Verdunstungskälte vom grünen Dach
Gänseblümchen strecken sich nach der Sonne, Krähen durchstreifen die Wiesen auf der Suche nach Futter. Ein Mann öffnet Sonnenschirme, junge Paare lassen sich in die Polster fallen und lauschen entspannender Musik und dem Rauschen des Wassers. Und das nicht etwa in einem Park, sondern auf dem Dach eines Einkaufszen-trums im rasant wachsenden Istanbuler Stadtteil Ümraniye.
Das 2007 eröffnete Einkaufszentrum „Meydan“ (zu Deutsch: Platz) ist die neue Attraktion in Ümraniye. Dessen gefaltete Dächer ducken sich zwischen Hochhausrohbauten und Straßenkreuzungen in die lärmige Stadtlandschaft. Statt dröhnender Klimaanlagen beherbergt das 30 000 m2 große Dach saftige Wiesen. Dazwischen ein abgesenkter Platz, an dem nicht Verkehrslärm, sondern das Plätschern eines Brunnens den Ton angibt.
Entspannte Kunden sind gute Kunden, weiß der Bauherr, für den sich das Gründach auch wegen der gesparten Energie gelohnt hat: „Im Winter, wenn es kalt ist, haben wir eine große Isolierschicht auf dem Dach, das Gebäude darunter muss nicht so stark beheizt werden“, sagt Bettina Feldgen von Metro Asset Management gegenüber den VDI nachrichten. Das grüne Dach die Hitze.“ Es wirkt wie eine Klimaanlage und senkt den Bedarf für Heizung und Kühlung so stark, dass er vollständig durch Geothermie gedeckt werden könne. Grünes Dach, Brunnen-Fontänen und eine Wasserwand sorgen für ein besseres Mikroklima: „Im Sommer ist es auf dem Meydan-Gelände bis zu 3 oC kühler als in den umliegenden Straßen“ sagt Feldgen. Das ist viel Wert in einer Metropole wie Istanbul, in der es im Sommer 40 oC heiß werden kann.
Ähnliche Erfahrungen machen die Betreiber der 2008 neu eröffneten Kalifornischen Akademie der Wissenschaften in San Francisco, einem der modernsten Museen der Welt. Der Innenhof mit Cafeteria bleibt sogar im heißen Sommer angenehm kühl. Eine Dachbegrünung hilft auch hier Energie sparen: Der Bürotrakt benötigt nur 108 kWh/m2 im Jahr und damit etwa die Hälfte des Durchschnittsverbrauchs für Bürogebäude in den USA.
Dabei wirken Gründächer nicht nur auf das darunter liegende Gebäude: „Es ist die einfachste und billigste Art, das Stadtklima zu verbessern“, erhärtete Marco Schmidt vom Institut für Gebäudetechnik der TU Berlin. Eine konsequente Begrünung von Dächern könne den „Hitzeinsel-Effekt“ dämpfen, also die Aufheizung der Städte im Sommer. In der Innenstadt Berlins kann es im Sommer bis zu 10 oC wärmer sein als im Umland. Der Grund: Da Grünflächen mit Asphalt und Beton „versiegelt“ wurden, fließt das Regenwasser direkt in die Kanalisation, so dass es nicht mehr verdunsten und für Abkühlung sorgen kann. Während in der freien Natur der größte Teil der Einstrahlung in die Verdunstung von Wasser umgewandelt wird, sieht es in urbanen Gebieten ganz anders aus: Hier setzt die Bebauung bis zu 95 % der Energie in langwellige Wärmestrahlung um, so Schmidt.
Viele Architekten fördern städtische Hitzeinseln mit ihrer Vorliebe für pompöse Glasfassaden, denn die heizen sich besonders stark auf. So steigt der Bedarf an Klimaanlagen rapide. Doch die verstärken die städtische Hitzeinsel, denn sie kühlen nur das Innere der Gebäude, produzieren aber per saldo mehr Wärme, die meist auf dem Dach entweicht. Ihr Stromhunger bringt schon heute viele Stromnetze zum Zusammenbruch. Damit sorgen sie auch für mehr Treibhausgase und forcieren so die Erderwärmung zusätzlich.
Einen Ausweg aus diesem Teufelskreis könnte das Wasser bieten, das die Gründächer speichern. „Die halten etwa 70 % der Niederschläge zurück und verdunsten sie bei Hitze“. Seit 20 Jahren erforscht der auf ökologisches Bauen spezialisierte Landschaftsplaner die positiven Wirkungen von Dachbegrünungen. „Wir haben in unseren Messungen nachgewiesen, dass sie den Großteil der Sonnenstrahlung in die Verdunstung von Wasser umwandeln“, betonte Schmidt. Die Folge: Während sich ein herkömmliches Bitumendach im Sommer auf bis zu 70 oC aufheize, blieben begrünte Dächer mit circa 30 oC deutlich kühler. Neben einem besseren Mikroklima sorge es auch für eine längere Lebensdauer der Dachhaut. „Außerdem spart man Abwassergebühren, die fällig werden, wenn man die Kanalisation in Anspruch nimmt.“
Der Ingenieur betreut die Begleitforschung zu einem ökologischen Modellvorhaben am Institutsgebäude für Physik der Humboldt-Universität in Berlin-Adlershof. Dort liegt der Fokus nicht auf Gründächern, sondern auf der Nutzung von Regenwasser für die Bewässerung einer Fassadenbegrünung sowie die Erzeugung von Verdunstungskälte in der Klimaanlage. Überschüssiges Wasser verdunstet in einem Teich in einem der Innenhöfe.
Die Fassadenbegrünung dient als Sonnenschutz für einen Teil der Glasfassaden. Im Winter verlieren die Kletterpflanzen ihre Blätter, so dass das Sonnenlicht ungehindert passieren und die Heizung unterstützen kann. Im Sommer hingegen hält die begrünte Fassade die Sonnenstrahlung ab. „Wir vergleichen die konventionellen Fassaden mit den begrünten“, erläuterte Schmidt, „die Begrünung hat zwar den Nachteil, dass man sie nicht steuern kann, auf der anderen Seite setzt sie große Mengen an Strahlung in die Verdunstung von Wasser um, was ein konventioneller Sonnenschutz nicht kann.“
Anders als herkömmliche Rollos, die sich im Sommer auf über 50 oC aufheizen, bleiben die Kletterpflanzen kühl, schützen sich und das Gebäude durch Verdunstung vor Hitze. Aber sie kühlen auch die Umgebung. Mithilfe Hunderter Sensoren hat Schmidt den Effekt der Pflanzen auf das Mikroklima ermittelt. „Die Kühlungsleistung der Pflanzen im Außenbereich beträgt im Sommer pro Fassade täglich 280 kWh“, so der Ingenieur.
Auch in den Klimaanlagen des Institutsgebäudes hilft verdunstendes Wasser Energie zu sparen: „Wir versprühen das Regenwasser in der Abluft und kühlen diese so im Sommer von 25 oC auf 15 oC herunter“, erläuterte Schmidt. Über einen Wärmetauscher kühlt sie dann die Zuluft. Selbst bei Außentemperaturen von bis zu 30 oC kann die heiße Zuluft so auf 21 oC bis 22 oC Grad vorgekühlt werden, ohne technisch erzeugte Kälte zu nutzen. Diese sogenannte adiabate Abluftkühlung reduziere den Energieverbrauch um bis zu 90 %. Schmidt: „Zum Versprühen von Wasser braucht man im Idealfall weniger als kWh/m3, erzeugt aber eine Verdunstungskälte von 680 kWh“. „Das ist eine extrem effiziente Weise, ein Gebäude zu klimatisieren.“
Dennoch gibt es bisher nur wenige Modellvorhaben mit adiabater Kühlung, wie etwa das Bundeskanzleramt. „Die Branche der technischen Gebäudeausrüstung ist konservativ“, meinte Marcus Oetzel vom Architekturbüro bauplus, der das Prinzip bereits vor zehn Jahren im Rahmen des Neubaus der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg in Sankt Augustin erforscht hat. Nur wenn die Abluft sehr feucht ist, sei der Effekt nicht mehr so groß. Dennoch könne man hier mit wenig Aufwand viel erreichen. GÜVEN PURTUL
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