpers. 1980 wurde einem Menschen erstmals ein implantierbarer Defibrillator eingesetzt und 1986 die ersten koronaren Stents. Zu den medizintechnischen Entwicklungen des neuen Jahrtausends gehören der erste Katheter-gestützte Herzklappenersatz (2002) und der erste elektrodenfreie Herzschrittmacher (2014).
Beschäftige, Umsatz und Export in der Medizintechnik
Im Jahr 2017 arbeiteten 137.857 Menschen in 1.310 medizintechnischen Betrieben. Das ist sowohl bei der Beschäftigtenzahl als auch bei den Betrieben eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr. Die Beschäftigtenzahlen wuchsen um 3,9 %, die Zahl der Betriebe stieg um 4,1 %. Die Branche der Medizintechnik ist sehr mittelständisch geprägt, mehr als 93 % der Betriebe haben weniger als 250 Mitarbeiter. Die meisten medizintechnischen Unternehmen gibt es in Baden-Württemberg (252), in Nordrhein-Westfalen (215) sowie in Bayern (167).
Zwischen 2010 und 2016 erzielte die Branche der Medizintechnik ein durchschnittliches jährliches Umsatzwachstum von 5 %. Diese Zahl sank im Jahr 2017 auf 2,5 %. In der Medizintechnik wurde im genannten Jahr ein Umsatz von 29,93 Milliarden Euro erwirtschaftet. Auch wenn das Umsatzplus leicht gesunken ist, so profitiert die Branche doch stark von der demografischen Entwicklung sowie der allgemein steigenden Bedeutung der Gesunderhaltung.
Im Inland lag der Umsatz 2017 bei 10,85 Milliarden Euro. Den meisten Umsatz erwirtschaften die bayerischen Unternehmen (5,8 Milliarden Euro), auf Platz 2 liegt Hessen mit 3,2 Milliarden Euro vor Schleswig-Holstein mit 2,2 Milliarden Euro. Dabei liegt Schleswig-Holstein bei der Anzahl der Betriebe mit 69 im Bundesvergleich nur etwa in der Mitte.
Weit mehr Umsatz wurde im Ausland erzielt: 2017 waren es 19,08 Milliarden Euro. Die Exportquote lag bei 64 %. Das Auslandsgeschäft ist für die Branche von hoher Bedeutung. 42 % aller medizintechnischen Produkte wurden innerhalb der EU exportiert. Der Brexit war bereits zu diesem Zeitpunkt für die Unternehmen deutlich spürbar: Die Exporte nach Großbritannien lagen 7 % unter dem Niveau von 2016. Im Gegenzug stieg die Nachfrage aus den USA (2 %) und aus China (4 %), wenn auch nur schwach. Innerhalb Europas hat Deutschland die umsatzstärkste Medizintechnikbranche. Von den europaweiten 95 Milliarden Euro Branchenumsatz wurden 32,4 Milliarden Euro durch deutsche Unternehmen erwirtschaftet. Das entspricht 34 %. Auf Platz 2 folgt Irland (11,6 Milliarden Euro), auf Platz 3 Frankreich (11 Milliarden Euro).
Die Zukunftserwartungen sind insgesamt positiv. Auch für 2019 wird mit einem Umsatzplus gerechnet. Für die weiteren Jahre rechnen Experten erneut mit einem jährlichen Umsatzwachstum von 5 %. Der größte Umsatz wird aktuell mit Medizintechnik in der Orthopädie sowie in der minimalinvasiven Medizin und der Kardiologietechnik gemacht. Übrigens: Die Hälfte des Branchenumsatzes wird regelmäßig mit Produkten gemacht, die frisch auf dem Markt sind, sprich jünger als 3 Jahre.
Das Studium der Medizintechnik
Das Studium der Medizintechnik ist in Bachelor und Master gegliedert und dauert in der Regel 3 Jahre (Bachelor) und weitere 2 Jahre für den Master. Ist ein Praxissemester vorgesehen, wird dieses hinzugerechnet. Medizintechnische Studiengänge gibt es an Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien, wobei die Fachhochschulen das größte Angebot haben. Die Zahl der Anbieter dieses Studiengangs wächst stark, da auch das Forschungsgebiet wächst. Für das Studium benötigen Interessenten die allgemeine Hochschulreife (Abitur) oder die Fachhochschulreife (Fachabitur). Interesse an Medizin und Mechanik sowie den sogenannten Mint-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik wird aber erwartet. Die Studiengänge sind in der Regel sehr klein. Für die Studierenden ist das von Vorteil. Denn so können die Fachhochschulen eine bessere Ausbildung des Einzelnen gewährleisten.
Neben dem Studium der allgemeinen Medizintechnik gibt es verschiedene Spezialisierungen, die nur an einzelnen Hochschulen angeboten werden. Dazu gehören unter anderem:
- Augenoptik/Optometrie
- Biomechanik
- Biomedizintechnik
- Bionik
- Dentaltechnologie
- Hörtechnik und Audiologie
- Mathematische Biometrie
- Medical Engineering
- Medizininformatik
- Medizinische Biotechnologie
- Medizinische Physik und Strahlenschutz
- Medizinisch-technische Informatik
- Orthobionik
- Sportmedizinische Technik
- Sports- und Reha-Engineering
Diese themenspezifischen Studiengänge enthalten viele Module, die auch im allgemeinen Studiengang Medizintechnik vorgeschrieben sind. Dazu gehören unter anderem medizinische Biophysik, Medizinelektronik, Hygienetechnik, Gerätebau, Zellbiologie und Bildverarbeitungen.
Ob und inwieweit vor allem die speziellen Studiengänge mit einer Zulassungsbeschränkung (Numerus clausus) belegt sind, ist von Hochschule zu Hochschule unterschiedlich. Für den Bachelor der allgemeinen Medizintechnik gibt es jedoch in vielen Fällen einen NC und der ist – im Vergleich zu anderen ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen – relativ hoch. Die geforderte Note liegt zwischen 1,7 und 2,2.
Wie klein die einzelnen Studiengänge sind, lässt sich am Beispiel der Medizinischen Informatik sehen: In den vergangenen 4 Jahren lagen die Studierendenzahlen deutschlandweit zwischen 2.700 und 2.900. Knapp 40 % der Studierenden waren Frauen.
Unternehmen / Ingenieurarbeitgeber in der Medizintechnik
Die Unternehmen der Medizintechnik stellen vor allem medizinische Geräte her. Die Bandbreite reicht vom Großgerät (MRT, Röntgen, CT) bis hin zum Blutdruckmessgerät für zu Hause. Einige Firmen haben sich spezialisiert und liefern den Herstellern wichtige Einzelteile für die Gerätschaften. Eine Auswahl (alphabetisch sortiert):
- Bauerfeind AG (Bandagen, Orthesen, Einlagen und Kompressionsstrümpfe)
- Binder GmbH (Inkubatoren, Brutschränke, Klimaschränke, Materialprüfschränke, Trockenschränke, Wärmeschränke, Simulationsschränke)
- Biotronik (kardiologische Medizintechnik, u.a. Herzschrittmacher)
- Dentsply Sirona (zahnmedizinische Geräte und dentale Verbrauchsmaterialien)
- Drägerwerk AG & Co. KGaA (Beatmungsgeräte, Brutkästen, Patientenmonitoring)
- Dürr Dental SE (Technik für die Zahnmedizin)
- GS Elektromedizinische Geräte G. Stemple GmbH (Defibrillatoren, Patientenmonitoring-Systeme, Thoraxkompressionsgeräte)
- Intuitive Surgical („Da Vinci“ – roboter-assistierte Chirurgiesysteme)
- KARL STORZ SE & Co. KG (Endoskopiegeräte)
- KIND Hörgeräte GmbH & Co. KG (Hörsysteme)
- Medtronic GmbH (Medizintechnik u.a. für die Bereiche Kardiologie, Neurologie, Diabetologie)
- Olympus Surgical Technologies Europe (Endoskopie, Hochfrequenz-Chirurgie sowie Systemintegration im Operationssaal)
- Otto Bock HealthCare Deutschland GmbH (Prothesen, Orthesen, Rollstühle)
- Philips GmbH (medizinische Geräte aller Größenordnungen für Kliniken und den Privatgebrauch)
- Seca Deutschland (medizinische Messtechnik und Präzisionswaagen)
- Servona GmbH (Beatmungsgeräte und Versorgung für Intensivmedizin, Versorgungsbedarf für die private Pflege, Orthopädie- und Rehatechnik)
- Sonova Group (Hörsysteme und -implantate)
- Stryker (Operationsplanungs- und Assistenzsysteme, orthopädische und medizintechnische Produkte)
- Sysmex Europe GmbH (Systeme für Hämatologie und Urinanalytik)
- Waldemar Link GmbH & Co. KG (Endoprothetik, chirurgische Instrumente, Schienen)
Die Teilbereiche der Medizintechnik
Die Medizintechnik kombiniert technisches Sachverständnis mit dem Fachwissen von Ärzten. Eine entsprechend große Bandbreite gibt es nicht nur bei den Unternehmen, sondern auch bei den Teilbereichen der Medizintechnik. Zu den Unterbranchen gehören unter anderem:
- Bildgebende Diagnostik (MRT, CT, Röntgen, Ultraschallgeräte, Szintigrafie)
- Bionik (übertragen von natürlichen Eigenschaften auf die Technik)
- Gesundheitsinformatik
- Krankenhaustechnik (z.B. Laborsysteme, intensivmedizinische Geräte, Ausstattung)
- Medizinische Geräte (z.B. Herzschrittmacher, Dialysemaschinen, Sehhilfen, Hörsysteme)
- Medizininformatik
- Medizinische Physik
- Optometrie (Augenoptik)
- Orthopädietechnik (z.B. Prothesenentwicklung)
- Rettungsingenieurwesen
- Tissue Engineering (künstliche Organe)
Karriere in der Medizintechnik
Das breite Spektrum der Medizintechnik ist auf zahlreiche Schlüsseltechnologien angewiesen. Darunter die Mikrosystemtechnologie, die Nanotechnologie, optische Technologien sowie Informations- und kommunikationstechnologische Anwendungen. Entsprechend groß ist die Bandbreite der Berufe, die Ingenieure in der Medizintechnik ergreifen können.
Absolventen der Medizintechnik sind vorwiegend in der medizintechnischen Industrie, aber auch in Krankenhäusern und Forschungsinstituten tätig. Sie entwickeln medizinische Geräte, arbeiten als Informatiker in Kliniken, beraten medizintechnische Unternehmen oder sind in Wissenschaft und Forschung tätig. Die Zukunftsperspektiven sind gut. Denn die Medizintechnik ist ein innovatives Fachgebiet, das sich allein aufgrund des demografischen Wandels in den kommenden Jahrzehnten rasant weiterentwickeln wird.
Die Menschen werden älter. Aber jeder will so lange fit bleiben wie möglich – und lässt sich das etwas kosten. Wer krank wird, will die neuesten Medikamente verabreicht bekommen und mit der modernsten Therapie behandelt werden. Das verspricht gute Wachstumschancen für den medizintechnischen Markt und damit einhergehend einen hohen Bedarf an speziell ausgebildeten Fachkräften. 84 % der medizintechnischen Unternehmen geben an, offene Stellen zu haben. Gesucht werden vor allem Medizintechniker und Ingenieure.
Die Zukunft der Medizintechnik
Ein deutsches Medizintechnikunternehmen investiert durchschnittlich etwa 10 % seines Umsatzes in die Forschung und Entwicklung neuer Technologien. Das ist mehr als doppelt so viel wie ein durchschnittliches Industrieunternehmen investiert. Und es zeigt: Die Branche hat Zukunft. Das bestätigt der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed). Er weist jedoch auch auf die Probleme hin. Vor allem regulatorische Anforderungen stellen die Unternehmen vor große Herausforderungen. Der Verband fordert ein schnelleres Vorgehen bei der Nutzenbewertung. Die Zulassungsbehörde der USA hat die Prozesse bereits beschleunigt – Deutschland dürfe sich deshalb nicht abhängen lassen, so eine Forderung des Verbands.
Ein in der Zukunft sehr interessanter Markt für die deutsche Medizintechnik wird Japan sein. Dort altert die Bevölkerung noch stärker als in den westlichen Industrienationen. Zudem ist das Land eines der bevölkerungsreichsten der Erde gemessen an der Fläche. Japan selbst exportiert wenig, die heimischen Medizintechnikunternehmen wie Toshiba, Tirumo oder Hitachi können die Nachfrage kaum decken. Um dem gerecht zu werden, muss Japan ein Großteil seiner Medizintechnik importieren. Darin liegt eine große Chance für die deutschen Hersteller, zumal Produkte „Made in Germany“ in Japan einen guten Ruf haben.
Eine der größten Herausforderungen der Medizintechnik wird es in den kommenden Jahrzehnten sein, den Menschen bis ins hohe Alter ein eigenständiges Leben zu ermöglichen. Vor allem vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in der Pflege. Neue medizintechnische Geräte können dafür sorgen, dass Menschen auch im Alter und mit chronischen Erkrankungen künftig besser zurechtkommen und betreut werden, als es heute noch der Fall ist.
Vieles davon klingt noch nach Zukunftsmusik: zum Beispiel über die Ohrmuskeln steuerbare Rollstühle, Kontaktlinsen, die den Blutzucker messen oder implantierbare, intelligente Augenlinsen, die in der Lage sind, sich selbstständig so zu verformen, wie es eine natürliche Augenlinse vermag. Implantierte Sensoren mit angeschlossener Ferndatenübertragung könnten in Zukunft dazu beitragen, Herzerkrankungen früher zu erkennen – bislang ist ein solches Monitoring nur auf der Intensivstation möglich. Ebenfalls implantierbare Mikrosysteme können dabei helfen, Patienten mit Epilepsie langfristig zu überwachen.
Ohnehin wird die Sensortechnologie in Zukunft eine echte Größe in der Medizintechnik sein. Spannend wird das aufgrund der Miniaturisierung von Sensoren und Batterien. Das macht die Sensortechnik für die Akutbehandlung und Diagnostik interessant. Herzschlag, Blutdruck, Temperatur oder Atemfunktion könnten von implantierten Chips überwacht werden. Alle genannten Dinge werden derzeit erforscht und entwickelt. Manches gibt es bereits, die Ingenieure arbeiten an Verbesserungen. Denn in der Medizintechnik gilt wie in keiner anderen Branche: Innovation ist dann ein Fortschritt, wenn sie besser ist als der Status quo.
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