Ist Selbstüberschätzung gut oder schlecht für die Karriere?
Positives Denken kommt gut an – auch im Job. Vorsicht aber ist geboten, wenn Sie selbst oder Kollegen beziehungsweise Kolleginnen sich selbst überschätzen. Worin besteht der gravierende Unterschied?
Neugierde und Optimismus sind wichtige Antriebsfedern, vor allem im beruflichen Kontext. Optimistische Führungskräfte etwa haben meist mehr Charisma und die Gabe, andere mitzureißen. Diese Art, Dinge anzugehen, hat für sie wiederum einen positiven Einfluss auf ihr Gehalt sowie etwaige Karrieresprünge.
Dabei hat der Optimismus eine Selbstwirksamkeit: Er geht einher mit der Überzeugung, ein gesetztes Ziel mit den zur Verfügung stehenden Mitteln erreichen zu können. Vor diesem Hintergrund lässt sich tatsächlich nachweisen, dass positiv denkende Führungskräfte erfolgreicher sind. Diese Fähigkeit kann man bis zu einem gewissen Grad auch trainieren. Andererseits ist wissenschaftlich erwiesen, dass sowohl Selbstwertgefühl als auch Optimismus zu rund 30% genetisch bedingt und daher nur eingeschränkt veränderbar sind.
Optimisten haben einen aktiven Bewältigungsstil
Allgemein zeichnet Optimisten ein aktiver Bewältigungsstil aus. Wenn sie vor einer Herausforderung stehen, scheuen sie nicht davor zurück, sondern sagen sich: Das werde ich schon schaffen, ich strenge mich an! Menschen mit hohem Selbstwert handeln ähnlich. Bei lang andauernden Belastungen ohne Verschnaufpause aber kann das negative Folgen haben. Es besteht die Gefahr der Selbstüberschätzung. Sie geben nicht auf, auch wenn ein Ziel nicht mehr erreichbar ist. Und darunter leiden nicht nur sie selbst, sondern gegebenenfalls auch ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Studien haben zwar ergeben, dass leichte Selbstüberschätzung durchaus zielführend sein kann, weil diese Sichtweise stimuliert und motiviert. Wichtig aber ist, bei allem Hang zum Illusionären nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Wenn ein Projekt etwa in der Planungsphase ist, kann zu viel positives Denken auch gefährlich sein, etwa, wenn man sich unrealistische Ziele setzt. Ein Beispiel: Setzt sich jemand bei einem Projekt eine enge Deadline, ohne zeitliche Puffer einzubauen, kann dies zu großen Problemen führen. Geht er oder sie dabei über seine beziehungsweise ihre Grenzen plus die eines Teams hinaus, ist es ein Fall von Selbstüberschätzung.
Selbstüberschätzung: Das gefährliche Syndrom der Überflieger
Bei der Selbstüberschätzung (siehe auch „Overconfidence-Effekt“) handelt es sich also um eine übertrieben positive Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten oder die Annahme der eigenen Überlegenheit gegenüber anderen. Psychologen sprechen dabei auch von einer kognitiven Verzerrung der Wahrnehmung. Der oder die Betroffene glaubt, mehr zu können, länger durchzuhalten oder größeren Einfluss zu haben, als dies tatsächlich der Fall ist.
Damit ist die Selbstüberschätzung auch eine nahe Verwandte der Arroganz. Entsprechend neigen nicht wenige Betroffene dazu, Erfolge ausschließlich sich selbst, Misserfolge hingegen den Umständen oder anderen zuzuschreiben.
Schon in der griechischen Mythologie wird das Phänomen bei Ikarus beschrieben: Weil der auf der Insel Kreta gefangen war, bastelte er sich einen Flucht- und Flugapparat aus Federn und Wachs. Weil er damit aber zu hoch hinaus wollte, kam er der Sonne zu nah. Folge: Das Wachs schmolz, Ikarus stürzte ins Meer. (Sein) Hochmut kam also vor dem Fall.
Selbstüberschätzung: ein Massenphänomen
Selbstüberschätzung ist mittlerweile ein Massenphänomen. Egal, ob es sich um einen IQ-Test, die Leistungen am Arbeitsplatz oder das Talent beim Autofahren handelt: Die Mehrheit der Befragten ist davon überzeugt, besser zu sein als der Rest. Schon 1776 beschrieb der schottische Ökonom Adam Smith dieses Phänomen: „Die Chance, zu gewinnen, wird von jedem Mensch überschätzt; die Chance, zu verlieren, wird von den meisten Menschen unterschätzt.“
Selbstüberschätzung und der Dunning-Kruger-Effekt
Echtes Selbstvertrauen basiert immer auf tatsächlichen Fähigkeiten, die wir zudem realistisch beurteilen. Der Selbstüberschätzer hingegen bleibt in seinem Inneren meist unsicher und versucht, dies zu vertuschen. So entpuppt sich manch überzogenes Selbstverständnis im realen Leben als ein Kosmos aus Selbsttäuschung, Schönfärberei und Selbstgerechtigkeit. Insofern neigen oft vor allem inkompetente Menschen dazu, sich selbst zu überschätzen. Dahinter steckt der sogenannte Dunning-Kruger-Effekt.
Kurioserweise sind es oft (Job-)Anfänger, die kundtun, alles zu können. Nachdem sie erste Erfolgserlebnisse erzielt haben, sind sie so von sich eingenommen, dass sie sich alles zutrauen und schlichtweg komplett falsch einschätzen, wie kompetent oder inkompetent sie tatsächlich sind. Dieses Phänomen hat auch einen wissenschaftlichen Namen: Dunning-Kruger-Effekt. Dabei handelt es sich um eine kognitive Selbstwahrnehmungsverzerrung. Der Begriff geht auf den US-amerikanischen Sozialpsychologen David Dunning zurück, der im Jahr 1999 zusammen mit Justin Kruger eine Studie zum Thema veröffentlicht, die heute noch als ein Klassiker der Psychologie gilt.
Mehr Selbstüberschätzung bei den Männern
Im Vergleich zwischen den Geschlechtern sind es die Männer, die eher von sich und ihren sachkundigen Fähigkeiten überzeugt sind und sich in ein besseres Licht rücken – nur nicht immer zurecht. Grund: In der Männerwelt sind Selbstbewusstsein, Stärke und Erfolg wichtige maskuline Werte. Wer etwas nicht kann oder weiß, gilt schnell als Loser. Der Hang zur Selbstüberschätzung ist deshalb stärker ausgeprägt.
Auch junge Menschen neigen häufiger dazu, sich zu überschätzen als Ältere. Begründet wird dies damit, dass Ältere sich meist sowohl privat als auch beruflich in eine Hierarchie eingefügt und ihren Sozialstatus gefunden haben. Sie kennen sich selbst gut genug, wissen, wie sie auf andere wirken und wollen nicht mehr zwangsläufig anderen „etwas beweisen“.
Es hat einen einfachen Grund, warum viele Menschen nur schwer das Zerrbild von sich korrigieren und die eigene Selbstüberschätzung überdenken: Sie wissen schlicht nichts davon.
Drei Tipps für eine bessere Selbsteinschätzung:
- Hinterfragen Sie sich regelmäßig: Kann ich das wirklich? Wer seine Fähigkeiten immer wieder hinterfragt und ehrlich beurteilt, hat letztendlich ein Selbstbild, das näher an die Wirklichkeit reicht.
- Für eine realistische Selbsteinschätzung sollten Sie sich regelmäßig Feedback von Ihren Kollegen und Kolleginnen einholen. Bitten Sie sie um eine ehrliche Meinung zu Ihren Fähigkeiten und vergleichen Sie dieses Fremdbild mit der eigenen Wahrnehmung. Treten hier größere Unterschiede auf, haben Sie einen guten Anhaltspunkt, was zu tun ist.
- Gestehen Sie sich ein, nicht alles zu wissen oder zu können und nicht perfekt zu sein. Das ist leichter gesagt als getan – vor allem vor anderen. Zu den eigenen Schwächen zu stehen, ist aber ein wichtiger Schritt hin zu charakterlicher und emotionaler Reife. Und es führt zu einem gesunden, realistischen Selbstbild.
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