Bauwerksmonitoring dokumentiert Standsicherheit von Hallendächern
Der Schnee fällt endlich, die Lasten auf den Dächern wachsen und die Diskussion um die sichere Tragfähigkeit von Hallendächern flammt wieder auf. Seit dem tragischen Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall 2006 wurden Richtlinien verschärft, Bemessungsschneelasten angepasst und Mindestwerte der Standsicherheit erhöht. Im Rahmen eines Forschungsprojektes an der TU Berlin wird jetzt ein Monitoring-System entwickelt, das den Zustand eines Tragwerkes permanent überwachen soll.
Der Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall im Januar 2006 mit 15 Toten sowie weiteren tragischen Unglücken in diesem schneereichen Winter haben die öffentliche Wahrnehmung für die Sicherheit von Hallentragwerken wesentlich sensibilisiert. Offensichtlich kann ein solches Ereignis nicht völlig ausgeschlossen werden. Ein gewisses Restrisiko lässt sich auch durch die besten Regelwerke nicht eliminieren.
Bauwerkssicherheit ist durch den fortschrittlichen Stand der deutschen und europäischen Bautechnik garantiert und fest in unserem Bewusstsein verankert. Laut den deutschen Normen soll die Wahrscheinlichkeit eines globalen Bauwerksversagens grundsätzlich unter eins zu eine Million liegen. Trotzdem passieren von Zeit zu Zeit Unfälle. Warum?
Ein Computer gilt schon nach wenigen Jahren als technisch verbraucht, ein Auto nach 10 Jahren und ein Flugzeug nach 40 Jahren. Von Bauwerken wird aber als selbstverständlich verlangt, dass sie auch nach 50 oder 100 Jahren die ursprünglichen Entwurfslasten aus ihrer „Jugendzeit“ sicher abtragen können.
In den sieben Jahren nach dem tragischen Unglück in Bad Reichenhall hat sich einiges bewegt und verändert. Es wurden die „Hinweise für die Überprüfung der Standsicherheit von baulichen Anlagen durch den Eigentümer/Verfügungsberechtigten“ seitens der ArgeBau und die Richtlinie VDI 6200 „Standsicherheit von Bauwerken – Regelmäßige Überprüfung“ herausgegeben sowie neue Teile der DIN 1055 „Einwirkungen auf Tragwerke“ und später des Eurocodes bauaufsichtlich eingeführt. Darüber hinaus wurden viele Bauwerke einer eingehenden Überprüfung durch unabhängige Prüfingenieure, dem TÜV Süd, TÜV Rheinland oder andere Institutionen unterzogen.
Und trotzdem stürzten in den vergangenen Jahren zahlreiche Hallendächer ein. Die Ursachen sind stets individuell, denn Bauwerke sind keine Serienprodukte, sondern Unikate.
Infolge der Zunahme von Wetterextremen wurden die Schnee- und Windlasten, die bei der Tragwerksberechnung zu berücksichtigen sind, in einigen Gebieten Deutschlands angepasst. Neubauten werden nach diesen erhöhten Lasten bemessen. Aber: Sind die alten Hallendächer in den Regionen mit höher eingestuften Wind- und Schneelasten plötzlich unsicher geworden?
Für viele als kritisch eingestufte Hallen ist permanente Überwachung oft das einzige Mittel, um den Betrieb ohne aufwendige, meist kostenintensive Baumaßnahmen aufrecht zu erhalten oder gar den Abriss zu vermeiden. Dieses „Structural Health Monitoring“ (SHM) ist weltweit ein schnell wachsender Zweig der technischen Anwendungsforschung und im Bauingenieurwesen hauptsächlich für die Anwendung an Brücken bekannt.
Die Messtechnik erlaubt heute Daten über Dehnungen und Spannungen, Verschiebungen und Neigungen, Temperaturen und Schallwellen in den Bauteilen in fast beliebigem Umfang und Qualität online zu erheben und über Hunderte von Kilometern zu übertragen. Die eigentlich wichtigste und schwierigste Herausforderung darin besteht in der zielgerichteten Interpretation der erhobenen Messdaten.
An einem solchen Überwachungssystem für Hallendächer wird am Institut für Bauingenieurwesen der Technischen Universität Berlin gearbeitet. Das Fachgebiet Statik und Dynamik unter der Leitung von Yuri Petryna entwickelt Verfahren zum Erkennen individueller „Signaturen“ der Tragwerke, an denen das Tragverhalten anhand von statischen und dynamischen Merkmalen überwacht werden kann.
Damit lassen sich die relevanten Messpunkte, die „richtigen“ Messgrößen und der optimale Umfang der Messungen definieren und anfallende Anschaffungskosten minimieren.
Innerhalb des Sicherheitskonzepts im Bauwesen wird laut DIN EN 1990 „Grundlagen der Tragwerksplanung“ (vormals in DIN 1055–100) die Abnahme der Standsicherheit auf Grund des Bauwerksalters quantitativ mit einem Herabsetzen des Zuverlässigkeitsindexes von bspw. 4,7 im Neuzustand auf 3,8 nach 50 Jahren Nutzungsdauer angegeben.
Dieser Reduktion entspricht für gewöhnliche Bauwerke das Anwachsen der Versagenswahrscheinlichkeit von eins zu einer Million auf eins zu Zehntausend.
Die Richtlinie VDI 6200 empfiehlt das regelmäßige Überprüfen von Bauwerken, um die Standsicherheit eines Bauwerkes zu gewährleisten. Dennoch ist eine regelmäßige Begutachtung lediglich eine Momentaufnahme des Gebäudezustandes. Zwischen zwei Überprüfungen vergehen demnach einige Jahre, in denen gravierende Veränderungen auftreten können.
Als eine zusätzliche Maßnahme für das Aufstellen einer Zustandsprognose nennt die VDI-Richtlinie die messtechnische Überwachung des Tragwerks im Rahmen eines Bauwerksmonitorings.
Kontinuierliches Monitoring vor Ort kann ungewöhnliche Veränderungen und kritische Zustände im Tragwerk rechtzeitig erkennen. Damit ist die Möglichkeit gegeben, je nach Relevanz gezielte Warnungen auszulösen, bevor ein Versagen eintritt oder Menschen zu Schaden kommen.
Im Rahmen des ZIM-Förderprogramms des Bundeswirtschaftsministeriums läuft derzeit an der TU Berlin ein Kooperationsprojekt, in dem ein modulares System für die kontinuierliche Bauwerksüberwachung von Hallentragwerken entwickelt wird. Das Projekt Hamosys (Hallen-Monitoring-System) wird in Zusammenarbeit mit einem mittelständischen Industriepartner, der FCS GmbH & Co. KG aus Löningen, entwickelt. Dieses System soll in einer Pilotstudie an einem realen Hallentragwerk installiert und erprobt werden. Das geeignete Bauwerk wird derzeit noch gesucht. Nach Mitteilungen des TÜV Rheinland wurden etwa 25 % der in den letzten Jahren sicherheitsrelevant überprüften Bauwerke als mangelhaft eingestuft. YURI PETRYNA, MATTHIAS LEITEL
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