Vorsicht vor zu hohen Ingenieurgehältern
Ein hohes Ingenieurgehalt ist nicht immer ein Segen. Doch die richtige Strategie bewahrt Sie vor der beruflichen Sackgasse.
In Sachen Gehalt werden viele Ingenieure mehr als verwöhnt. Und die Knappheit an Fachkräften lässt Unternehmen fürs Ingenieurgehalt zunehmend tiefer in die Taschen greifen. Dies gilt vor allem für Spezialisten mit Berufserfahrung. Verstanden sich Ingenieure in ferneren Tagen in erster Linie als Vorantreiber der Technik, wird dieser Drang heute mehr denn je von pekuniären Begehrlichkeiten überlagert. Doch Vorsicht, nicht jedes Top-Gehalt ist förderlich für die Karriere.
Ein Fallbeispiel: Hohe Ingenieurgehälter als Karrierebremse
Im ersten Moment atmete der promovierte Ingenieur tief durch. Davon hatte er nur zu träumen gewagt: Nach zweijähriger Betriebszugehörigkeit wurde sein Jahresgehalt vom Konzern auf 90.000 EUR katapultiert. Zwei Jahre danach aber zeigt er sich völlig frustriert. Was passierte zwischenzeitlich?
Die Antwort ist simpel: gar nichts. Der Ingenieur sitzt nach wie vor auf seiner einst veredelten Stelle als Projektingenieur, ein Spezialist für anspruchsvolle Entwicklungsaufgaben mit völlig überzogenem Jahresgehalt. Er leistet seinem Arbeitgeber weiter treue Dienste, doch eine inhaltliche Entwicklung blieb aus.
Stellenwechsel nahezu ausgeschlossen
Als ihm die ungewöhnliche Gehaltserhöhung angeboten wurde, wähnte er sich auf der Karriereleiter bereits drei Schritte weiter, als er in der Realität war. Seitdem bewegte sich nichts mehr. Dem Unternehmen ist ein Spezialist geblieben, der in Fördergesprächen immer wieder Führungsaufgaben fordert. Doch Vorgesetzte und Personalabteilung haben andere Pläne, die Gespräche verlaufen im Sande. Schließlich die bittere Erkenntnis: Eine Übertragung von Führungsaufgaben wurde nie ernsthaft in Betracht gezogen, auf der Karriereleiter geht es hier nicht weiter. Was aber hilft dann das hohe Ingenieurgehalt?
Schließlich bewarb sich der Ingenieur extern, doch die Reaktionen der Wettbewerber waren verhalten. Sobald es ums Gehalt ging, verdrehten Personalberater und -entscheider die Augen und winkten ab. Zur Gehaltsvorstellung passen eigentlich Projektmanager, Gruppenleiter und Abteilungsleiter. Doch hier mangelte es dem Kandidaten sehr offensichtlich an Erfahrungen. Das überdurchschnittliche Gehalt wurde plötzlich zur Falle – niemand wollte den überteuerten Ingenieur, und er wiederum wollte auf der Gehaltsspur nur ungern zurückschalten.
Der Spezialist im goldenen Käfig
Einziger Gewinner: der bestehende Arbeitgeber. Denn was veranlasst ein Unternehmen, seine Spezialisten überdurchschnittlich hoch zu bezahlen? Gerade im technischen Bereich sind Spezialisten schwer und teuer ersetzbar. Es scheint also aus Sicht der Unternehmen reizvoll – und kostengünstiger – ihren Ingenieuren, technischen Fachkräften und Informatikern ein so hohes Gehalt zu zahlen, dass sie darüber der Führungslaufbahn ab- und der Expertenlaufbahn zusagen. Und ganz nebenbei für andere Unternehmen uninteressant werden.
So wird die Fluktuation gesenkt und das Know-how in den eigenen Reihen gehalten. Andererseits geht erfahrungsgemäß der Idealismus von Kandidaten nicht so weit, dass sie sich einen Stellenwechsel über eine Gehaltseinbuße erkaufen würden. Stattdessen akzeptiert so mancher Ingenieur lieber das Leben im goldenen Käfig, zähneknirschend, aber mit einem hohen Jahresgehalt.
Ingenieure mit Führungsverantwortung haben es leichter
In Managementpositionen sieht es für Ingenieure etwas anders aus. Verdient etwa eine Führungskraft überdurchschnittlich gut, könnte es etwa daran liegen, dass sie zu „Höherem“ berufen ist. Das beflügelt die Fantasien des einen oder anderen Personalers. Zudem ist es leichter, sich etwa von einer überdurchschnittlich dotierten Gruppenleiterposition um eine Abteilungsleiterposition zu bewerben, als aus einer Position des Projektingenieurs mit übertriebenen Gehaltsvorstellungen auszusteigen.
Die Situation für eine überdurchschnittlich bezahlte Führungskraft stellt sich also etwas günstiger dar als für die Fachkräfte. Besonders schwierig wird es für die arbeitslosen Top-Scorer unter den Ingenieuren. Selbst wenn sie die Bereitschaft zeigen, auf 30% bis 50% ihres letzten Einkommens zu verzichten, wird ihnen dies kaum jemand abnehmen. Letztlich wird der Personaler eher davon ausgehen, dass die Abwanderungsbereitschaft bei einem besseren Angebot besonders hoch ist.
Wie man auch als Gutverdiener einen neuen Job bekommt
Wer eine Gehaltssteigerung angeboten bekommt, lehnt diese selten ab. Noch seltener dürften Ingenieure in grauen Personalbüros sitzen und darum bitten, die Höhe der Anpassung herunterzuschrauben. Wie aber bei einer angestrebten beruflichen Veränderung mit dem zu hohen Ingenieurgehalt umgehen?
- Strategie 1: Die Wahrheit im Verborgenen halten.
Für Bewerbungszwecke wird das Ist-Gehalt oder die Gehaltsvorstellung „künstlich“ heruntergeschraubt. Einige Kandidaten lassen die Katze erst in den finalen Gehaltsverhandlungen aus dem Sack. Andere springen ab, wenn es mit der Gehaltseinbuße tatsächlich ernst wird.
Lediglich wer bei seinem Arbeitgeber oder in der Arbeitslosigkeit mit dem Rücken zur Wand steht, sollte diese Strategie ernsthaft in Erwägung ziehen und darauf hoffen, nicht an Glaubwürdigkeit einzubüßen. - Strategie 2: Die Zeit aussitzen.
Aufgrund der fortschreitenden Ingenieurknappheit könnten die Gehälter von Ingenieuren ja insgesamt so stark steigen, dass sie mit dem eigenen Gehalt gleichziehen. Denkbar ist auch, dass die Gehaltseinbuße nur von kurzer Dauer ist, weil sich beim neuen Arbeitgeber endlich die ersehnten Aufstiegsperspektiven bieten. - Strategie 3: Geduld.
Die Bewerbungsaktivitäten können forciert werden, um letztlich doch noch einen Arbeitgeber zu finden, der das hohe Gehalt bezahlt. Hier lauert allerdings die Gefahr, dass sich der suchende Ingenieur beim erstbesten willigen Arbeitgeber vergreift und angesichts überzogener Erwartungen beiderseits scheitert! - Strategie 4: Der Weg in die Selbstständigkeit.
Letztlich steht jedem der Weg in die Selbstständigkeit frei. Hier ist die Skala beim Ingenieurgehalt nach oben offen. Allerdings gibt es auch nach unten kein Gehaltslimit, weshalb viele Ingenieure diesen Schritt scheuen. - Strategie 5: Mit dem Top-Gehalt die Perspektiven aushandeln.
Wer sich (insbesondere als junger Ingenieur) auf ein überdurchschnittlich hohes Gehalt einlässt, sollte möglichst parallel die Karriereperspektiven aushandeln. Will ein Arbeitgeber einen Ingenieur um jeden Preis einkaufen, ist die Verhandlungsposition für den Bewerber stark, und er kann nicht nur auf die Bezahlung Einfluss nehmen. Deshalb: Vorsicht statt Nachsicht.
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