Freiburger „Knochendecke“ ist Vorbild für optimale Leichtbaukonstruktion
Sie fällt gleich auf, die Deckenkonstruktion im runden Zoologie-Hörsaal der Uni Freiburg. Der Clou: Die Konstruktion des Architekten Hans-Dieter Heckeraus dem Jahr 1968 gleicht dem inneren Aufbau von Knochen. Und genau deshalb ist sie auch heute noch ungewöhnlich stabil.
Das bionische Prinzip ist uralt: Schon 1870 erkannte der Schweizer Bauingenieur Karl Culmann, dass die Knochenbälkchen genau dem Verlauf der theoretischen Druck- und Zuglinien folgen. Der Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich beschäftigte sich intensiv mit der von ihm erfundenen Methode der graphischen Statik.
Zu seinen Schülern gehörte auch Maurice Koechlin, einer der Konstrukteure des Eiffelturms, der bei seiner Errichtung im Jahre 1889 zur Weltausstellung in Paris die Umsetzung und Veranschaulichung der graphischen Statik im Bauwerk darstellte.
Knochen müssen stabil und gleichzeitig leicht sein
Der Architekt Hans-Dieter Hecker orientierte sich an Knochen, als er im Jahre 1968 den Rundbau des Zoologie-Hörsaals der Universität Freiburg plante. Ein Knochen ist ein hochentwickeltes Leichtbau-Tragwerk mit optimierter Statik. Knochen müssen stabil sein, denn sie tragen das gesamte Körpergewicht. Trotzdem müssen Knochen leicht sein, denn jedes Gramm an zusätzlichem Gewicht kostet unnötig Energie bei der Fortbewegung. Dazu kommt: Knochen müssen möglichst materialsparend konstruiert sein. Denn alle Knochenzellen müssen zunächst gebildet und dann immer mit Nährstoffen versorgt werden.
Das klingt nach einer Herkulesaufgabe, die die Evolution aber wie so oft hervorragend gelöst hat. Knochen sind nicht massiv gebaut, sondern sie bestehen aus einem feinen Netz von Knochenbälkchen. Diese Knochenbälkchen sind entlang der auftretenden Kraftlinien ausgerichtet. Hans-Dieter Hecker übertrug dieses statische Prinzip auf die Deckenkonstruktion seines kreisrunden und hellen Bauwerks.
Prinzip der isostatischen Rippen
Er konstruierte die Decke nach dem Prinzip der isostatischen Rippen. Dabei sind alle Rippen den gleichen mechanischen Belastungen ausgesetzt. Überall dort, wo die Hauptkraftlinien verlaufen, wird das Baumaterial gezielt verstärkt. In den anderen Bereichen wird Material entfernt. Durch die auf diese Weise erreichte Materialeinsparung können Gewicht und Kosten reduziert werden.
Jetzt kam diese Konstruktion von Hecker noch einmal auf den Prüfstand. Prof. Thomas Speck, Dr. Olga Speck und Florian Anthony von der Plant Biomechanics Group an der Fakultät für Biologie der Universität Freiburg sowie Prof. Dr. Rainer Grießhammer vom Freiburger Öko-Institut haben eine vergleichende Nachhaltigkeitsbewertung der Decke des Rundbaus im Vergleich mit heute verwendeten Leichtbaukonstruktionen für Gebäudedecken vorgenommen.
Ihr Ergebnis: Die Deckenkonstruktion des runden Hörsaals kann mit dem aktuellen Stand der Technik locker mithalten. Seine Resultate hat das Forscherteam jetzt in der Märzausgabe der Fachzeitschrift „Bioinspiration & Biomimetics“ veröffentlicht.
Vergleich mit Hohlkörperdecke und Spannbetondecke
Die Freiburger „Knochendecke“ musste sich in dieser Analyse mit einer Hohlkörperdecke und einer Spannbetondecke messen. Zu jeder Deckenkonstruktion erstellten die Forscher eine Ökobilanz, diskutierten soziale Aspekte und bewerteten, wie ökonomisch die Konstruktionen sind. Überraschend für die Wissenschaftler war, dass die bionische Rippendecke vergleichbar gute Ergebnisse zeigt. Denn Hans-Dieter Heckers Rippendecke aus Stahlbeton hat immerhin schon 45 Jahre auf dem Dach, während die Hohlkörperdecke und die Spannbetondecke den Stand der Technik abbilden.
Gerade die Reduktion des Materials verhilft der Freiburger „Knochendecke“ zum guten Abschneiden auch in Bezug Nachhaltigkeit. Der „künstliche Stein“ Beton besteht aus einem Gemisch von Zement, Kies und Wasser. Insbesondere die Herstellung und Aufbereitung des Bindemittels Zement trägt wesentlich zum Ausstoß von Kohlendioxid in die Atmosphäre bei. 60 Prozent der gesamten Kohlendioxidemission entstehen durch den chemischen Prozess bei dem aus Vorläuferstoffen und Abspaltung des Gases Kohlendioxid der Zement entsteht.
Auch das Herstellungsverfahren von Stahl ist ein energieintensiver Prozess. Um Stähle herzustellen und weiter zu verarbeiten, benötigt man Temperaturen von 1500 bis 1800 Grad Celsius. Allerdings ist Stahl im Gegensatz zu Zement fast ohne Qualitätsverlust recycelbar.
Bionisches Versprechen eingelöst
„Der Zoologiehörsaal der Universität Freiburg ist ein Beispiel für die erfolgreiche Übertragung eines biologischen Konstruktionsprinzips in die Architektur“, loben die Forscher. Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass die bionische Freiburger Rippendecke durch die hohen Personalkosten beim Bau mehr als doppelt so teuer ist, wie eine Hohlkörperdecke und Spannbetondecke. Bionik ist gut und stabil, kann aber auch recht teuer sein.
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