Kommen bald Roboter mit sehr viel Gefühl in den Fingerspitzen?
Forschende der Universität Cambridge in England haben einen Robotersensor entwickelt, der mithilfe von künstlicher Intelligenz Blindenschrift doppelt so schnell lesen kann wie die meisten menschlichen Leser. Mit ihm könnten in Zukunft hochsensible Roboterhände gebaut werden.
Robotern fehlt es heute noch in vielen Bereichen an einer gewissen Sensibilität. Das könnte sich ändern, denn ein britisches Forschungsteam hat einen Robotersensor entwickelt, der bereits jetzt Blindenschrift schneller entziffern kann als die meisten Menschen. Der Roboter war in der Lage, die Brailleschrift mit 315 Wörtern pro Minute mit einer Genauigkeit von fast 90 Prozent zu lesen. Zwar wurde der Sensor nicht als Hilfsmittel entwickelt, doch durch seine hohe Empfindlichkeit eigne er sich bestens für die Entwicklung von hochsensiblen Roboterhände. Diese Hände könnten eine ähnliche Empfindlichkeit wie menschliche Fingerspitzen haben.
Sensible Roboterhände sind große technische Herausforderung
Die Sensibilität der menschlichen Fingerspitzen ist beeindruckend. Sie ermöglichen es uns, feine Unterschiede in der Oberflächenbeschaffenheit zu erkennen und die nötige Kraft für das Greifen verschiedener Gegenstände abzuschätzen – sei es ein zerbrechliches Ei oder eine schwere Bowlingkugel. Die Nachbildung dieser Sensibilität in Roboterhänden, und zwar auf energieeffiziente Weise, stellt eine bedeutende technische Herausforderung dar.
Im Labor von Professor Fumiya Iida an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften der Universität Cambridge arbeiten Forschende an Lösungen für diese und andere Fähigkeiten, die Menschen mühelos beherrschen, die aber für Roboter schwierig umzusetzen sind.
„Die Weichheit der menschlichen Fingerspitzen ist einer der Gründe, warum wir in der Lage sind, Dinge mit dem richtigen Maß an Druck zu greifen“, erklärt Parth Potdar vom Cambridge Department of Engineering und Student am Pembroke College. „Für die Robotik ist Weichheit eine nützliche Eigenschaft, aber man braucht auch viele Sensorinformationen, und es ist schwierig, beides gleichzeitig zu haben, vor allem, wenn man mit flexiblen oder verformbaren Oberflächen zu tun hat“, erläutert Potdar die Problemstellung.
Was ist anders im Vergleich zu anderen Roboter-Braille-Lesegeräten?
Dass Roboter Braille-Schrift, also Blindenschrift, lesen können, ist nicht neu. Co-Autor David Hardman, ebenfalls von der Fakultät für Ingenieurwissenschaften, erläutert, worin sich der neu entwickelte Sensor von bereits vorhandenen Systemen unterscheidet: „Es gibt bereits Roboter-Braille-Lesegeräte, aber sie lesen nur einen Buchstaben nach dem anderen, was nicht dem menschlichen Leseverhalten entspricht.“ Sie arbeiten demnach statisch, das Forschungsteam aus Cambridge wollte es effizienter und realistischer machen.
Der von den Wissenschaftlern eingesetzte Robotersensor verfügt über eine integrierte Kamera in seiner Spitze. Er erfasst Daten durch das Zusammenspiel von Kamera und Sensoren. „Für Robotik-Experten stellt dies eine herausfordernde Aufgabe dar. Umfangreiche Bildverarbeitung ist notwendig, um Bewegungsunschärfe zu korrigieren. Dieser Prozess benötigt viel Zeit und Energie“, erklärt Potdar.
Maschinelles Lernen hilft bei der Frage der Schärfe
Um das Problem mit der Bewegungsunschärfe zu beheben, entwickelte das Forschungsteam maschinelle Lernalgorithmen, die unscharfe Bilder vor der Zeichenerkennung durch Sensoren schärfen. Sie trainierten diese Algorithmen mit scharfen Bildern der Blindenschrift, denen sie zuvor eine künstliche Unschärfe zugefügt hatten. So lernte der Algorithmus, die Unschärfe der Buchstabenbilder zu korrigieren. Anschließend nutzten die Forscher ein Computer-Vision-Modell zur Erkennung und Klassifizierung der Zeichen.
Die Algorithmen wurden in ein Lesegerät integriert, das ein Roboterarm entlang von Braillezeilen führt, um Wörter in Blindenschrift zu lesen. Das Roboter-Lesegerät erreichte eine Lesegeschwindigkeit von 315 Wörtern pro Minute bei einer Genauigkeit von 87 Prozent. Dies ist doppelt so schnell und nahezu in gleicher Genauigkeit im Vergleich zu menschlichen Braille-Lesern.
Von der Genauigkeit des Roboters überrascht
Das Forschungsteam war durchaus angetan von dem, was der Roboter geleistet hat: „Wenn man bedenkt, dass wir zum Trainieren des Algorithmus gefälschte Unschärfe verwendet haben, war es überraschend, wie genau er die Brailleschrift lesen konnte“, so Hardman. „Wir haben einen guten Kompromiss zwischen Geschwindigkeit und Genauigkeit gefunden, was auch bei menschlichen Lesern der Fall ist.“
Sein Kollege Parth Potdar ergänzt: „Die Lesegeschwindigkeit der Brailleschrift eignet sich hervorragend zur Messung der dynamischen Leistung von taktilen Sensorsystemen, sodass unsere Ergebnisse auch über die Brailleschrift hinaus für Anwendungen wie die Erkennung von Oberflächentexturen oder Schlupf bei Robotermanipulationen anwendbar sein könnten.“
Für die Zukunft hofft das Forschungsteam, die Technologie auf die Größe einer menschlichen Hand oder Haut zu skalieren.
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