Her mit der Gehaltstransparenz!
Die Gehaltstransparenz wird kommen und soll Ungleichheiten in der Einkommensstruktur verhindern.
Familienministerin Manuela Schwesig hat es bereits angekündigt: Die Gehaltstransparenz wird kommen. Sie ist in der Koalitionsvereinbarung von Schwarz-Rot für Unternehmen ab 500 Beschäftigten vorgesehen und soll Ungleichheiten in der Einkommensstruktur verhindern. Auch wenn die erste Reaktion häufig die ist, dass man das eigene Gehalt lieber für sich behielte. Für Ingenieurinnen und Ingenieure kann sich eine transparentere Gehaltsstruktur lohnen – wenn sie richtig ausgestaltet ist.
Was spricht eigentlich gegen Gehaltstransparenz?
Unionspolitiker und Wirtschaftsverbände reagierten mit Unverständnis aus Schwesigs Vorstoß. Ihr Argument: Gehaltstransparenz schafft Missgunst. Denn wenn Martina demnächst weiß, dass Max viel mehr verdient, obwohl er eine vergleichbare Arbeit macht, wird sie neidisch. Das gefährdet den Betriebsfrieden, der durch die Undurchsichtigkeit der Gehaltsstruktur gewahrt werde.
In der Bevölkerung war die Stimmung auch gespalten. Das eigene Gehalt ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Die deutsche Mentalität gebietet es, über Geldangelegenheiten zu schweigen. Die meisten Gegner der Gehaltstransparenz wollen ihr eigenes Gehalt nicht preisgeben – auch wenn es keine außergewöhnlichen Merkmale aufweist. Dahinter steckt vielmehr ein generelles Misstrauen gegenüber öffentlichen Institutionen.
Bei Ingenieuren kommt hinzu, dass sie ab einer gewissen Gehaltsstufe aus der tariflichen Matrix herausfallen. Ihr Gehalt wird ab diesem Stadium auch von ihrem persönlichen Verhandlungsgeschick abhängen. Eine generelle Gehaltstransparenz könnte sie beschränken.
Wie Ingenieure von Gehaltstransparenz profitieren würden
Gegen die Befürchtungen, dass die Gehaltstransparenz den Betriebsfrieden stört, kann man halten: Missgunst entsteht da, wo Ungleichheit herrscht. So ist der Hauptgrund für Schwesigs Vorstoß die ungleiche Bezahlung zwischen Frauen und Männern. Selbst die bereinigte Lohnlücke, die Faktoren wie Arbeitszeiten und Qualifikation berücksichtigt, beträgt in Deutschland zwischen 7% und 8%. Das wirkt demotivierend und schürt ebenso Missgunst. Und dem kann man mit Gehaltstransparenz begegnen. Das hilft allen Seiten: Wenn Gehälter öffentlich nachvollziehbar sind, wird auch offensichtlich, ob nun gleichwertige Arbeit anders honoriert wird oder ob Frauen anders entlohnt werden als Männer. Transparenz schafft also Fakten.
Auch gegensteuern kann man einem zu niedrigen Gehaltsniveau. Ingenieurinnen und Ingenieure sind gesuchte Fachkräfte in Deutschland und dennoch kann man das aus den Gehaltstabellen kaum ablesen. Wenn Gehälter offen zugänglich wären, könnte sich jeder darüber informieren, was er oder sie in der angestrebten Position verdienen sollte – und entsprechend verhandeln. Denn Gehaltstransparenz heißt nicht Entgeltgleichheit, sie schafft vorerst „nur“ eine Vergleichbarkeit der Einkommen.
Ein Blick über den Tellerrand – Österreich und Schweden
In anderen Ländern Europas wurden bereits Erfahrungen mit Gehaltstransparenz gemacht. Österreich beispielsweise verpflichtet Betriebe ab 150 Beschäftigte dazu, ihre Gehaltsstruktur offenzulegen. Die Einkommensberichte lassen keine Rückschlüsse auf einzelne Personen zu, listen vergleichbare Positionen aber nach Geschlecht, Arbeitszeit und Gehaltseinstufung auf. Zudem müssen Arbeitgeber in Stellenanzeigen angeben, welche Gehaltsvorstellung sie für die angebotene Position vorsehen. Damit soll eine faire Basis für die folgenden Gehaltsverhandlungen gelegt werden.
Die Schweden gehen noch viel weiter. Dort kann jeder die Gehälter einzelner Personen aus anderen Unternehmen erfragen. Das Finanzamt sammelt alle Ausgaben und Einkünfte über eine zentrale Personennummer und gibt jedem, der sich interessiert, Auskunft über das zu besteuernde Einkommen. Das Gehalt vom Geschäftsführer des Wettbewerbers ist damit genauso einsehbar wie das des Verfahrensingenieurs am anderen Standort.
Blick in die Glaskugel – Deutschland morgen
Werden wir also demnächst wissen, was unsere Freunde verdienen? Unsere Kolleginnen und Nachbarn? Ein Stück weit können wir das jetzt schon, denn in vielen Branchen gelten Flächentarifverträge, Beamte werden nach Besoldungstabellen bezahlt, Dax-Chefs legen ihre Gehälter auch offen. All das hat bisher zwar zu Kritik geführt, aber der soziale Friede ist darüber noch nicht gescheitert in Deutschland. Schwesigs Vorschlag zur Gehaltstransparenz wird zudem keine individuellen Rückschlüsse ermöglichen, sondern die Strukturen von Einkommen innerhalb eines Unternehmens offenlegen. Angaben zu Durchschnittslöhnen werden so aussagekräftiger, Jobwechsler und Karrierestarter können sich vor ihren Gehaltsverhandlungen besser orientieren.
Einige junge Unternehmen probieren derweil ganz andere Modelle aus: flexible Gehaltssysteme, bei denen die Beschäftigten selbst bestimmen, welchen monetären Wert ihre Arbeit hat. Oder Mitbestimmung mal anders: Das Team entscheidet, wie viel Gehalt dem einzelnen Mitarbeiter zusteht. Erste Erfahrungen zeigen, dass sich die Motivation, Loyalität und Effizienz der Angestellten erhöhen.
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