Wie nachhaltige Baustoffe die Architektur verändern
Der Bausektor ist einer der größten Klimasünder überhaupt. Um die Klimaziele zu erreichen, braucht es für die Zukunft nachhaltige Baustoffe. Das wird zu Veränderungen in der Architektur führen, wie wir sie heute kennen. Wagen wir einen Blick nach vorne.
Der Bausektor verbraucht in hohem Maß Rohstoffe, um zum Beispiel Rohstoffe wie Beton, Stahl oder Glas herzustellen. Die Herstellung ist zudem mit hohem Energieeinsatz verbunden und produziert jede Menge klimaschädliches Kohlendioxid. Ein immer weiter so wird nicht funktionieren, es braucht nachhaltigere Bauweisen und zum Teil eine Rückbesinnung auf alte Bautechniken. Dies wird die Architektur verändern. Wir haben uns umgeschaut, was bereits möglich ist und was die Zukunft bringen kann.
Die Ausgangssituation
Die Bauindustrie verarbeitet nach Angaben des Umweltbundesamtes mehr als 70 Prozent aller Rohstoffe in Deutschland. Viele davon sind nicht in unendlicher Menge verfügbar, wachsen also nicht nach. Der Abbau der Rohstoffe bedeutet zudem häufig ein massiver Eingriff in die Natur. Vom Flächenverbrauch, den die Bautätigkeiten nach sich ziehen, ganz zu schweigen.
Einer der auf dem Bau am meisten verwendeten Rohstoffe ist Zement, es dient als Bindemittel zur Herstellung von Beton oder Mörtel. Er war laut WWF im Jahr 2017 für zwei Prozent der deutschen und acht Prozent der globalen Treibausemissionen verantwortlich. Insbesondere in China gibt es einen regelrechten Bauboom. So gelangen allein durch die Zementherstellung jährlich 2,8 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre.
Gleichzeitig wird bereits in vielen Regionen die Beton-Bestandteile Sand und Kies knapp. Das führt zu längeren Transportwegen, was wiederum nicht sehr nachhaltig ist. Viel schlimmer sind die ökologischen Auswirkungen durch die Förderung der Mineralien. So können zum Beispiel Gewässer und Grundwasser verunreinigt werden, Tiere und Pflanzen werden beim Abbau oft einfach mit „entsorgt“.
Neben Kies und Sand werden noch viele weitere Baustoffe benötigt, wenn auch nicht in diesem Umfang, zum Beispiel Holz, Gips, Kalk, Ton, Eisen oder Lehm. Die jüngsten Preisexplosionen zeigen, dass auch erneuerbare Rohstoffe wie Holz an ihre Grenzen stoßen. Und auch für nachhaltige Baustoffe für Lehm oder Ton sind Eingriffe in die Natur notwendig. Eine hundertprozentige Umweltfreundlichkeit ist daher kaum möglich.
Welche nachhaltigen Baustoffe stehen zur Verfügung?
Die Ausgangssituation zeigt: Es gibt in der Baubranche einige Baustellen in Sachen Nachhaltigkeit. Eine ist sicherlich: Alte Gebäude zu sanieren ist wesentlich nachhaltiger als neu zu bauen. Der Materialbedarf ist bei einer Sanierung nicht nur um etwa zwei Drittel geringer, es brauchen zudem keine neuen Flächen bebaut werden.
Ein weiterer wichtiger Punkt abseits der verwendeten Materialien ist das Recycling. Gerade bei der Herstellung von Beton kann bis 2050 laut Umweltbundesamt mehr als ein Drittel der Mengen an Kies und Sand durch aufbereitete Abbruchmaterialien ersetzt werden. Forschungsteams entwickeln derzeit sogar Verfahren, mit denen sogar Kohlendioxid in Recycling-Beton gebunden werden kann. Auch andere Rohstoffe lassen sich aus Bauschutt gewinnen.
Hinzu kommt eine Rückbesinnung auf alte Materialien und Techniken. Holz und Lehm können zum Beispiel in vielen Fällen Beton und Stahl ersetzen. Dabei erfüllen sie sogar dank moderner Verarbeitungsmethoden ähnliche Anforderungen. So lassen sich zum Beispiel mit Lehm und Holz die Vorgaben hinsichtlich Brandschutz, Feuchtigkeits- und Wärmeschutz sowie der Luftdichtheit durchaus erfüllen.
Apropos Holz: Mittlerweile werden ganze Hochhäuser in Holzständerbauweise gebaut. Das derzeit höchste Holzhaus der Welt steht in Norwegen und ist 85,4 Meter hoch. Es soll aber noch höher hinaus gehen: In Winterthur in der Schweiz wird gerade das Rocket-Hochhaus geplant, es soll 100 Meter hoch werden. Die innovative Holzkonstruktion, die vom Planungsbüro Implenia zusammen mit der ETH Zürich und WaltGalmarini entwickelt wurde, wird mit einer Fassade aus Terracotta umhüllt. Hier geht es zu einem Beitrag über das höchste Holzhaus Deutschlands.
Auch bei der Wärmedämmung braucht es längst keine umweltschädlichen Materialien wie Polystyrol mehr. Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen zum Beispiel aus Holzfasern, Hanf, Flachs, Zellulose (aus Altpapier), Schafwolle, Stroh, Seegras oder Schilf. Sie werden zu Matten oder Platten geformt und lose geschüttet oder eingeblasen. Damit lassen sich ähnlich gute Dämmwerte als mit herkömmlichen Dämmstoffen erzielen.
Das könnte die Zukunft bringen
Experimentiert wird viel in der Baubranche. So zum Beispiel beim Mehr.Wert.Pavillon aus Recycling-Materialien. Er wurde anlässlich der Bundesgartenschau 2019 in Heilbronn errichtet. Seine Stahlstreben stammen zu einem großen Teil aus dem Rückbau eines Kohlekraftwerks in Nordrhein-Westfalen. Und auch sonst wurde sehr auf Nachhaltigkeit geachtet, so wurden zum Beispiel komplett auf Klebstoffe, Schäume, Anstriche oder Imprägnierungen verzichtet, das hat folgenden Grund:
„… denn solange damit gearbeitet würde, seien selbst vermeintlich ökologische Baustoffe nicht sortenrein und kreislaufgerecht. Wir müssen ab jetzt so planen und bauen, dass wir in Zukunft die Materialien nach der Nutzung des Gebäudes nicht deponieren und wegschmeißen müssen, sondern einen Mehrwert daraus generieren.“ Dirk. E. Hebel, Professor für Nachhaltiges Bauen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Neue und überarbeitete Materialien können der Baubranche helfen, künftig nachhaltiger zu werden. So gibt es beim Beton zum Beispiel einige interessante Entwicklungen, die zum Teil bereits den Praxistest bestanden haben: Stichworte Carbonbeton, Gradientenbeton oder Glasfaserbeton. Mehr drüber im Beitrag: Nachhaltig bauen mit Beton. Experimente gab es zudem mit alternativen Baustoffen wir Hanf, Bambus oder Wurzelwerk von Pilzorganismen, den sogenannten Myzelien.
Die Qualitäten pilzbasierter Baustoffe wissen auch Forscher der ETH und ihre Kollegen aus Karlsruhe zu schätzen. Professor Hebel sagt dazu: „Wir müssen unsere Baustoffe kultivieren, denn andere Ansätze werden nicht ausreichen.“ Aus den Myzelien lassen sich zum Beispiel biologisch abbaubare Dämmungen, Spanplatten oder Bausteine herstellen. Eine weitere Anwendung ist der Myco Tree, bestehend aus tragenden Myzelkomponenten und Bambus. Sie sollen irgendwann einmal in der Lage sein, Materialien wie Beton und Stahl zu ersetzen.
Wie sieht nachhaltige Architektur von morgen aus?
Vor dem Hintergrund, dass nachhaltige Materialien Lehm oder Hanf, Holz oder Bambus künftig eine tragende Rolle in der Architektur einnehmen werden, könnte manch einer denken, wir entwickeln uns zurück und leben bald wieder wie im Mittelalter. Das ist sicherlich nicht zu befürchten, doch lohnt sicherlich ein Blick zurück auf das, was frühere Baumeister entworfen und gebaut haben. Vieles davon steht seit hunderten von Jahren. Mehr Nachhaltigkeit geht nicht.
Der Einsatz der richtigen Baustoffe ist bei einer nachhaltigen Architektur elementar wichtig. Doch zur Nachhaltigkeit gehört noch weit mehr: Klimafreundliche Planungsansätze umfassen immer sämtliche Phasen des Entwurfs- und Bauprozesses. Ein Gebäude lässt sich zum Beispiel nicht nur mit einer Klimaanlage kühlen. Mit gezielter Beschattung, Grünelementen und temperaturresistenten Materialien lässt sich bereits vieles erreichen. Auch hydroaktive Fassadenelemente können dazu beitragen, Gebäude natürlich zu kühlen. Mit intelligenten Bauweisen lässt sich zudem erreichen, dass im Winter kaum noch zugeheizt werden muss.
Ein wegweisendes Gebäude für nachhaltige Architektur gilt das Projekt 2226 von Baumschlager Eberle Architekten. In den Innenräumen herrscht konstant eine Temperatur zwischen 22 und 26 Grad Celsius, obwohl das Gebäude weder eine Klimaanlage noch eine Heizung besitzt. Die Räume erwärmen sich alleine durch die aktive Nutzung, zum Beispiel der Wärmeabstrahlung des Körpers oder durch elektrische Geräte wie Rechner oder Leuchten. Dass die Kälte draußen und die Wärme drinnen bleibt, dafür sorgen unter anderem besonders massive Wände. Insgesamt 76 Zentimeter ist das Ziegelmauerwerk stark. Eine zusätzliche Dämmung ist nicht notwendig.
Wie man alte Bausubstanz behutsam und nachhaltig in eine moderne Umgebung transformieren kann, beweist das Hotel Wilmina in Berlin. Der Gebäudekomplex wurde 1896 als Strafgericht mit Gefängnis errichtet und diente viele Jahre als Frauengefängnis. Grüntuch Ernst Architekten haben es mit wenigen baulichen Eingriffen und maximalem Substanzerhalt geschafft, einen minimalen CO2-Fußabdruck zu hinterlassen. Im Jahr 2022 schaffte es das sanierte Gebäude unter die Top-4 „Deutscher Nachhaltigkeitspreis Architektur 2023“. Zu den Preisträgern des renommiertesten europäischen Preises für ökologisches und soziales Engagement zählt auch der neue englische König Charles III.
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