Der Fensterladen wird zur Solarzelle aufgepeppt
Eine neue Architektur zeichnet sich ab. Eher Energieplaner als Architekten treiben sie voran. Nun soll die klassische Gebäudehülle zusätzliche Funktionen integrieren: Energieerzeugung mit Photovoltaik und Solarthermie, Heizung, Kühlung, Belüftung, Verteilung von Elektrizität und Kommunikationsdiensten – alles, was traditionell tief innen in Strängen und Schächten verläuft. Das soll jetzt in die multifunktionale Außenhaut des Hauses. VDI nachrichten, Freiburg im Breisgau, 13. 11. 09, swe
Es geht um die neu zu erfindende Gebäudehülle, wo das Außenklima an das Innenklima grenzt, kalt an warm, heiß an kühl – die Urfunktion des umbauten Raums. Derzeit ist das eine Sache der Dämmung, bei energetisch optimierten Neubauten einfach, im Bestand technisch und ästhetisch schwieriger. Und teurer.
Da die Gebäudefassaden unter dem Diktat der Energieeinsparverordnung (EnEV) ohnehin dicker werden, so die Vordenker des Fraunhofer Instituts für solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg, übernehmen sie gleich viele neue Aufgaben mit. Nicht nur Wärmedämmung, sondern zum Beispiel die Energieerzeugung. Für die solare Energietechnik ein breites neues Zukunftsfeld.
Das Symposium „Solar Summits Freiburg“ widmete sich Mitte Oktober dieser gebäudeintegrierten Energieerzeugung und seinen funktionalen Erweiterungen. Bislang läuft das unter dem Fachbegriff „BIPV“ (building integrated photovoltaic).
„Aber wir sehen die gebäudeintegrierte Energienutzung viel umfassender“, sagte Hans-Martin Henning, stellvertretender Leiter des Fraunhofer ISE, dort für den Bereich Thermische Anlagen und Gebäudetechnik verantwortlich und Programmleiter der Solar Summits 2009. „Nicht als Add-on, sondern als konzeptionell integrierten Bestandteil der Gebäudeplanung.“
Konsequent wäre es da, wenn die fassadenintegrierte Photovoltaik besondere Aufmerksamkeit bekäme. Doch zumindest die Förderrichtlinien orientieren sich in Deutschland in die Gegenrichtung. Bis Ende 2008 galt für fassadenintegrierte Photovoltaik eine zusätzliche Einspeisevergütung von 5 Cent/kWh zu den üblichen 46,74 Cent/kWh für den Sonnenstrom. Heute bekommt man einheitlich 43,01 Cent/kWh. In Frankreich hingegen wird die BIPV mit 57 Cent/kWh weiter bevorzugt gefördert, andere Photovoltaik muss mit 31 Cent/kWh auskommen.
„Ich kann mir schwer vorstellen, dass die Politik das negieren kann“, sagte Henning dennoch. Sonst seien die Ziele der EU zum Klimaschutz nicht zu erreichen. „Die Lösungen liegen auf dem Tisch – sie müssen nur implementiert werden.“ Das betrifft auch die notwendigen zugehörigen interdisziplinären Ausbildungsgänge für Ingenieure und Architekten.
Die Aufrüstung von Neu- und Altbauten zu Null-Energie-Häusern funktioniert, die „Solar Summits Freiburg 2009“ haben es erhärtet, über industriell vorgefertigte und standardisierte, multifunktionale Vorsatzfassaden. Natürlich muss das individuelle Gestaltungen zulassen.
„Die heutigen Lösungen sind erst der Anfang“, meint ISE-Forscher Henning, und ergänzt: „Das ist eine Aufgabe für Forschung und Entwicklung.“ Ähnlich sieht das Willi Ernst vom Photovoltaikanlagenspezialisten Centrosolar in Paderborn. „Wenn ein Modul nur Strom erzeugt, berechnen sich die Kosten nach dem kWh-Preis. Ersetzen wir damit gleichzeitig einen Fensterladen, dann ist das ein anderes Kostenbild.“
„Von den typischen Dachmodulen, heute 99 % der Photovoltaikinstallationen, muss es einen Weg zur Einbeziehung der vertikalen Fassaden geben“, sagte Willi Ernst. „Die Solarstromerzeugung muss in transparenten Fensterflächen erfolgen, die Solarthermie in undurchsichtigen, opaken Fassadenelemente.“
Derartige multifunktionale Fassadenbausteine übernehmen somit die photovoltaische und solarthermische Energieerzeugung. Sie übernehmen die Belüftung mit Wärmerückgewinnung und die Heizung, eventuell über entsprechend dimensionierte Wärmepumpen. Zugleich dienen sie als flexible Abschattung gegen die heiße Sommersonne.
Zukunftsweisende Mustergebäude für derart sanierte Mehrfamilienhäuser aus dem Bestand mit KfW-55- und Null-Energie-Haus-Standard stehen bereits in Freiburg, Frankfurt, Heidelberg, Ludwigshafen, Mannheim und Ulm.
Die österreichische Arbeitsgemeinschaft Erneuerbare Energie (AEE) realisiert durch ihr Institut für nachhaltige Technologien (AEE Intec) in Graz ein Gebäude mit Fassadenvorsätzen, bei kontrollierter Belüftung und einer Reduktion der Heizkosten und der CO2-Emissionen um 80 %.
Der Wiener Architekt Georg W. Reinberg verfolgt die aktive und passive Solartechnik in seinem eigenen Büro bereits seit 1982. „Im Bürobau ist heute auch in Europa der Kühlbedarf höher als der Heizbedarf. Dabei gilt es, die extrem teuren Spitzen zu drücken“, erläuterte Reinberg, warum z. B. konstruktive Verschattung so wichtig ist. Vom Entwurf gestützte Solarstrategien erreichen in der Praxis viel schneller den wirtschaftlichen Bereich. WERNER SCHULZ
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