Bedingungsloses Grundeinkommen: Kann es Realität werden?
Ein Monatseinkommen für alle – ganz ohne Gegenleistung: Das bedinungslose Grundeinkommen ist für manche Utopie, für andere eine echte Alternative. Ist das Modell wirklich umsetzbar? Was dafür und was dagegen spricht, erfahren Sie hier.
Es klingt ein bisschen nach kollektivem Lottogewinn: Jeder Mensch soll jeden Monat genug Geld zum Leben geschenkt bekommen. Einfach so, ohne Gegenleistung, bis an sein Lebensende.
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Bedingungsloses Grundeinkommen heißt das theoretische Konzept, nach dem jeder einzelne Bürger unabhängig von seinen sonstigen Einkommensverhältnissen und ohne jede Prüfung regelmäßig eine bestimmte Summe Geld vom Staat erhalten soll.
Bedingungsloses Grundeinkommen: Forscher suchen Freiwillige
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Verein „Mein Grundeinkommen“ wollen jetzt in einer Langzeitstudie untersuchen, wie sich dadurch der Alltag von Menschen verändert. Derzeit werden freiwillige Teilnehmer gesucht, die über mehrere Jahre monatlich 1.200 Euro bekommen.
Seit Jahrzehnten ist das Bedingungslose Grundeinkommen immer wieder ein Diskussionsthema. Doch ist so etwas finanzierbar? Und will dann überhaupt noch jemand arbeiten? „Unbedingt“, glaubt Soziologe Sascha Liebermann von der Alanus-Hochschule in Alfter. „Die Motivation zu arbeiten, hängt für die meisten Menschen überhaupt gar nicht vorrangig mit dem Lohn zusammen.“ Es gehe vielmehr darum, einen Beitrag zu leisten.
Grundeinkommen als Karrieretreiber?
„Natürlich müssen Sie die Lohnfrage klären, aber es ist nicht der wichtigste Antrieb, einem Beruf nachzugehen“, so Liebermann. Eine Motivationsbremse sei ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht. Theoretisch könne die Sicherheit der regelmäßigen Einkünfte sogar ein Karrieretreiber für viele sein.
„Manche Leute bleiben in einem Job, in dem sie ihr Potenzial nicht ausschöpfen können, weil sie sich nicht trauen, aus dem Arbeitsverhältnis herauszutreten und etwas anderes zu machen, wo sie vielleicht glücklicher wären und mehr leisten könnten.“
Ähnlich sieht es Wirtschaftswissenschaflter Bernhard Neumärker von der Uni Freiburg. „In der Diskussion wird oft unterstellt, es gebe nur so etwas wie ein Arbeitsleid. Als müsse man dem Arbeitnehmer seine Zeit abkaufen, sonst würde er nichts tun. Wie eine Art Schmerzensgeld.“ Die Frage nach der intrinsischen Motivation komme dabei aber zu kurz. Menschen würden einen Job eben auch deshalb ausüben, weil sie darin eine Berufung sähen. Bisweilen führe das auf dem Arbeitsmarkt zu einem speziellen Phänomen: Gerade Menschen, die ihre Arbeit besonders stark aus einem inneren Antrieb heraus erledigten, würden zumindest relativ betrachtet besonders schlecht bezahlt. Denn sie seien bereit, mehr zu leisten, als sie an Gegenwert in Form von Lohn erhielten.
„Unser jetziges System neigt dazu, die intrinsische Motivation von Mitarbeitern auszunutzen“, so Neumärker.
Das führe jetzt während der Corona-Pandemie zu Problemen. Gerade in Pflegeberufen würden viele Menschen mit einem hohen Maß an intrinsischer Motivation arbeiten. „Jetzt sehen wir, dass viele vor der Überlastung stehen.“ Dabei sei das Gesundheitssystem in Deutschland noch vergleichsweise gut aufgestellt. Bei der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens hingegen würde dieser Eigenantrieb von gefördert, glaubt der Wissenschaftler. Der Einzelne hätte mehr Souveränität über die Verwendung seiner Zeit – ohne finanzielle Nachteile.
Wächst der Niedriglohnsektor durch das Grundeinkommen?
Kritiker wenden ein, dass der Niedriglohnsektor durch das bedingungslose Grundeinkommens massiv wachse. Neumärker glaubt indes an das Gegenteil: „Durch das bedingungslose Grundeinkommen hat ein Arbeitnehmer viel mehr Verhandlungsmacht. Er kann seinem Arbeitgeber sagen: Wenn du mich nicht vernünftig bezahlst, dann verzichte ich eben zur Not auf diese Arbeit.“
Aber leidet darunter nicht die Wertschöpfung, falls sich immer mehr Menschen entscheiden, weniger Lohnarbeit zu verrichten? „Diese Sichtweise hängt mit einer Fixierung auf den Erwerb zusammen“, findet Sascha Liebermann. „Wertschöpfung kann durchaus auch ohne Arbeitsplätze entstehen.“ So könne etwa die Automatisierung vorangetrieben werden. „Man könnte endlich über Digitalisierung reden, ohne dass das ein Angstthema wäre, bei dem der Verlust von Arbeitsplätzen im Vordergrund steht.“
„Wir wollen nicht, dass jemand zu lange zuhause bleibt“
Zudem nehme das Grundeinkommen Menschen, die sich anderweitig gesellschaftlich einbringen wollen, das Stigma einer vermeintlichen Nutzlosigkeit. „Heute muss man sich rechtfertigen, wenn man zum Beispiel mehr Zeit mit seinen Kindern verbringen will. Dann heißt es: Wann gehst du endlich wieder arbeiten? Wir wollen es als Gesellschaft nicht, dass jemand zu lange zuhause bleibt.“ Würde man aber das Grundeinkommen einführen, sei das Signal der Gesellschaft: „Wir wollen, dass der Einzelne auch die Entscheidung treffen kann, mehr ehrenamtlich zu arbeiten oder sich zuhause bei der Kindererziehung oder in der Pflege einzubringen.“
Letztlich komme es aber auf die Eigenverantwortung an, gibt Bernhard Neumärker zu Bedenken. „Das hat viel mit Sozialisation und Bildung zu tun. Ob das für jeden Menschen funktioniert, ist eine offene Frage. Man gibt dem Einzelnen eine gewisse Freiheit, aber was er damit macht, unterliegt seiner Verantwortung.“
Schwierigkeiten der Studie
Genau diese Frage soll in der Langzeitstudie geklärt werden. „Ich erwarte da allerdings nicht so viel von“, sagt Sascha Liebermann. „Die Lebenswirklichkeit der Teilnehmer bleibt die alte. Denn nach der Studie werden sie ja das Geld nicht mehr bekommen, entsprechend fallen dann auch ihre Entscheidungen aus.“ Ob das Modell funktioniere, könne man letztlich nur sinnvoll testen, indem man es einführe.
Diese 6 Faktoren bestimmen Ihr Einstiegsgehalt
Auch Bernhard Neumärker sieht gewisse Schwächen bei der Studie. „Ein bisschen ist sowas auch Symbol oder Reklame. 120 Teilnehmer sind zum Beispiel nicht unbedingt repräsentativ. Und man muss ja davon ausgehen, dass schon die Bewerber Menschen sind, die dem Modell grundsätzlich positiv gegenüber stehen.“
Wissenschaflter: Bedingungsloses Grundeinkommen ist nicht finanzierbar
Jemand, der gar nicht an die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens glaubt, ist David Stadelmann. Der Volkswirtschaftler von der Uni Bayreuth sieht vor allem ein Problem: die Finanzierung. Beim Verein „Mein Grundeinkommen“ heißt es zur Finanzierbarkeit: „Das Grundeinkommen ist im Wesentlichen eine Steuerreform.“ Je nach Finanzierungsmodell hätten Menschen mit geringen Einkommen mehr Geld zur Verfügung, die Mittelschicht etwa gleich viel und die Reichsten etwas weniger als vorher.
„Die Idee klingt erst mal hübsch. Aber man sitzt damit in der Falle, es ist ein unsinniger Leerlauf. Das Geld kommt ja nicht vom Christkind. Sie müssen das, was Sie an Grundeinkommen erhalten, ja selbst über Steuerabgaben finanzieren“, so Stadelmann.
Auf die Steuerlast kämen grob gerechnet noch einmal 30 bis 40 Prozent hinzu. „Gerade Menschen mit niedrigen Einkommen werden sich dann überlegen, ob sie wirklich noch arbeiten gehen sollten.“ Auch über eine sogenannte Reichensteuer, wie sie etwa die Linkspartei befürwortet und als Teil eines Finanzierungsmodells des Grundeinkommens ins Spiel bringt, lasse sich das nicht bezahlen. „Wenn Sie dann als Vermögender eine Steuerlast von 80 oder 90 Prozent haben, sind Sie irgendwann entweder nicht mehr reich, oder Sie sind im Ausland reich.“
30.000 Euro für jeden Bürger
Ein weiteres Problem aus seiner Sicht: „Einen permanenten Einkommensstrom kann man immer in Kapital umwandeln und etwa bei einer Bank verpfänden. Wenn jemand das mit seinem Grundeinkommen macht, und dabei alles verspielt und sich verschuldet, dann wird er bedürftig und es muss ihm geholfen werden.“ Um das zu verhindern, müsse der Staat das Einkommen eben doch wieder an Bedingungen knüpfen, nämlich dass das Geld nicht verpfändet werden dürfe oder nur für bestimmte Investitionen, etwa in Bildung oder in eine Unternehmensgründung. Das wiederum verursache zusätzliche erhebliche Kosten. „Das Problem mit dem Grundeinkommen ist: Entweder die Bürger bekommen so wenig, dass es nichts bringt, oder es ist so viel, dass es nicht zu bezahlen ist.“
Man könne das Modell „aber etwas hübscher machen“, wie Stadelmann sagt. „Wir zahlen jedem Bürger an seinem 18. Geburtstag einmalig und bedingungslos zum Beispiel 30.000 Euro. Das könnte dann jeder in ein Studium, eine Meisterprüfung oder eine Unternehmensgründung investieren. Und wer damit lieber eine Weltreise machen möchte, auch gut. Das wäre erheblich kostengünstiger für die Gemeinschaft und es lässt sich viel besser abschätzen, wie teuer das wird.“
Kritiker: Einkommensschere klafft noch weiter auseinander
Noch kritischer sieht Christian Hagist das Konzept vom bedingungslosen Grundeinkommen. Er hat den Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der der Otto Beisheim School of Management inne. Auch er glaubt: „Um eine vernünftige Höhe eines bedingungslosen Grundeinkommen zu gewährleisten, müssten Steuern drastisch erhöht werden, weil auch zeitgleich die Lasten des demographischen Wandel wie höhere Renten-, Gesundheits- und Pflegeausgaben zu finanzieren sind.“ Das aber führe zur Abwanderung von Unternehmen. Dass das Grundeinkommen nachhaltig finanzierbar ist, bezweifelt Hagist.
Er glaubt zudem, dass die Motivation, zu arbeiten, eben doch sehr ans Einkommen gebunden ist. „Das bedingungslose Grundeinkommen setzt negative Anreize in Hinblick auf Bildung und Ausbildung. Warum sollte man sich anstrengen und eine Ausbildung absolvieren, wenn man ohnehin versorgt ist?“ Die Folge sei ein Mangel an gut ausgebildeten Arbeitskräften, was sich negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirke. „Und die Einkommensschere wird noch stärker auseinanderklaffen“, so Hagist.
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