Auslaufmodell? Einfamilienhäuser in Zeiten von Klimawandel und Wohnungsnot
Der Traum vom Einfamilienhaus ist für viele Bauherren nach wie vor lebendig. Angesichts von Klimawandel und Wohnungsknappheit sind Einfamilienhäuser in den letzten Jahren jedoch in die Kritik geraten, da sie viel Fläche und Energie verbrauchen. Doch wie kommt man aus diesem Dilemma heraus? Planer haben erste Ideen, zaghafte Anfänge sind gemacht.
Viele Menschen träumen von einem freistehenden Eigenheim mit einem großzügigen Garten, der genügend Privatsphäre vom nächsten Nachbarn bietet. Tatsächlich bleibt das Einfamilienhaus die bevorzugte Wohnform in Deutschland. Allerdings sind Baugrundstücke, insbesondere in Städten, inzwischen Mangelware. Selbst in ländlichen Gegenden zögern Gemeinden, neue Flächen zu bebauen und für Wohngebiete freizugeben.
Ökologisch betrachtet bringt das Einfamilienhausmodell einige Nachteile mit sich. Für die Unterbringung einer vergleichsweise geringen Personenzahl wird viel Land und Baumaterial verbraucht. Zudem ist die Energieeffizienz solcher Häuser oft geringer im Vergleich zu Mehrfamilienwohngebäuden. Dies hat dazu geführt, dass in einigen Gebieten, wie Hamburg-Nord, der Bau von Einfamilienhäusern inzwischen verboten ist. Auch andere Städte, wie Münster, überlegen, ähnliche Richtlinien einzuführen. Doch wie sieht es bei Bestandsbauten – auch hier haben sich Experten Gedanken darüber gemacht, wie diese in Zukunft zu behandeln sind – Stichwort: Aus eins mach zwei oder drei.
Bau von Einfamilienhäusern erleben Tiefstand
Nordrhein-Westfalen steht hinsichtlich des Flächenverbrauchs exemplarisch da: Fast ein Viertel des Landes ist bebaut, einschließlich Wohngebieten, Industrieanlagen und Verkehrsinfrastruktur, so das Landesumweltministerium. Täglich verschwinden über acht Hektar Land unter neuer Bebauung, was mehr als elf Fußballfeldern entspricht.
Ein Lösungsansatz liegt im Bau von Mehrfamilienhäusern. Diese ermöglichen es, dass mehr Menschen auf einer vergleichbaren Fläche wohnen können, wobei die Kosten für Bau und Instandhaltung geringer sind, da beispielsweise nur ein Dach oder eine Heizung benötigt werden.
Trotzdem ziehen viele Menschen in Deutschland ein Einfamilienhaus vor. In Baden-Württemberg, dem Bundesland der „Häuslebauer“, machen Einfamilienhäuser mehr als 60 Prozent der 2,5 Millionen Wohngebäude aus. Der Zollernalbkreis hat mit 78 Prozent den höchsten Anteil an Einfamilienhäusern, während in Stuttgart nur 35 Prozent der Wohngebäude diesem Typ entsprechen.
Interessanterweise hat die Corona-Pandemie den Wunsch nach einem eigenen Haus im Grünen verstärkt, so das Immobilienportal ImmoScout24. Doch die Zahl der Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser im Südwesten Deutschlands ging zurück. Laut dem Statistischen Landesamt waren sie im letzten Jahr am stärksten von diesem Rückgang betroffen: Es gab einen Rückgang von 15 Prozent gegenüber 2021, mit nur 9000 Genehmigungen – ein historisch niedriger Wert. Was sicherlich auch darin liegt, dass viele derzeit größere Investitionen scheuen oder schlichtweg kein Geld für den Bau oder Kauf eines Hauses haben.
Experten sehen das Einfamilienhaus als Auslaufmodell
Obwohl viele Menschen den Traum von einem eigenen Haus mit viel Platz und Privatsphäre hegen, weisen Experten auf die Nachteile dieses Wohnmodells hin. Einfamilienhäuser verbrauchen vergleichsweise viel Platz, erfordern eine aufwendige Infrastruktur und können den Verkehrsaufwand erhöhen. Zudem ist ihre energetische Bilanz oft weniger effizient. Markus Neppl, Professor für Stadtquartiersplanung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), ist der Ansicht, dass das Modell des in den 1960ern populär gewordenen Einfamilienhauses außerhalb der Städte in Mitteleuropa nicht weiter gefördert werden sollte.
Auch der Stuttgarter Bauingenieur und Architekt Werner Sobek teilt diese Meinung. Als Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen warnt er vor der Errichtung neuer Siedlungen, die vorwiegend aus Ein- und Zweifamilienhäusern bestehen. Er kritisiert die daraus resultierende Flächenversiegelung und den zusätzlichen Infrastrukturbedarf, wie längere Straßen und Versorgungsleitungen.
Eindrücklich ist auch die Erkenntnis der TU-Professoren Andreas Hild und Thomas Auer aus München: Der ökologische Fußabdruck eines Bewohners eines Eigenheims auf dem Land in Bayern ist doppelt so hoch wie der eines Stadtbewohners in München, erläuterten die beiden Forscher kürzlich in einem Spiegel-Interview. Angesichts des Klimawandels sei dies ein bedenklicher Trend. Doch was könnte sich ändern, die Experten machen Vorschläge.
Vorschlag #1: Hochhaus statt Einfamilienhaus
In Großstädten und Ballungszentren sind Wohnräume zunehmend teurer geworden. Um dem entgegenzuwirken, wird der Bau von Hochhäusern in Erwägung gezogen, die zahlreiche Wohneinheiten über mehrere Etagen bieten. Diese modernisierten Gebäude sind nicht nur effizient in ihrer Raumausnutzung, sondern setzen auch auf umweltfreundliche Aspekte wie begrünte Dachterrassen und Mehrgenerationen-Wohnkonzepte. Ein solches Vorgehen wird beispielsweise bereits in den Plattenbausiedlungen im Osten Deutschlands praktiziert.
Vorschlag #2: Aus Alt mach Neu
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) betonte vor etwa einem Jahr die Bedeutung der Sanierung bestehender Gebäude gegenüber Neubauten. Sie schlug auch eine Anpassung im Nutzungsrhythmus der Wohnflächen vor: Ältere Menschen könnten in kleinere Wohnungen umziehen, wenn ihr bisheriges Zuhause aufgrund ausziehender Kinder zu groß wird. Das wiederum ermöglicht jüngeren Familien den Kauf und die Sanierung dieser größeren Wohnräume. Ein solches Modell würde nicht nur Flächenressourcen schonen, sondern auch dem Wunsch vieler nach einem Eigenheim entsprechen.
Vorschlag #3: Aus eins mach zwei oder drei
Obwohl Einfamilienhäuser oft als überholt betrachtet werden, erkennen Andreas Hild und Thomas Auer gerade in diesen Wohnformen erhebliches Potenzial. Durch Maßnahmen wie das Aufstocken von Garagen, kleinere Anbauten oder Erweiterungen von Reihenhäusern könnten zusätzliche Wohnräume geschaffen werden. Würde man nur zehn Prozent der insgesamt 16 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuser in Deutschland entsprechend umgestalten, könnten so 1,6 Millionen neue Wohnungen entstehen.
Vorschlag #4: Nachverdichtung
Eine weitere Möglichkeit, zusätzliche Wohnräume zu schaffen, sehen die Experten in der Nachverdichtung. Hierbei werden freistehende Flächen innerhalb bestehender Bebauung genutzt und somit einer Zersiedelung entgegengewirkt. Laut Sobek erfordert eine solche städtebauliche Verdichtung eine besonders sorgfältige Planung sowohl aus architektonischer als auch aus städtebaulicher Sicht. Der Städtetag unterstützt Nachverdichtungsmaßnahmen, sofern sie zur geplanten Struktur des jeweiligen Gebiets passen.
Baurecht als größte Hürde
Praktiker finden die Ideen mit der Nachverdichtung sowie Aufstockungen und Anbauten interessant. „Es ist eine Möglichkeit, mehr Wohnraum zu schaffen“, sagt Thomas Möller, Hauptgeschäftsführer des Verbands Bauwirtschaft Baden-Württemberg. Er sieht diese Vorschläge jedoch eher als Nischenprodukt. KIT-Professor Neppl sieht das ähnlich: Es könnten neue Einliegerwohnungen und Mehrgenerationenmodelle entstehen. „Aber das Wohnungsproblem löst das nicht.“
Ottmar H. Wernicke, Sprecher der ARGE Haus & Grund Baden-Württemberg, sieht das Baurecht als eine der Hauptherausforderungen bei Bauprojekten. Damit solche Vorhaben erfolgreich umgesetzt werden können, bedarf es der Kooperation der öffentlichen Hand sowie der Zustimmung der Nachbarn. Bauwirtschaftschef Möller merkt an, dass schon kleinere bauliche Veränderungen, wie beispielsweise eine neue Dachgaube, zu Konflikten zwischen Nachbarn führen können. Zudem besteht die Herausforderung, dass einige ältere Hauseigentümer nicht bereit sind, sich solchen Bauprojekten zu widmen.
Regulationsdichte reduzieren
Einige Experten betrachten die Vielzahl an Vorschriften im Hausbau als signifikante Herausforderung, die es zu überwinden gilt, um anstehende Projekte erfolgreich umzusetzen: „Um die vor uns liegenden Probleme meistern zu können, müssen wir alte Denk- und Verhaltensweisen überwinden sowie überkommene Regelungen abschaffen. Wir benötigen für unser Handeln viel größere Freiräume. Sonst schaffen wir die notwendige Wende im Bauen nicht. Die derzeitige Regelungsdichte in Deutschland nimmt jedweder Innovation den Atem. Sie muss dringend reduziert werden“, sagt Architekt Sobek.
Susanne Dürr, Professorin für Städtebau und Gebäudelehre an der Hochschule Karlsruhe, meint: „Wir können uns nicht mit Gesetzen und Vorschriften der letzten Jahrzehnte aufhalten, wenn uns die Welt um die Ohren fliegt.“ Bereits der traditionelle Begriff „Einfamilienhaus“ ist für Dürr nicht mehr zeitgemäß: Heutzutage gibt es eine Vielzahl von Familienkonstellationen, darunter Patchworkfamilien, Alleinerziehende und gleichgeschlechtliche Paare. „Es gibt nicht die eine Lösung für diese großen Probleme. Es braucht einen riesigen Werkzeugkasten und Flexibilität auf allen Ebenen. Auch die Kommunen müssen überprüfen, was an Vorgaben veränderbar ist – angesichts von bundesweit 16 Millionen Ein- und Zweifamilienhäusern rentiert es sich nachzudenken“, sagt Dürr.
Nach Meinung von KIT-Professor Neppl braucht die Bevölkerung jedoch keine Angst haben, dass Einfamilienhäuser komplett verboten werden: „Nur noch Geschosswohnungsbau zu schaffen, wäre ebenso Quatsch. Auch Einfamilienhäuser haben eine Zukunft.“ So sei für Besitzer von E-Autos dieser Haustyp durchaus weiterhin interessant, die vom Hausdach Solarenergie tanken.
(mit dpa)
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