Roboter lernen das Klettern von Egeln
Roboter, die Wände hochklettern, unterstützen Ingenieure bei diversen Arbeiten an Gebäuden. Wie das funktionieren kann, haben sich Wissenschaftler von Landegeln abgeschaut.
Ingenieure müssen auch unwegsame Stellen erreichen. Kein Wunder, dass Roboter, die sich senkrechte Strecken nach oben und unten bewegen, ein breites Anwendungsspektrum haben. Sie inspizieren Gebäude, machen Aufnahmen von schwer zugänglichen Regionen und können sogar Fehler beheben. Außerdem übernehmen sie Such- und Rettungsaufgaben an Katastrophenorten. Während das Klettern an senkrechten Wänden noch relativ einfach ist, machen Stufen oder Hindernisse in der Praxis Schwierigkeiten. Besonders schwierig ist es für einen Roboter, eine Mauer zu erklimmen und anschließend das Bewegungsmuster zu ändern.
Ingenieure der japanischen Toyohashi University of Technology und der britischen University of Cambridge haben deshalb Leech entwickelt: ein von Landegeln (Haemadipsidae) inspirierter Roboter mit Saugnäpfen und mit einem flexiblen, entlang der Längsachse dehnbaren Körper. Dahinter steckte wie so oft der Zufall.
Leech ahmt flexible Bewegungsmuster nach
„Ich bin auf die Idee im Badezimmer meines Hauses gekommen“, erzählt Ayato Kanada. Er ist Doktorand an der Toyohashi University of Technbionikology und hat das Projekt geleitet. „Der Duschschlauch ist beim Aufdrehen wild geworden, als hätte er ein eigens Leben entwickelt. Dann kam mir die Idee, wenn ich einen Schlauch manipulieren könnte, könnte ich vielleicht einen Roboter mit der dynamischen Bewegung eines Lebewesens bauen.“ Nach eingehenden Recherchen fiel die Wahl der Wissenschaftler auf Landegel als Vorbilder, weil sie ähnliche Bewegungsmuster abbilden.
Recht pragmatisch plünderten die Forscher ein Badezimmer: Im Experiment kommt neben Saugnäpfen tatsächlich auch ein Duschschlauch zum Einsatz. Mit diesen Materialien als Grundstock baute das Team um Kanada einen innovativen Roboter. Gewicht, Flexibilität und Dehnbarkeit des natürlichen Vorbildes erreichten sie über die Schlauchstruktur. Das flexible Rohr wurde S-förmig gebogen und dann an einer Metallplatte fixiert. Ein Zahnrad greift in die spiralförmige Nut auf der Oberfläche des Rohrs. Das flexible Rohr schiebt sich durch die Drehbewegung vor und zurück. Der Roboter besteht aus insgesamt drei Schläuchen, die parallel laufen. Jedes einzelne dieser Bauelemente kann man separat ansteuern. Dabei biegt oder dehnt sich der Körper je nach Bedarf.
Erste Tests verliefen erfolgreich. Leech kletterte problemlos Wände nach oben und hatte auch mit dem Abstieg keine Schwierigkeiten. Durch die Kombination beider Übergänge kann sich der Roboter auf einer zweidimensionalen Wandoberfläche frei bewegen. Sein flexibler Körper gelange ohne Schwierigkeiten über Hindernisse, sagen die Forscher. Um die Hohlraumstruktur des Brauseschlauchs besser zu nutzen, erwägt das Team die Möglichkeit, die Steifigkeit des Schlauchs durch Einfüllen von Flüssigkeit in den Hohlraum zu ändern. Weitere Experimente folgen. Wie Kanada schreibt, habe es sich aber schon jetzt gelohnt, Strukturen der Natur nachzuempfinden.
Aus dem Regenwald ins Labor
Zum Hintergrund: Das Team hat sich Bewegungsmuster von Landegeln abgeschaut. Die Blutsauger kommen in den feuchten Wäldern Asiens vor und sind – anders als unsere heimischen Blutegel – nicht ständig in sumpfigen Gewässern. Landegel sind hervorragende Kletterer. Sie bewegen sich im Regenwald an Bäumen, aber auch an Wänden von Häusern mühelos entlang. Ihre Körper sind so leicht und weich, dass sie selbst bei einem Sturz aus großer Höhe keinen Schaden erleiden.
Das liegt an einem Mechanismus, der ihre Saugnäpfe auch bei trockener Witterung feucht hält: Das erste Paar dieser Gebilde steht mit einem Harnleiter direkt am vorderen Saugnapf in Verbindung. Über Kapillarkräfte verteilt sich das Sekret auf der Oberfläche. Die hinteren Saugnäpfe werden über spezielle Fortsätze benetzt. Eine weitere Besonderheit sind drehbare Saugnäpfe, mit denn sich die Blutegel schneller im Regenwald fortbewegen können. Ihr Körper ist zudem extrem dehnbar.
Der jetzt entwickelte Roboter „LEeCH“ ist Teil eines großen Konzepts. In der Bionik versuchen Ingenieure, Eigenschaften von Tieren und Pflanzen auf Geräte zu übertragen – mit großem Erfolg. Der Lotus-Effekt an Oberflächen oder Winglets beziehungsweise Sharklets, also gebogene Flügelenden bei Flugzeugen, gehen auf natürliche Vorbilder zurück. Passive Lüftungssysteme sind aus Termitenbauten entlehnt.
Mehr zu Bionik
Ein Beitrag von: