Wirtschaftliche Fertigung 20.08.2020, 07:00 Uhr

Industrie- und Konsumgüter flexibler produzieren – das funktioniert

Bislang mussten sich Firmen zwischen starren Produktionslinien bei hoher Produktivität oder flexibler Fertigung mit niedriger Effizienz entscheiden. Wie sich unterschiedliche Ansätze verbinden lassen, zeigen Forscher am KIT.

Mehr Flexibilität bei der Produktion. Wie das gehen könnte, zeigen Ingenieure am KIT.
Foto: wbk/KIT

Mehr Flexibilität bei der Produktion. Wie das gehen könnte, zeigen Ingenieure am KIT.

Foto: wbk/KIT

Seit Jahren zeichnet sich bei der industriellen Herstellung ein Trend ab: Kunden wünschen sich individuell angefertigte Produkte, mitunter in kleinen Stückzahlen. Das betrifft nicht nur Konsumgüter wie Sportartikel. Auch die Automobilindustrie benötigt Produkte mit einem hohen Grad an Individualisierung, teilweise bei geringer Stückzahl. Gleichzeitig wächst der Druck, Artikel günstig anzubieten.

Forscher am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) haben für solche Aufgaben ein spezielles Produktionsplanungssystem entwickelt. Es kombiniert die Präzision und Leistungsfähigkeit von Spezialmaschinen mit der Flexibilität von Industrierobotern – und lässt sich von Anwendern anhand einer Plattform leicht bedienen. „Geeignete Produktionssysteme, die sich durch hohe Flexibilität und hohen Automatisierungsgrad gleichermaßen auszeichnen, existierten bisher nicht oder nur in Ansätzen“, so Edgar Mühlbeier vom KIT. „Unser Ansatz schließt diese Lücke.“

Die Herausforderung: mehr Flexibilität bei Produktionsprozessen  

Zum Hintergrund: Mühlbeier und seine Kollegen arbeiten mit Kinematiken zur Abdeckung aller Wertströme. Diese werden auch Wertstromkinematiken genannt. Grundlage sind einheitliche, auf Vertikalknickarmrobotern basierende Standardkinematiken. Sie übernehmen neben Handhabungsaufgaben auch unübliche Prozesse.

Das neue, am KIT entwickelte System besteht aus mehreren einzelnen Modulen. Sie sind je nach Anwendung frei konfigurierbar und bilden eine Schnittstelle zwischen bekannten Systemen. In der Robotik übernehmen sie Handhabungsaufgaben für die Geräte. Gleichzeitig lassen sich die Einheiten an unterschiedlichen Fertigungswerkzeugen andocken. Dann steuern sie Prozesse von der Montage und additiven Fertigung, über Trenn- und Fügeverfahren sowie Zerspanungsaufgaben bis hin zur Qualitätssicherung in einem Fluss. „Dieser Aufbau ermöglicht eine häufige und flexible Neuanordnung des Produktionssystems, ohne dass kostspielige zusätzliche Anlagen hinzugekauft werden müssen“, kommentiert Mühlbeier. Seine Strategie macht Firmen unabhängiger von Einzelmaschinen in starren Produktionslinien, wenn sie flexibel arbeiten.

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Damit die Kinematiken auch anspruchsvolle Prozesse ausführen können, sind im Vergleich zum Industriestandard verschiedene Änderungen der Hardware und Software erforderlich. Zum Einsatz kommen innovative Getriebetechnologien sowie eine digitale Kompensation von Bahnabweichungen. Ein Beispiel aus der Praxis: Die KIT-Ingenieure haben untersucht, ob eine auf wenige hundertstel Millimeter genaue Bahnführung beim Fräsen möglich ist. Dabei müssen einzelne Schritte wie die erforderliche Kraft und die Schnittgeschwindigkeit genau geplant werden. Das funktioniert – und könnte künftig Spezialmaschinen mit nur einer Funktion ersetzen.

Anordnung der einzelnen Module wie auf der Legoplatte  

Doch wie sieht die Fabrik der Zukunft nach diesem Konzept möglicherweise aus? Wertstromkinematiken lassen sich in einer Halle beliebig anordnen, beispielsweise anhand eines Rasters, welches sich über die gesamte Produktionsfläche erstreckt. Mühlbeier vergleicht das bildlich „mit einer Legoplatte, auf der sich die Bausteine beliebig feststecken lassen“. Das verkürzt den Vorlauf von der Planung bis zur Produktion, ermöglicht aber auch Änderungen in kurzer Zeit.

Um schneller zum Ziel zu kommen, soll eine webbasierte, plattformunabhängige Software die Arbeit von Ingenieuren erleichtern – nicht nur bei Großkonzernen, sondern auch bei mittelständischen Unternehmen. Das Tool unterstützt alle einzelnen Schritte vom Entwurf eines Produkts per CAD über die Planung von Anzahl, Anordnung und Koppelung der Kinematiken bis hin zur Simulation und Feinjustierung des gesamten Produktionssytems.  

Wettbewerbsvorteil für Firmen 

Die neue Konzeption verschafft Firmen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihrer Konkurrenz. Sie müssen schnell und flexibel auf die Forderung ihrer Kunden reagieren, unterschiedliche Produkte in kurzer Zeit herzustellen. Gleichzeitig steigt der Druck, Waren kostengünstig zu produzieren. Bislang hatten Hersteller nur die Wahl zwischen starren Produktionslinien mit hohem Output oder einer flexiblen Fertigung mit niedriger Effizienz. Mit der Wertstromkinematik sollen beide Strategien vereint werden. Als Industriepartner sind Siemens im Bereich der Steuerungstechnik und der Werkzeugmaschinenhersteller GROB als Entwickler von Hardware und Integrator mit im Boot.

Wer mehr zum Thema Wertstromkinematik erfahren möchte, kann sich am 16. September 2020 ab 10:00 Uhr bei einem virtuellen Seminar des KIT informieren. Vorgestellt wird auch ein Demonstrator zur Wertstromkinematik, um das Konzept kooperierender, koppelbarer Einheiten mit wechselbaren Werkzeugen zu veranschaulichen. Die Anmeldung ist direkt beim KIT möglich.

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Ein Beitrag von:

  • Michael van den Heuvel

    Michael van den Heuvel hat Chemie studiert. Unter anderem arbeitet er für Medscape, DocCheck, für die Universität München und für pharmazeutische Fachmagazine. Seit 2017 ist er selbstständiger Journalist und Gesellschafter von Content Qualitäten. Seine Themen: Chemie/physikalische Chemie, Energie, Umwelt, KI, Medizin/Medizintechnik.

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