Barrierefreiheit: Öffentliche Räume gestalten
Öffentliche Gebäude und Anlagen werden zunehmend unter dem Gesichtspunkt der Barrierefreiheit errichtet oder saniert. Was bedeutet es für die Bauherren, wenn ihr Projekt für jeden Menschen zugänglich sein soll? Die VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik hat sich jüngst dieser Frage angenommen.
Vor knapp sechs Jahren verpflichtete sich die Bundesrepublik auf internationalem Parkett dazu, der Diskriminierung von Menschen mit Behinderung vorzubeugen und ihnen die uneingeschränkte Teilhabe am öffentlichen Leben zu ermöglichen. Das besagt die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BKR). Doch was bedeutet diese Zusage für die Gestaltung öffentlicher Lebensräume? Die VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik (VDI-GBG) suchte im Expertenforum „Barrierefreie Lebensräume“ mögliche Antworten.
Laut dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) aus dem Jahre 2003 ist Barrierefreiheit für mindestens 10 % der Bevölkerung unentbehrlich. Ein Qualitätsmerkmal bedeute eine barrierefreie Umgebung jedoch für die gesamte Gesellschaft so das BMWi weiter. Aus dieser Ansicht resultieren zwei grundlegende Forderungen: Öffentliche Gebäude und Anlagen müssen für jeden Menschen ob mit oder ohne Einschränkung problemlos zugänglich sein. Dabei dürfen sie nicht an Komfort sowie Design einbüßen.
Die Bedeutung der Barrierefreiheit wächst im Zuge einer alternden Gesellschaft
Peter Lein, Sachverständiger für Bauverfahren im Grundbau, Bauablaufstörungen, Baukostenwesen und Spezialtiefbau, gab beim VDI-Expertenforum Denkanstöße. „Barrierefreiheit dient nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch alten Menschen und Menschen mit Kleinkindern,“ sagte Lein. Weil die deutsche Gesellschaft rasant altert wird die Anzahl derer, für die barrierefreie Räume unentbehrlich sind, in Zukunft deutlich steigen.
Für öffentliche Bauvorhaben bedeute das einen erhöhten Planungsaufwand. Neben körperlichen müssen auch visuelle und auditive Einschränkungen berücksichtigt werden. „Dabei steht die Gebrauchstauglichkeit an erster Stelle“, so Lein. „Technische Produkte müssen für jeden Menschen intuitiv nutzbar sein.“
Für das VDI-Expertenforum hatten die Verantwortlichen der VDI-GBG Referenten unterschiedlicher Fachbereiche geladen. Peter Lein legte den Schwerpunkt auf den Bau von Sanitärräumen. So haben Rollstuhlfahrer einen deutlich größeren Platzbedarf zum Wenden und Rangieren und benötigen z. B. unter Waschbecken einen unterfahrbaren Raum, der mindestens 30 cm tief und 67 cm hoch sein muss.
Licht und Schatten: Auch die Beleuchtung eines Gebäudes ist wichtig für ein barrierefreies Umfeld
Michael Doser vom Lichttechnikunternehmen Herbert Waldmann GmbH sprach zum Thema Beleuchtung unter Berücksichtigung aktueller Standards für ein barrierefreies Umfeld. „Gerade für Hilfsbedürftige hat Beleuchtung eine besondere Bedeutung, da sie sich überwiegend in Innenräumen aufhalten“, sagte Doser. Licht habe zudem neben der Orientierungsfunktion auch die Aufgabe, inneres Wohlbefinden zu erzeugen.
„Durch die Vermeidung von Schatten, Spiegelungen und starken Hell-Dunkel-Unterschieden“, so Doser, „können Stürze und Fehlinterpretationen vermieden werden.“ Für betreuende Einrichtungen wie Pflegeheime empfiehlt er eine zweifache Beleuchtung: zum einen für den Bewohner, der sich in seinem Zimmer wohlfühlen soll, zum anderen für das Personal, das während der Pflege einen bis zu dreifach höheren Lichtbedarf hat.
Barrierefreiheit betrifft auch die Elektroplanung eines Gebäudes
Rolf Joska von der Gira Giersiepen GmbH brachte zum Thema Elektroplanung seine Erfahrungen ein: „Die Funktionalität und der Dialog zwischen Benutzer und System müssen auf die charakteristischen Eigenschaften der Arbeitsaufgabe abgestimmt sein.“ Technik für Menschen mit Behinderung, Technik für Alte und Technik für Erziehende unterlägen vor allem der Individualität ihrer Nutzer. Ob Schalter, Steckdosen oder Wegweiser: Die empfehlenswerten Montagehöhen variieren erheblich.
Die VDI-GBG trug im vergangenen Jahr mit der neu überarbeiteten VDI-Richtlinienreihe 6008 dazu bei, die Gestaltung barrierefreier Räume so weit wie möglich zu standardisieren. Die Bauherren barrierefreier öffentlicher Lebensräume sind jedoch mit der besonderen Herausforderung konfrontiert, Gebäude oder Anlage für Menschen unterschiedlichster Beweglichkeit, Körpergröße und Fähigkeiten zu entwerfen, ohne die Nutzer zu kennen, an optischer Raffinesse einzubüßen oder des Steuerzahlers Börse über Maß zu strapazieren. Im Jahr 2013 organisiert die VDI-GBG noch zwei weitere Expertenforen zu diesem Thema.
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