Ingenieure müssen mit sozialer Verantwortung globale Herausforderungen angehen
In Zeiten, in denen sich Wissenschaftler ihr Recht und ihre Verpflichtung auf Fakten angesichts von Fake-News-Kampagnen zurückholen müssen, spricht sich Carmen Leicht-Scholten, Inhaberin der Brückenprofessur „Gender und Diversity in den Ingenieurwissenschaften“ an der RWTH Aachen, für eine aktive soziale Verantwortung von Ingenieuren aus.
„Es ist nicht der normative Anspruch, dass Ingenieure alles bewältigen können!“, erklärte Carmen Leicht-Scholten am vergangenen Donnerstag in der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in Sankt Augustin im Rahmen einer Ringvorlesung zu „Technik- und Umweltethik“. Sie beurteilt die Technikentwicklung als entscheidend für die gesellschaftliche Entwicklung und neue Technologien hätten immer weitreichendere Folgen. Leicht-Scholten kennt sich aus: Sie leitete an der RWTH Aachen von 2007 bis 2010 die Stabsstelle „Integration Team, Human Resources, Gender and Diversity Management“, heute besetzt sie dort die Brückenprofessur „Gender und Diversity in den Ingenieurwissenschaften“.
Als deutliches Beispiel nennt Leicht-Scholten die Digitalisierung. Der Digitalisierungsprozess verändere alle Lebensbereiche in ihren Dimensionen. Es gehe nicht länger nur darum, dass Informationen schneller verarbeitet werden, sondern dass sich auch das Arbeitsleben, Kommunikationsprozesse sowie die Erreichbarkeit umgestalten. Dies könne man bereits an den verschiedenen Generationen sehen. So hätten die Großeltern noch 30 bis 40 Jahre im gleichen Bereich bei großer Sicherheit im selben Unternehmen arbeiten können. Die Generation „Global Worker“ sei dagegen vielmehr international aufgestellt, ihre Situation aber unsicherer.
Globale Herausforderungen für Ingenieure
Dieser Prozess bedeute aber auch globale Herausforderungen und Anpassungen für zukünftige Ingenieurinnen und Ingenieure. Leicht-Scholten sieht mehrere Herausforderungen als besonders wichtig ein. Zum Ersten sei es der demografische Wandel und Downaging: Dadurch unterschieden sich die Nutzergruppen stark voneinander und die zukünftigen technischen Innovationen müssen sich an die drei Säulen der Nachhaltigkeit – Öknomisches, Ökologisches und Soziales – halten. Zum Zweiten sei es der Gender Shift mit besser ausgebildeten Frauen, die im Sinne der Gleichberechtigung ihre Teilhabe einforderten. Zum Dritten stelle die Individualisierung der Gesellschaft eine wichtige Herausforderung dar, da sich eine große Bandbreite von verschiedenen Nutzertypen entwickle.
Um diese Aufgaben erfüllen zu können, sollen sich Ingenieure ihrer sozialen Verantwortung bewusst werden. Für Leicht-Scholten wird dies im Diskurs mit Fake News besonders deutlich: „Die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in Forschung waren schon mal besser.“ Aus diesem Grund soll man Rahmenbedingungen finden, die die Beziehung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit stärken.
Auftrag für soziale Verantwortung klar formuliert
Die Mitherausgeberin der Fachzeitschrift „Gender“ nannte die ethischen Grundsätze des Ingenieurberufs des VDI als mögliche Rahmenbedingungen. In diesen wird festgehalten, dass Ingenieure mitverantwortlich sind für die Folgen ihrer beruflichen Arbeit, sich aber auch ihrer moralischen Verantwortung bewusst sein sollen. „Wir haben eine Verantwortung für unsere technische Entwicklung, aber man hat als Ingenieur auch die Verantwortung zu sagen, welche Komplikationen es für die Gesellschaft haben könnte“, verdeutlicht sie.
Auch die Rahmenbedingung von Acatech zu „Verantwortungsvolle Forschung und Innovation“, sieht die Expertin als sinnvoll an. In dieser wird die Integration von sozialer, politischer, ökonomischer, ökologischer und ethischer Dimension beim ingenieurwissenschaftlichen Planen und Handeln gefordert. Dabei müssen die Entwicklung und die Verwendung der Technik von den Ingenieuren mitbedacht werden. „Der Auftrag ist ganz klar formuliert“, fasst Leicht-Scholten zusammen.
Ingenieure nicht allein für die Lösung aller Herausforderungen verantwortlich
In noch mehr Regelwerk sieht die Expertin keinen Sinn. „Es gibt auf internationaler, nationaler und berufsbezogen Seite Rahmenbedingungen. Aus meiner Perspektive brauchen wir keine neuen Rahmen“, erklärt sie. Stattdessen sollten alle Rahmenbedingungen offen, transparent, inklusiv und divers sein. Sollte es innerhalb des Prozesses Anpassungsnotwendigkeiten geben, so müsse es Steuerungsprozesse geben, um diese anzupassen. Besonders wichtig sei ihr aber der Reflexionsrahmen. Es müssten Räume entstehen, in denen man mit verschiedenen Professionen unterschiedliche Blickwinkel auf bestimmte Themen erhält.
Für Leicht-Scholten ist es eindeutig, dass Ingenieure nicht für alles verantwortlich sind, aber die Verantwortung mittragen. So sollten sie in verschiedenen Gremien, wie dem Deutschen Ethikrat – in dem sie nicht vertreten sind -, mitbeteiligt sein. Der deutsche Ethikrat hat eine beratende Funktion und diskutiert ethische, gesellschaftliche, naturwissenschaftliche und medizinische Themen. Sie erarbeiten gemeinsame Leitlinien und informieren die Öffentlichkeit. Um Technik aber abschätzen zu können, müsse aber auch die Perspektive der Ingenieure berücksichtigt werden. „Es ist wichtig, dass interdisziplinär diskutiert wird“, betont sie, „denn diese Themen betreffen die Ingenieure stark.“
Stärkung von sozialer Verantwortung für Ingenieure
Leicht-Scholten, die Mitglied bei der „Women in Science and Technology Group“ ist, sieht mehrere Möglichkeiten, wie man die soziale Verantwortung von Ingenieuren stärken könnte. So fordert sie mehr und bessere Zusammenarbeit zwischen Technikern und Sozialwissenschaftler in interdisziplinären Projekten. Die Kooperation könne zur Veränderung von Forschung und Entwicklung führen.
Dabei sollen die Ingenieure keine sozialwissenschaftlichen Methodenkompetenzen erwerben, sondern sozial relevante Fragestellungen in Entwicklungsprozesse besser einbinden. Auch könne man im Studium bereits die Fragestellung von sozialer Verantwortung thematisieren sowie diskutieren und in Projekte wie „Ingenieure ohne Grenzen“ – eine gemeinnützige Organisation, die Entwicklungszusammenarbeit durchführt – miteinfließen lassen.
Insgesamt sieht Leicht-Scholten verantwortungsvolle Forschung und Innovation als klare Strategie für Forschung, Lehre und Entwicklung und für zukunftsfähige Technikwissenschaften. Dabei sollen aber ein stetiger Austausch und Verständigung mit anderen Professionen stattfinden. Auch der Blick auf die soziale Verantwortung dürfe nicht vergessen werden. „Nicht die Techniker allein können soziale Verantwortung übernehmen, sondern es braucht die Kooperation miteinander“, betont sie.
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