Roboter-Boom bei Bier und Co.: „Lebensmittelindustrie ist das neue Automotive“
Die Lebensmittelindustrie wird für Roboterhersteller immer interessanter, sagt Maschinenbauer Kuka. Das wirkt sich auf den Arbeitsmarkt aus.
Für Romantiker ist das vermutlich nichts: Der erste vollautomatische Pizza-Roboter in Paris hat vor einigen Monaten für eine riesige mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Drei Arme bereiten dort hinter Glas Pizza zu. Kulturpessimisten sahen die Pizza zur Summe ihrer Teile degradiert; Boden, Sauce, Käse, Ofen, Pappschachtel – fertig. Technikoptimisten hingegen preisten die technische Präzision der Arbeitsabläufe. Und für alle anderen ist das Ding ein Hingucker, nach wie vor pilgern täglich viele Menschen zu dem Schnellrestaurant, um den Roboter in Aktion zu erleben.
Der Pizza-Roboter ist aber nur öffentlichkeiswirksame Spitze eines Eisbergs: Tatsächlich spielen Roboter in der Lebensmittelindustrie eine immer größere Rolle. “Die Lebensmittelindustrie ist für mich das neue Automotive der nächsten Jahre”, sagt Dieter Rothenfußer. Er ist Portfoliomanager Consumer Goods beim Roboterhersteller Kuka. Traditionell ist die Autobranche ein großes Geschäftsfeld für Kuka – doch die Lebensmittelindustrie werde immer interessanter.
Automatisierung in der Lebensmittelindustrie: Roboter werden immer wichtiger
85.000 Roboter haben seit 2016 Einzug in die Konsumgüterindustrie gehalten. 54.000 von ihnen kommen in der Lebensmittelindustrie zum Einsatz, heißt es bei Kuka. Robotiks soll für Arbeitserleichterung sorgen und Mitarbeitende von schweren oder monotonen Tätigkeiten entlasten. Laut dem DLG-Trendmonitor Robotik war das für 38 von 46 befragten Unternehmen von entscheidender Bedeutung (Erhebung 2020). Sie gaben an, dass die eingesetzten Roboter zu einer klaren Erleichterung von Arbeitsabläufen beigetragen haben.
Schokoladenroboter serviert Pralinen
Vor allem die Molkereibranche setzt auf Robotik. Laut einer Umfrage der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft DLG setzt die Molkereibranche am häufigsten Roboter ein – dicht gefolgt von der Getränkeindustrie. Die Lebensmittel- und Agrarindustrie ist ein Billionen schwerer Markt. Nach Schätzungen von “Plunkett Research” belief sich das Volumen der weltweiten Industrie in diesen beiden Segmenten 2020 auf circa neun Billionen US-Dollar. Das entspricht etwa 10 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts.
Automatisierung bei Tönnies?
Aber gefährdet mehr Automatisierung nicht auch Arbeitsplätze? Die Frage drängt sich immer wieder auf – ohne dass sie bislang klar beantwortet wurde. Beispiel Tönnies: Der Schlachterei-Großbetrieb plant Medienberichten zufolge einen weitgehend vollautomatisierten Schlachthof in der spanischen Provinz Aragon. Und das, nachdem das Unternehmen neben anderen Schlachtereien in der Corona-Krise wegen prekärer Arbeitsbedingungen seiner Leiharbeiter und Werkvertragsarbeiter massiv in die Kritik geraten war. Um den Zuständen entgegenzuwirken, hatte die Bundesregierung zuletzt ein Gesetz auf den Weg gebracht, laut dem Schlachtbetriebe in den Bereichen Schlachtung und Fleischzerlegung nur noch eigene Mitarbeiter beschäftigen dürfen. Eine vollautomatisierte Lösung könnte genau das umgehen. Arbeitsplätze blieben dann in der Tat auf der Strecke.
Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) kommt in seiner Studie „Digitalisierung und die Zukunft der Arbeit” zu dem Schluss: Der Einsatz von Automatisierungstechnologien führt zu einem Stellenabbau. Andererseits entstehen laut der Studie aber auch neue Arbeitsplätze, die mindestens für einen Ausgleich sorgen.
Bei Kuka glaubt man – erwartungsgemäß – an die Idee, dass Automatisierung vor allem hilft, gesundheitsgefährdende und monotone Arbeiten an die Maschinen auszulagern – und führt die Brauerei Fiedler als Argument ins Feld.
1.500 Bierkisten pro Tag
Bei der kleinen Traditionsbrauerei im Erzgebirge sieht man Roboter nicht als bedrohliche Konkurrenz, sondern als entlastende Helfer. So mancher wird das Schleppen von Bierkästen als Fitnessprogramm vor dem Trinkgenuss verstehen, doch wer bei einer Acht-Stunden-Schicht manuell Bierkästen auf Förderbänder befördert, weiß am Ende des Tages, was er getan hat. Das geht auf Dauer auch auf die Gesundheit. Fiedler nutzt neuerdings einen Palettier-Roboter von Kuka, der vier Kisten auf einmal tragen kann. 1.500 Kisten pro Tag werden so gewuppt – als Vollgut wie auch als Leergut: „Das verschafft uns nicht nur eine große Erleichterung bei körperlich schweren Arbeiten, sondern gibt uns zugleich neue Möglichkeiten, unsere Fachkräfte an anderen Stellen besser und weniger verschleißend einzusetzen“, sagt Senior-Chef Christian Fiedler.
Innovative Lebensmittelverpackung löst altes Problem
Vor allem auf engstem Raum können Roboterarme ihre Vorteile ausspielen. Sie nehmen wenig Platz weg und weniger Angestellte brauchen sich in einer Lagerhalle aufhalten. “Das ist vor allem in der Corona-Pandemie wichtig geworden”, so Rothenfußer. Neben der Arbeitserleichterung und Produktivitätssteigerung, setzen laut Rothenfußer einige Unternehmen auf Roboter, um dem Personalmangel zu begegnen. „Der Fachkräftemangel zieht sich durch die gesamte Branche”, sagt er. „Automatisierung hilft, dem beizukommen.“
Was kostet ein Palettierroboter?
Laut Kuka sollen die Palettenroboter auch kleine und mittelständische Unternehmen in ihren Prozessen bereichern. Was kostet die maschinelle Hilfe? Ein Palettierroboter, wie ihn die Brauerei Fiedler nutzt, schlägt mit ungefähr 50.000 Euro zu Buche, wenngleich exakte Preisangaben schwierig seien. Je nach Traglast könne so ein Palettenroboter auch mehr oder weniger kosten: “Je nachdem, was der Roboter können soll, muss man mit dem Preisen rechnen, die man für einen eher kompakten Wagen oder einen guten Mittelklassewagen zahlen würde.”
Hygienische Anforderungen in der Lebensmittelindustrie
Eine Herausforderung in der Lebensmittelindustrie: In manchen Branchen haben die Roboterarme direkten Kontakt mit Lebensmitteln. Darauf reagieren Hersteller mit Spezialmodellen, die bestimmte Eigenschaften haben, um Hygieneanforderungen zu erfüllen: Zum Beispiel eine Oberfläche aus Edelstahl und möglichst wenige Ritzen und Kanten, in denen sich Lebensmittelreste sammeln könnten.
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