Mit digitalen Zwillingen und 5G zum Digital-Weltmeister
Pünktlich zur Hannover Messe fällt auch der Politik auf, dass Deutschland nur im digitalen Wettstreit mithalten kann, wenn die digitale Infrastruktur stimmt. Und so will die Bundesregierung Deutschland zum Digital-Weltmeister machen. Die Unternehmen wünschen sich deutlich mehr Geschwindigkeit – damit auch Entwicklungen wie digitale Zwillinge Tempo machen können.
Die Digitalisierung der deutschen Wirtschaft wird immer noch durch den zu langsamen Ausbau des Breitbandnetzes in der Fläche gebremst. Es fehlt an leistungsfähigen Übertragungskanälen und an Breitbandnetzen. Die neue Staatsministerin für Digitalisierung im Bundeskanzleramt, Dorothee Bär, räumt Defizite ein. „Wir waren nicht ehrgeizig genug. Aber das ändert sich jetzt“, verspricht die CSU-Politikerin kürzlich im Interview mit der Bild am Sonntag. „Wir wollen auch Digital-Weltmeister werden“, so die Staatsministerin. Der für digitale Infrastruktur zuständige Minister Andreas Scheuer (CSU) nannte den Zustand des deutschen Mobilfunknetzes „für eine Wirtschaftsnation untragbar“.
Digitaler Zwilling mit Schubkraft
Gäbe es tatsächlich ein flächendeckendes Breitbandnetz, könnten Entwicklungen wie der digitale Zwilling des Siemens-Konzerns ihre ganze Schubkraft entfalten. Das Konzept bedeutet: Zu jedem realen Objekt, einer Maschine etwa, gibt es einen digitalen – virtuellen – Zwilling. Beide entwickeln sich parallel.
Das fängt bereits bei der Konstruktion an, bei der sich Produktionstechnik und Funktion simulieren und optimieren lassen. Das virtuelle Produkt verändert sich während seiner Lebensdauer genauso wie der reale Zwilling, etwa bei Nachrüstungen oder Reparaturen. Das wiederum lässt Rückschlüsse auf eventuelle Schwachstellen und Verbesserungen zu.
Das kann allerdings nur funktionieren, wenn die Systeme nicht nur miteinander vernetzt sind, sondern zusätzlich „sehen“ und „verstehen“ können und sich selbst optimieren. Dafür braucht es integrierte Informationssysteme, die einen durchgängigen Austausch von Informationen für die Planung und Produktion über Auftragsabwicklung bis hinunter in die Maschinenebene zulassen, Breitbandnetze eben.
MindSphere soll Wertschöpfungsketten optimieren
Siemens hat dazu das cloudbasierte, offene IoT-Betriebssystem MindSphere (IoT=Internet der Dinge – Internet of things). Damit lassen sich Maschinen und die physische Infrastruktur mit der digitalen Welt verbinden. „Durch die Erkenntnisgewinne aus MindSphere optimieren wir kontinuierlich die gesamten Wertschöpfungsketten unserer Kunden“, verspricht Jan Mrosik, CEO der Siemens Division Digital Factory. Der Konzern präsentiert MindSphere auf seinem 700 Quadratmeter großen Stand auf der Hannover Messe Industrie.
Siemens hat schon vor Jahren Industrie 4.0 vorbereitet und begonnen, mit digitalen Zwillingen zu arbeiten, wenn auch noch bei weitem nicht auf dem heutigen Niveau. Im ICE-Werk in Krefeld-Uerdingen etwa begann man damit, die Fahrzeuge digital zu planen. Das diente der Vorbereitung und Optimierung der Produktion. So konnten die Ingenieure bereits vor der realen Produktion testen, ob bestimmte Baugruppen problemlos zu montieren waren. Sie entdeckten beispielsweise Hindernisse, die ein unnötig kompliziertes Handling erforderten. Die Lösungen können in allen Produktionsbereichen eingesetzt werden, vor allem dann, wenn es um komplexe Systeme geht wie Flugzeuge, Turbinen und Autos.
Mittelständler hinken noch hinterher
Doch komplex sind nicht nur die Produkte, sondern auch die Lieferketten. In Produktion und Entwicklung sind die Unternehmen auf Zulieferer angewiesen, Autohersteller etwa auf Getriebebauer und Elektronikhersteller. Oft sind es Mittelständler, die in den Produktionsprozess informationstechnisch eingebaut werden müssen. Hier gibt es noch Defizite.
Eine Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young unter 2000 mittelständischen Unternehmen in Deutschland zeichnet eine bedenkliche, aber auch differenzierte Lage zum aktuellen Stand der Digitalisierung. 74 Prozent der Befragten sind sich der Bedeutung der Digitalisierung für Produktion und Vertrieb bewusst. Doch in nur 55 Prozent der Unternehmen mit weniger als 30 Millionen Euro Jahresumsatz spielt die konsequente Digitalisierung eine mittelgroße oder große Rolle. Bei Unternehmen mit mehr als 100 Millionen Euro Umsatz sind es immerhin schon 66 Prozent (sehen Sie detaillierte Ergebnisse in der Bildergalerie).
Gefahr für die Arbeitsplätze?
Möglicherweise würde es auch bei Mittelständlern schneller vorangehen, wenn die mit der Digitalisierung einhergehenden Kosten nicht so hoch wären. Außerdem fehlt es laut Studie an geeigneten Fachkräften. Diese würden sich lieber an große und bekannte Unternehmen wenden. Dazu kommt, dass viele Standorte mittelständischer Unternehmen mit Breitbandnetzen unterversorgt sind. Dass sich das so schnell ändert wie Staatsministerin Bär hofft, glaubt der Vizepräsident des Rohrleitungsbauverbandes, Andreas Burger, allerdings nicht. Er bemängelt, es gebe nicht genügend Planungskapazitäten. „Die versprochene Geschwindigkeit beim Ausbau des schnellen Internets wird sich nicht halten lassen“, befürchtet Burger.
Die Digitalisierung könnte auch schwerwiegende Nachteile haben. Laut einer Umfrage des IT-Verbands Bitkom könnte sie bis zum Jahr 2022 rund 3,4 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland überflüssig machen. Dem widerspricht Terry Gregory vom Mannheimer Forschungsinstitut ZEW. Zunehmende Digitalisierung habe in der Vergangenheit nicht zu weniger, sondern zu mehr Jobs geführt.
Wir haben die großen Verbände gefragt, wie Ingenieure 2030 arbeiten.
Individuelle Schokoladen-Spezialitäten dank Industrie 4.0
Dass selbst ein Schokoladenhersteller von Industrie 4.0 direkt profitieren und sich besser auf die Wünsche der Kunden einstellen kann, zeigt das Beispiel des Schweizer Unternehmens Chocolat Frey aus Buchs. Es geht um die Einführung eines Systems, das an der Fachhochschule Westschweiz in Delémont entwickelt worden ist, um Kunden genau den Mix an Süßigkeiten zu bieten, den sie bevorzugen. Der Käufer wählt die Schoko-Spezialitäten aus, die er liebt, etwa mehr Nougat- und Krokant-Schoko als weiße und Bitterschokolade. Seine Wunschliste kann der Kunde per Twitter an einen Kommissionierautomaten schicken. Das ist ein sechsachsiger Roboter, der die ausgesuchten Leckereien blitzschnell in eine Dose füllt, die dann per Post verschickt oder vom Kunden abgeholt wird.
Bisher ist eine solche individuelle Lösung allerdings noch teuer, weshalb Frey noch zögert, die Wunsch-Schokoladenpackungen einzuführen. „Wir müssten dafür unsere ganze Produktion umstellen“, sagt Fabian Sigg, stellvertretender Leiter der Produktion bei Chocolat Frey. „Das ist ein Prozess, der genau geprüft werden muss.“ Aber möglich wäre es schon.
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